Remigius Geiser, Salzburg (Österreich/Austria)

Grundkurs in klassischem Zimbrisch:
Ergänzungslektion E3: Das leidige Problem der Schreibung

Course in Standard Cimbrian:
Addendum 3: The nasty issue of orthography

Wie wir schon in der vorigen Ergänzungslektion E2 gesehen haben, hat das Zimbrische der Sieben Gemeinden schon seit einem halben Jahrtausend eine schriftsprachliche Norm. Dieser althergebrachten Norm entspricht auch eine Standard-Schreibweise, welche all die Jahrhunderte hindurch gepflegt wurde und wird.

As already shown in the last addendum, the Cimbrian of the 7 Communities has had a standard norm for half a millenium. There has been a corresponding norm of writing, too.

Man darf sich diese tradierte Standardschreibung freilich nicht im Sinne eines umfangreichen Regelwerkes, etwa vergleichbar mit dem deutschen Duden, vorstellen. Vielmehr handelt es sich um einen Katalog von "ungeschriebenen Gesetzen", üblich gewordenen Grundnormen also, die stets mehr oder minder getreu und einheitlich beobachtet wurden. Eine solche Grundnorm ist zum Beispiel, daß einem zimbrischen g ein h angehängt werden muß, falls darauf ein e oder i folgt, da es sonst auf italienische Art als dsch ausgesprochen würde.

This orthography has the form of an unwriten catalogue of rules which are followed quite faithfully, e.g. gh for the sound /g/ in front of e or i as in Italian.

Selbstverständlich möchte auch dieser "Grundkurs in klassischem Zimbrisch" der herkömmlichen, klassischen Schreibnorm folgen. Allerdings ist diesbezüglich seit dem Jahr 1974 ein tiefschürfendes Problem aufgetaucht, welchem diese Ergänzungslektion E3 hauptsächlich gewidmet ist.

This course will of course follow the classical norm. However, some problem has arisen since 1974 which will be the main topic of this addendum.

1. MARTAALAR - BELLOTTO

Bèrto MARTAALAR (italienisch Umberto MARTELLO, 1899-1981) war und ist der wichtigste Gewährsmann des Zimbrischen, den es je gab. Nicht nur beherrschte er die Sprache qualitativ 100 %ig perfekt (das konnten und können auch andere native speaker bis zum heutigen Tag), sondern er hat uns auch quantitativ am meisten hinterlassen, wie wir in der nächsten Ergänzungslektion E4 sehen werden.

Bèrto Martaalar (Umberto Martello, 1899-1981) is the key figure for Cimbrian orthography. He mastered the languge perfectly (as other native speakers do) and left us a lot of literature (cf. Addendum 4).

Besonders wichtig ist darüberhinaus, daß er auch ein zweibändiges zimbrisches Wörterbuch verfaßt hat mit zimbrisch-italienischen und italienisch-zimbrischen Teilen, mit sehr aufschlußreichen Beispielsätzen bei den meisten Lemmata, und mit einer zimbrischen Kurzgrammatik.

Among other things, he wrote a two-volume dictionary with examples and a grammatical sketch. However, some problem has arisen since 1974 which will be the main topic of this addendum.

Wollte man die zimbrische Sprache in ihrer Gesamtheit (Lautlehre, Formenlehre, Satzlehre, Wortschatz und umfangreiche Texte) nach der Hinterlassenschaft einer einzigen Gewährsperson dokumentieren und daraus eine sprachliche Norm entwickeln, so könnte man das am besten mit der Hinterlassenschaft von Bérto MARTAALAR bewerkstelligen. Seine Werke haben zusätzlich noch den Vorteil, daß sie den heutigen, aktuellen Stand des Zimbrischen wiedergeben. (Allerdings unterscheidet sich dieser nicht stark vom Stand vor 200 Jahren.)

Martaalar's work alone could serve as a starting point for the development of a norm. It also has the advantage of being comparatively up-to-date.

