Thesaurus Indogermanischer Text- und Sprachmaterialien
TITUS BIBLIOGRAPHIA
REZENSIONEN / REVIEWS
Ulrich Stiehl: Sanskrit-Kompendium. Ein Lehr-, Übungs- und Nachschlagewerk. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Heidelberg 2002. 480 S. ISBN 3-7785-2889-0


      Das hier vorgelegte inhaltsreiche Sanskrit-Kompendium folgt einer neuartigen Konzeption, mit welcher der Autor schwerpunktmäßig didaktische Ziele zu erreichen sucht. Eine kurze Übersicht möge dies verdeutlichen.

      Der erste Teil enthält Lektionen, in denen präzise erläuterte Übungssätze jeweils zu bestimmten Gebieten der Grammatik geboten werden. Dabei sind erfreulicherweise auch Rückübersetzungen vorgesehen. Anders als bei der 1. Auflage werden nunmehr alle Sanskrit-Übungssätze nicht nur transliteriert, sondern auch in Devanāgarī wiedergegeben. Allerdings wird im gesamten begleitenden Text des Buches auf diakritische Zeichen verzichtet, was auf den Anfänger verwirrend wirken kann.

      Im zweiten Teil findet sich die Schriftlehre. Die Grundzeichen der Devanāgarī werden in besonders großem Schriftgrad dargestellt (S. 300); auch die Ligaturen werden gegenüber der üblichen Schrift vergrößert wiedergegeben. Zudem werden sie nach der Häufigkeit ihres Vorkommens unterschieden, was für den Anfänger, der der für ihn großen Zahl der Ligaturen zunächst weitgehend hilflos gegenübersteht, besonders wertvoll ist.

      Die Sanskrit-Grammatik wird sodann im dritten Teil behandelt. Sie gliedert sich in Lautlehre, Sandhiregeln, Deklination, Konjugation und Kompositionslehre. Nach S. sind die beiden großen Hürden für den Sanskritstudenten die Sandhiregeln und die Komposita (S. 305). Diese Feststellung bildet in bezug auf jene eine absolute, in bezug auf diese aber nur eine relative Wahrheit. Die Erfahrung hat gezeigt, dass nur die Bahuvrīhi-Komposita nennenswerte Schwierigkeiten verursachen können. Den Sandhiregeln widmet sich der Vf. dankenswerterweise mit besonderer Gründlichkeit und Sorgfalt. Die Zerebralisierung von s und n wird nicht in abstrakte Regeln gepresst, sondern anhand zahlreicher Beispiele verdeutlicht. Bei der Deklination der Nomina berücksichtigt Vf. auch die relative Häufigkeit der einzelnen Deklinationen; für alle bietet er mehrere Paradigmata. Dabei werden unregel-mäßige Nomina nicht ausgespart: beispielsweise werden Wörter wie ahan, sakthi und sakhi voll durchdekliniert. Ebenso gründlich werden die Pronomina behandelt. Die Konjugation der Verben beginnt mit der Darstellung der thematischen und athematischen Endungen. Zahlreiche Verben werden im Präsens, Imperfekt, Imperativ und Optativ durchkonjugiert; von vielen Wurzeln werden außerdem die Partizipien, Absolutiva und Infinitive gegeben. Wenngleich Vf. die athematischen Konjugationen zu den "seltenen Grammatikkonstruktionen" (S. 6) zählt - eine anfechtbare Aussage -, so bietet er erfreulicherweise dennoch Beispielsätze für Verben aus allen athematischen Klassen. Obwohl Perfekt und Aoriste eine relativ unbedeutende Rolle spielen, werden auch sie ausführlich behandelt. Die Darstellung der Kompositionslehre ist nicht zuletzt durch die zahlreichen Beispiele einer "Dekomponierung" lobenswert.

      Vf. führt in die Sanskrit-Sprachlehre die Aufteilung des Stoffes in "häufig und selten" ein. Dies bedeutet eine wichtige Innovation, ja einen qualitativen Sprung. Allerdings wird diese Neuerung nicht mit voller Konsequenz durchgeführt. Hierzu bedarf es sicher noch der Sammlung weiterer Erfahrungen, doch erkennt man gern an, dass Vf. einen neuen, bedeutsamen Weg gewiesen hat.

      Die Teile 4 bis 7 beinhalten die umfangreichen Register, die zur vollen Erschließung des Buches in großem Maße beitragen. Hier finden sich unter anderem Listen von Verben (Wurzel und 3. Pers. Präs. Sg.), gegliedert nach der Präsensklasse. Die vorbildlich gearbeiteten Sanskrit-Deutsch- und Deutsch-Sanskrit-Register gewährleisten eine schnelle Auskunft zu Spezialfragen.

      Die Übersetzungen der Übungsstücke sind im wesentlichen korrekt. Mitunter wird man von Neologismen überrascht, wenn etwa kārṣāpaṇa mit "Cent" und niṣka mit "Euro" übersetzt wird (S. 296) oder wenn nistantrī die Bedeutung "Handy" erhält (S. 306). Überhaupt ist manches gar zu frei wiedergegeben: so ist tejas nicht "Erfolgreicher" und schon gar nicht "Profi" (S. 288) und udaya ist nicht "Tanz" (S. 289, wo sich Übersetzung und Erläuterung einander widersprechen). Die Version "Gauführer" für grāmaṇī weckt düstere Assoziationen; khalapū wiederum ist jemand, der die Scheune oder Tenne reinigt (fegt) und kein "Scheunendrescher" (S. 326). pāhi śiśum heißt nicht nur "das Baby" (S. 385). Insgesamt sind diese Lapsus jedoch von untergeordneter Bedeutung.