Ein besonderer Glücksfall war für Bèrto MARTAALAR das Zusammentreffen mit Alfonso BELLOTTO (1914-1984), woraus sich eine langjährige, äußerst fruchtbare Zusammenarbeit entwickelte. Alfonso BELLOTTO war ein versierter Germanist, dessen ganze Leidenschaft dem Zimbrischen galt. Die Mehrzahl von MARTAALARs Veröffentlichungen wurde mit BELLOTTO zusammen entwickelt, wobei letzterer die authentische Sprache des ersteren in ein konsistentes, praktikables, widerspruchsfreies und wissenschaftlich ausgearbeitetes Schriftsystem überführte, das auch der herkömmlichen zimbrischen Schreibtradition und den etymologischen Verhältnissen Rechnung trug.

Fortunately, Martaalar met the Germanist Alfonso Bellotto (1914-1984) who was extremely fond of Cimbrian. Most of Martaalar's works were cooperations with Bellotto. Bellotto took care of the sytematization of the orthography, in line with native traditions and etymological considerations.

Eine besondere Leistung dieses Schreibsystems MARTAALAR-BELLOTTO besteht darin, daß die Vokalquantitäten zum Ausdruck gebracht werden. Ferner wird zwischen offenem und geschlossenem e sowie o unterschieden. Die Graphie MARTAALAR-BELLOTTO ist daher in jeder Hinsicht aussprachebezogen, oder mit anderen Worten, man kann aus ihr in jedem Fall die Aussprache mit Eindeutigkeit entnehmen, was natürlich für den Zimbrischlernenden von immensem Vorteil ist.

A special quality of the Martaalar/Bellotto orthography is that vowel length is consistently marked. One is thus able to deduce the pronounciation from the writing.

Es ist vor diesem Hintergrund natürlich selbstverständlich, daß die meisten zimbrischen Bemühungen heute MARTAALAR-BELLOTTO zum Standard nehmen, und das ist gut so. Es kommt dadurch eine gewisse Vereinheitlichung auf hohem Niveau zustande, was vielleicht mancher beklagen mag, was aber besonders für schulische Zwecke praktisch unumgänglich ist.

Therefore the Martaalar/Bellotto system is usually taken as a standard today. A kind of unification on a high level takes place which has its advantages (chiefly on the didactic field) and disadvantages.

Und selbstverständlich folgt auch dieser vorliegende Kurs dem erstklassigen und weithin akzeptierten Standard von MARTAALAR-BELLOTTO.

It goes without saying that this course also follows the widely accepted standard of Martaalar/Bellotto.

2. Grundsätzliches über die Zischlaute im Zimbrischen

2. Basics about the sibilants in Cimbrian

Es wäre das alles wunderschön, wenn die ganze Sache nicht einen Haken hätte, und der steckt in den Zischlauten. Hier nämlich waren sich die beiden nicht einig. Während BELLOTTO eine Schreibung praktizierte, die großenteils mit der zimbrischen Schreibtradition sowie weiterhin mit der gesamten sowohl deutschen als auch italienischen Schreibtradition übereinstimmte, verfiel MARTAALAR bei den Zischlauten auf eine sehr eigenwillige und gegensätzliche Lösung.

Unfortunately, Martaalar and Bellotto were of different opinion on the topic of the sibilants. Whereas Bellotto used an orthography which is in line with Cimbrian as well as Italian and German writing tradition, Martaalar developed his own and very special system.

Man kann also bei den Zischlauten nicht von einer "MARTAALAR-BELLOTTO-Schreibnorm" sprechen, sondern hier gibt es nur entweder MARTAALAR s.str. oder BELLOTTO s.str., und wir müssen uns entscheiden, welche von beiden wir im vorliegenden Kurs verwenden wollen.

With regard to the sibilants there is thus a system Martaalar and a system Bellotto, and we must decide which of the two we will use.

Um die Dimension des ganzen Problems zu verdeutlichen, soll hier zunächst einmal etwas grundsätzliches zu den zimbrischen Zischlauten gesagt werden. Wir tun das mit einem umfangreichen Zitat aus KRANZMAYERs "Historischer Lautgeographie des gesamtbairischen Dialektraumes" (Böhlau, Wien, 1956). Dort heißt es auf Seite 88 in § 32.a.2. (Lautschrift von mir verändert):

In order to judge the matter properly we will first explain which sibilants there are in Cimbrian (after Kranzmayer: Historische Lautgeographie des gesamtbairischen Dialektraumes, Vienna 1956, p. 88):

"Seit der ausgehenden althochdeutschen Sprachperiode besaß das Bairische insgesamt vier verschiedene Zischlaute.

"Bavarian dialects have had four sibilants.

Erstens ein starkes s, das mit unserem schriftdeutschen Zischlaut der Wörter essen, Wasser, Fuß identisch ist und das in althochdeutsch-mittelhochdeutscher Zeit als z (mittelhochdeutsch ëzzen, wazzer, vuoz) geschrieben wurde, also ein reines Fortis-s; entstanden ist es durch die hochdeutsche Lautverschiebung aus germanischem t.

1.: a strong s (fortis), identical with the one in German essen, Wasser, Fuß, written z in Middle High German (ëzzen, wazzer, vuoz) and coming from Germanic t.

Zweitens ein stimmhaftes s, das zwischen sch wie in französisch jour (Tag) und s wie in bühnendeutsch Wiese lag, in althochdeutsch-mittelhochdeutscher Zeit als s geschrieben wurde und aus germanischem s in stimmhafter Umgebung um 750 entstanden ist, etwa in mittelhochdeutsch sehen (sehen), hase (Hase), wise (Wiese).

2.: a voiced s somewhere between j in French jour and s in High German Wiese, sehen, Hase, written s in Middle High German (wise, sehen, hase) and developed from Germanic around 750 s in voiced environment.

Drittens ein starkes, stimmloses s, das zwischen dem oben erwähnten s und sch lag, zum Beispiel in mist (Mist), haspel (Haspel); es wurde in althochdeutsch-mittelhochdeutscher Zeit gleichfalls als Buchstabe s geschrieben und ist auch aus germanischem s, diesmal aber in stimmloser Umgebung, entstanden.

3.: a voiceless s, between s no. 1 and sh, written s in Middle High German, e.g. mist, haspel, developed from Germanic s in voiceless environment.

Viertens schließlich jenen scharfen, vollen sch-Laut, wie er um die Mitte des 11. Jahrhunderts etwa in mittelhochdeutsch drëschen (dreschen), visch (Fisch) aus älterem sk (althochdeutsch drëskan, visk) entstanden war, und der heute noch in dreschen, Fisch und so weiter fortbesteht.

4.: the sharp sh-sound which came about in the 11th century from Old High German sk (drëskan > drëschen > dreschen, visk > visch > Fisch).

Diese alten Verhältnisse offenbaren uns die frühmittelhochdeutschen Lehnwörter in den Fremdsprachen und deutlicher die Konservierung in der altertümlichsten Mundart des Bairischen, im Zimbrischen der Sieben Gemeinden, das wir schon öfters als lebendiges Museum frühmittelhochdeutscher Sprachzustände kennengelernt haben. ... Das Zimbrische der Sieben Gemeinden hat, wie schon mehrfach erwähnt worden ist, seit 1600 seine eigene Schriftsprache. Deren Rechtschreibung beruht auf der altvenezianischen Orthographie, die ihrerseits wiederum wie die italienische Rechtschreibung auf den vulgärlateinischen Buchstabengebrauch zurückführt, von dem gleichzeitig auch die althochdeutsch-mittelhochdeutsche Orthographie ausgeht.

We can deduce the qualities of the sibilants from early Middle High German loan words in other languages and even better from Cimbrian which has preserved a lot from Middle High German. Cimbrian has existed as a written language since 1600. Its orthography derives from the old Venetian one, which in turn comes from popular Latin usage (which is also the source of Old/Middle High German orthography).

In dieser zimbrischen Schriftsprache werden nun die oben genannten Laute in folgender Weise transkribiert: ezzen, bazzer, vuuz; seghen, haso ... ; stoan, speck, huusta, haspel, mist, kerssa; dreschen, visch.