      Größere Aufmerksamkeit verdient hätten die Verzeichnisse von Sanskrit-Wörterbüchern (S. 432) und -Grammatiken (S. 457). Abgesehen davon, dass der Name von Carl Cappeller stets falsch geschrieben wird, hätten das wegweisende "Etymologische Wörterbuch des Altindoarischen" von Manfred Mayrhofer und das große Wörterbuch von Stchoupak-Nitti-Renou jedenfalls Erwähnung verdient. Das Wörterbuch des Rez. wird nur in 3., nicht aber in der aktuellen 7. Auflage erwähnt. Die Hinweise auf Grammatiken weisen noch größere Lücken auf: so fehlen die Werke von Georg Bühler, Michael Coulson, Richard Fick, Manfred Mayrhofer (nämlich die zur Repetition bestens geeignete Grammatik aus der Sammlung Göschen) und Adolf Friedrich Stenzler.

      Leider hat sich der Vf. einen sehr schlechten Dienst erwiesen, indem er in der Einleitung in Form einer ātmastuti neun Vorzüge aufzählt, die "erstmals" in diesem Lehrbuch zu finden seien. Die Beurteilung einer Arbeit überlässt man doch besser den FachkollegInnen. Doch von deren einschlägigen Arbeiten spricht Vf. abfällig als von "sogenannten 'Lehrbüchern'" (S. 5).

      Bei Gelegenheit dieser Rezension kann man daher nicht umhin, erneut öffentlich zu beklagen, welcher Niedergang - um nicht zu sagen welche Verwahrlosung - in akademische Gepflogenheiten und Umgangsformen Eingang gefunden hat. Rez. tritt entschieden für einen prinzipiellen wissenschaftlichen Meinungsstreit ein, wendet sich aber ebenso entschieden gegen jedwede Diskriminierung von Andersdenkenden. "Suaviter in modo, fortiter in re!" Im Widerspruch zu diesem Leitsatz behauptet S., die Bearbeitung des Elementarbuches von Stenzler durch Albrecht Wezler "markiert somit den Tiefpunkt der universitären Sanskritdidaktik. Dieses allerbequemst verfaßte 'Lehrbuch' ... ist eine sprachdidaktische Zumutung ..." (S. 5). Jedoch handelt es sich dem Titel gemäß um ein "Elementarbuch der Sanskritsprache" und Karl Friedrich Geldner bemerkte im Vorwort zur 13. Auflage ausdrücklich: "Alles Erklärende ist dem belebenden Vortrag des Lehrers anheimgestellt." Diese Fakten lässt S. in seinem harten und ungerechtfertigten Urteil unberücksichtigt.

      So sei denn nochmals an die FachkollegInnen, gerade auf dem Gebiet der Sanskrit-Linguistik und -Philologie, appelliert, mit einer unrühmlichen Tradition endlich zu brechen, die mit dem Streit zwischen Albrecht Weber und Theodor Benfey begonnen hat, mit den Auseinandersetzungen zwischen der "Sanskrit Insurance Company" und den Frondeurs "weitergeführt" wurde und in der Gegenwart eine neue "Kulmination" erlebt.

      Rekapitulierend kann man das von S. vorgelegte Buch in vieler Hinsicht positiv beurteilen. Die Sandhi- und Flexionstabellen sind von einer Reichhaltigkeit, die sonst allenfalls von Coulson erreicht wird. Die Übungsbeispiele sind gut ausgesucht und die Register haben Vorbildcharakter. Weniger entschieden sind die - vom Vf. gerade besonders angestrebten - didaktischen Vorzüge ausgeprägt. Eine Korrelation des ersten und des dritten Teils, die jedenfalls erforderlich gewesen wäre, ist nur ansatzweise zu erkennen. Der Stoff, der etwa anhand des Übungsbeispiels gacchati (S. 12) vermittelt wird, kann autodidaktisch nur von einem Genie erfasst werden. Der Aufstieg vom Leichten zum Schweren, vom Einfachen zum Komplizierten wird in S.s Arbeit nicht hinreichend deutlich. Für didaktische Zwecke wird man daher auch künftig auf die Werke von Richard Fick ("Praktische Grammatik der Sanskrit-Sprache für den Selbstunterricht"), Michael Coulson ("Sanskrit, an introduction to this classical language") und vor allem auf Georg Bühler ("Leitfaden für den Elementarcursus des Sanskrit") nicht verzichten können. Wenn der Autor sein Buch als ein Kompendium bezeichnet, so ist er damit durchaus im Recht. Als Kompendium ist das Buch eine überaus fleißige und insgesamt gelungene Arbeit. In didaktischer Hinsicht bleiben dagegen zu viele Wünsche offen, als dass die eben geäußerten anerkennenden Worte auch auf diesen Aspekt ausgedehnt werden könnten.


Johann Wolfgang Goethe-Universität

Klaus Mylius

Frankfurt am Main



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Copyright Jost Gippert, Frankfurt a/M 18.11.2002. No parts of this document may be republished in any form without prior permission by the copyright holder.

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27.06.03

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