Wer wird durch diese Schreibungen nicht sofort an die Orthographie der alt- und mittelhochdeutschen Sprachperiode erinnert mit ihren korrespondierenden Schriftbildern mittelhochdeutsch ëzzen, wazzer, vuoz; sëhen, hase ... ; stein, speck, huoste, haspel, mist, kërsse; drëschen, visch?"

In Cimbrian we find for the above-mentioned words: ezzen, bazzer, vuuz; seghen, haso; stoan, speck, huusta, haspel, mist, kerssa; dreschen, visch which echo Middle High German writing."

Soweit KRANZMAYER. Wir ersehen daraus, welche herausragende und zugleich grundlegende Bedeutung die althergebrachte Schreibweise gerade für die zimbrischen Zischlaute hat.

It thus becomes clear how important the traditional writing is particularly for the Cimbrian sibilants.

Um bei der etwas unübersichtlichen Materie einen klaren Durchblick zu gewinnen, wollen wir die anstehende Problematik in einer Tabelle darstellen. Dabei entsprechen die Spalten 1 bis 4 in gleicher Reihenfolge den vier Zischlauten im soeben vorgetragenen Zitat KRANZMAYERs. Die zugehörigen Affrikate wurden als Spalten A und AA davorgesetzt.

To make it even clearer, here is a table (using Kranzmayer's numbering, adding the affricates under A and AA).

Es sei darauf hingewiesen, daß diese Tabelle nur zur groben Orientierung gedacht ist und mancherlei Ausnahmen existieren, wie das bei sprachlichen Erscheinungen fast immer der Fall ist. Sie gilt natürlich auch nur für deutschstämmige Wörter und alte Lehnwörter, nicht jedoch für Fremdwörter, sei es im Zimbrischen oder Schriftdeutschen.

Of course there are some exceptions (e.g. loan words).

Die Schreibung der Zischlaute (incl. Affrikaten)
Sibilants and affricates

 

A

AA

1

2

3

4

a) Schreibung des jeweiligen Lautes in der neuhochdeutschen Schriftsprache (Duden 2000)
contemporary High German orthography

tz
Katze

z
zählen

ss / ß / s
Wasser / Fuß / aus

s
Nase

s * / sch *
Stein / Schnee

sch
Schäfer / Fisch

b) mittelhochdeutsche Schreibung (normalisiert)
Middle High German orthography

tz
katze

z
zelen

zz / z
wazzer / vuoz / ûzfz

s
nase

s
stein / snê

sch
schæfære / visch

c) traditionelle zimbrische Schreibung
traditional Cimbrian orthography

tz
katza

z
zeelan

zz / z
bazzar / vuuz / auz

s
naasa

s
stoan / snea

sch
schaafar / visch

d) Schreibung nach BELLOTTO s.str. (wie im vorliegenden Kurs)
Bellotto's orthography

tz **
khatza

z
zeelan

ss / s
bassar / vuus / aus

s
naasa

s
stòan / snèa

sch
schaafar / visch

e) Schreibung nach MARTAALAR s.str.
Martaalar's orthography

tz **
khatza

s
seelan

ss / s
bassar / buus / aus

z
naaza

s
stòan / snèa

s / ss
saafar / biss

f) Aussprache im Zimbrischen
Cimbrian pronounciation

normales deutsches tz

stimmloses s
mit leicht vorgeschlagenem t
(siehe in Lektion 1 „Das zimbrische z ...“)

stimmhaft,
zwischen s und sch

stimmlos,
zwischen s und sch

normales deutsches sch

g) entsprechender Laut im Englischen
corresonding sound in English

tt / t
cat

t
tell

t
water / foot / out

s
nose

s
stone / snow

sh
shepherd / fish

h) Schreibung des betreffenden zimbrischen Lautes im Italienischen
Italian orthography of the Cimbrian sounds

zz

z

zz / z

s

s

sci

*: s in den Verbindungen sp, st, chs, dagegen sch in den Verbindungen schl, schm, schn, schw, rsch.
**: hierher auch die schriftdeutschen und traditionell zimbrischen einfachen  z nach Mitlaut: tantzan (=tanzen), hòltz (=Holz), gantz (=ganz) etc.

Drei wichtige Dinge kann man aus der Tabelle ohne weiteres sofort ersehen:

It follows that

Erstens sieht man, daß die traditionelle zimbrische Schreibung der Zischlaute, wie sie seit jeher und jahrhundertelang bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts üblich war (Zeile c), mit der mittelhochdeutschen (Zeile b) völlig übereinstimmt. Das ist nicht unwichtig, denn schließlich wird ja das Zimbrische gerade wegen seines altertümlichen Zustandes von vielen Freunden besonders geschätzt, sodaß es erfreulich ist, wenn das auch im Schriftbild zum Ausdruck kommt.

- the traditional writing of Cimbrian sibilants is in line with Modern and Middle High German orthography. This is nice since Cimbrian is famous for its archaic attire in other respects, too.

Zweitens sieht man sofort, daß auch die Zischlautschreibung nach BELLOTTO s.str. weitgehend der zimbrischen und mittelhochdeutschen Tradition folgt. Lediglich in Spalte 1 gibt es Abweichungen, die vermutlich in dem Bemühen um eine Annäherung an die schriftdeutsche Duden-Schreibweise entstanden.

- Bellotto follows German and Cimbrian tradition with the exception of column 1, possibly a tribute to German.

Drittens muß man erkennen, daß die Zischlautschreibung nach MARTAALAR s.str. weder mit der traditionell-zimbrischen (=mittelhochdeutschen), noch mit der neuhochdeutsch-schriftsprachlichen, noch mit der BELLOTTO s.str. - Schreibung übereinstimmt, sondern in fast jeder Hinsicht eigenwillig ist. Mit ihr müssen wir uns daher leider intensiver auseinandersetzen.

- Martaalar is not in line with the traditional Cimbrian/Middle High German orthography neither with Bellotto. We will therefore look a bit closer at this system.

3. Die Crux bei der Zischlautschreibung nach MARTAALAR

3. Problems about Martaalar's orthography of sibilants

Wir müssen mit Bedauern feststellen, daß es ganze zwölf gewichtige Gründe gibt, die massiv gegen eine Verwendung der Zischlaute von MARTAALAR s.str. sprechen.

I. Die Schreibung der Zischlaute nach MARTAALAR s.str. verläßt die mittelhochdeutsche Schreibtradition.

Betrachten wir die Spalten 1 bis 4 und AA, so stellen wir fest: Vier von fünf Lauten (=80%) stimmen überhaupt nicht mit der mittelhochdeutschen Schreibweise überein. (Die Spalte A lassen wir hier wie auch im folgenden unberücksichtigt, da hier die Schreibung in allen relevanten Schreibsystemen a bis e identisch ist.)

Diese Tatsache ist nicht unwichtig, denn viele Freunde des Zimbrischen kultivieren diese altehrwürdige Sprache gerade wegen ihres mittelhochdeutschen Charakters (näheres dazu in Ergänzungslektion E5), der natürlich nicht zuletzt auch im Schriftbild zum Ausdruck kommen sollte. Es ist daher sehr bedauerlich, daß die Zischlautschreibung nach MARTAALAR s.str. dieser zentralen Qualität des Zimbrischen frontal entgegengesetzt ist.

I. It deviates from the Middle High German orthographic tradition. This is bad since Cimbrian is near to Middle High German which should be observable also from its written form.

II. Die Schreibung der Zischlaute nach MARTAALAR s.str. wendet sich entschieden von der gesamten zimbrischen Schreibtradition ab.

Auch in dieser Hinsicht müssen wir leider wieder feststellen, daß 80 % aller Laute absolut nicht mit der traditionellen, althergebrachten zimbrischen Schreibweise übereinstimmen, wie sie seit einem halben Jahrtausend in Übung ist.

Eine solche 180-Grad-Kehrtwendung in der Schreibweise ist gerade für eine traditionsreiche Hoch- und Schriftsprache wie das Zimbrische (siehe Ergänzungslektion E2) besonders destruktiv, da sie einen tiefgreifenden Kulturbruch provoziert, indem die Benutzer des neuen Schreibsystems alle bisherige Literatur wegen stark behinderter Lesbarkeit verdrängen, mit allen daraus erwachsenden Konsequenzen für die kulturelle Diskontinuität.

II. It deviates from Cimbrian orthographic tradition.

III. Die Schreibung der Zischlaute nach MARTAALAR s.str. entfernt sich sehr weit von der neuhochdeutschen Schriftsprache.

In dieser Hinsicht müssen wir leider feststellen, daß 77 % aller Laute absolut nicht mit der Orthographie der neuhochdeutschen Schriftsprache übereinstimmen (die Spalten AA, 2 und 4 zur Gänze, Spalte 3 zur Hälfte und Spalte 1 zu einem Drittel).

Für das Zimbrische absolut gesehen mag dieser Umstand bedeutungslos sein. Für unsere Kursteilnehmer jedoch, die sich allesamt dem Zimbrischen von der neuhochdeutschen Schriftsprache her nähern, stellt eine solche Zischlautschreibung eine ganz erhebliche Behinderung dar.

Die Erfahrung zeigt aber, daß auch viele muttersprachlich welsche Personen, die das Zimbrische erlernen, dies vom Schriftdeutschen her tun, da aus dieser Richtung der Zugang zum Zimbrischen um ein Vielfaches leichter ist. In einer norditalienischen Tourismusregion, wie es das Zimbernland sicher ist, kann man von einem erheblichen Teil der Bevölkerung mehr oder minder umfangreiche Kenntnisse der neuhochdeutschen Schriftsprache erwarten. Selbstverständlich werden diese Kenntnisse bei der Aneignung des Zimbrischen in breitem Umfang nutzbringend angewendet, was aber leider durch eine schier diametral entgegengesetzte Zischlautschreibung gravierend behindert würde.

III. It deviates quite markedly from Modern High German. This is a disadvantage for the students of Cimbrian since these mostly have some knowledge of German.

IV. Die Schreibung der Zischlaute nach MARTAALAR s.str. brüskiert die gute Arbeit der 13 Gemeinden.

Wie wir in der letzten Ergänzungslektion E2 gesehen haben, hat das Zimbrische der 13 Gemeinden keine vergleichbar alte und lange Schrifttradition wie das klassische Zimbrisch der Sieben Gemeinden. Heute jedoch wird das "Tautsch" der 13 Gemeinden natürlich auch schriftlich gefaßt, und dazu bedient man sich anerkennenswerterweise der klassischen zimbrischen Schreibweise, wie sie seit fünf Jahrhunderten in der zimbrischen Schriftsprache der Sieben Gemeinden in Übung ist.

Daß MARTAALARs Zischlaute damit zu 80 % nicht übereinstimmen, haben wir bereits unter Punkt II. mit Bedauern feststellen müssen.

Es hieße der zimbrischen Sache Hohn sprechen, würden die Sieben Gemeinden, nachdem ihre altehrwürdige Schreibweise von den 13 Gemeinden übernommen wurde, nun selbst eine neue und völlig anders geartete Schreibung einführen wollen.

IV. It is of special disadvantage for the 13 Communities who have adopted the classical orthography of the 7 Communities.

V. Die Schreibung der Zischlaute nach MARTAALAR s.str. verschließt sich gegen die Zimbern von Lusern.

Wie wir in der letzten Ergänzungslektion E2 gesehen haben, hat auch das Zimbrische von Lusern keine vergleichbar alte und lange Schrifttradition wie das klassische Zimbrisch der Sieben Gemeinden. Heute jedoch wird das "Slambròt" von Lusern natürlich auch schriftlich gefaßt, und dazu bedient man sich eines Schreibsystems, dessen Zischlaute weitgehend der schriftdeutschen Duden-Schreibung angenähert sind.

Daß MARTAALARs Zischlaute damit größtenteils nicht übereinstimmen, haben wir bereits unter Punkt 3 mit Bedauern feststellen müssen.

Ist es sinnvoll und zielführend, wenn sich die drei zimbrischen Sprachinseln durch möglichst divergierende Orthographie gegeneinander abzugrenzen und zu isolieren versuchen? Einen derartigen Vorwurf kann man jedenfalls der MARTAALARschen Zischlautschreibung nicht ersparen.

V. It is against the interests of the Cimbrians of Lusern who are using an orthography modelled on the High German sytem.

VI. Die Schreibung der Zischlaute nach MARTAALAR s.str. sondert sich von der italienischen Schriftsprache ab

Auch in dieser Hinsicht müssen wir anhand von Zeile h) unserer Tabelle leider wieder feststellen, daß 80 % aller Laute absolut nicht mit den Schreibgewohnheiten der italienischen Schriftsprache übereinstimmen.

Dieser Umstand ist besonders zu bedauern, da die meisten Personen ihren Zugang zum Zimbrischen vom Italienischen her finden. Es kann der zimbrischen Sache nicht dienlich sein, wenn man versucht, diesen Zugang durch eine aberrante Schreibweise nach Kräften zu erschweren.

Wie wir aus dem umfangreichen Zitat KRANZMAYERs ersehen konnten, ist die herkömmliche zimbrische Schreibung aus der venezianischen entstanden und war traditionell stets in diese eingebettet. Es wäre sehr schade, wenn dieser viele hundert Jahre alte, freundschaftliche und unproblematische Konnex mit der venezianischen Kultur nun durch die Einführung einer inkompatiblen Orthographie empfindlich gestört würde.

VI. It deviates from Standard Italian. This is deprorable since the ties of Cimbrian with Venetian have always been very strong.

VII. Die Schreibung der Zischlaute nach MARTAALAR s.str. ist nicht etymologisch

Während alle anderen Schreibsysteme des Zimbrischen einen gewissen Einblick in die lautgeschichtliche Herkunft der Zischlaute gewähren, ist dies bei den Zischlauten MARTAALARs unmöglich. Dies hat leider zur Folge, daß Leuten mit mehr oder minder umfangreichen Deutschkenntnissen, also auch einem großen Teil der welschen Bevölkerung des touristisch gut erschlossenen Zimbernlandes, der Zugang zum Zimbrischen erheblich erschwert wird. A fortiori gilt dies natürlich für die Teilnehmer des vorliegenden Zimbrischkurses.

Wer würde z.B. bei dem zimbrischen Wort satz vermuten, daß dieses mit unserem wohlbekannten Wort Schatz identisch ist?

Wer käme bei süntan auf die Idee, daß es sich um unser zünden handelt?

Und andersherum: Wer würde bei dem zimbrischen Wort züntan nicht gleich und ohne weiteres an unser zünden denken, obwohl es in Wirkichkeit sündigen bedeutet?

Obendrein werden durch diese merkwürdigen Zischlaute auch noch unnötige Homonyme geschaffen wie z.B. das Wort seelan, das sowohl zählen als auch schälen bedeutet, oder sait, das sowohl Zeit als auch Scheit bedeutet.

VII. It is not etymological which is a disadvantage for interested people with knowledge in German.

VIII. Die Schreibung der Zischlaute nach MARTAALAR s.str. ist nicht lautgetreu

Sowohl die traditionelle zimbrische Schreibweise (Zeile c) als auch die Schreibung nach BELLOTTO s.str. (Zeile d) bringen die Aussprache eindeutig zum Ausdruck, wie wir ja bereits in Lektion 1 feststellen konnten. Man kann also von jedem geschriebenen zimbrischen Wort mit Eindeutigkeit die korrekte Aussprache entnehmen, ohne daß man dazu eine zusätzliche Angabe benötigt, wie dies etwa im Englischen der Fall ist. Es braucht gewiß nicht näher erläutert zu werden, welch kolossale Erleichterung das für den Zimbrischlernenden darstellt.

Leider gewähren MARTAALARs Zischlaute diesen Lernvorteil nicht. So werden z.B. die Wörter nass (=nass) und tiss (=Tisch) mit dem selben ss geschrieben, obwohl die beiden Zischlaute grundverschieden ausgesprochen werden. Gleiches gilt z.B. auch für die Wörter sanga (=Zange) und sante (=Schande).

Hier ist der Deutschsprachige noch ein wenig im Vorteil, da er, wenngleich umständlich, aufs Schriftdeutsche rekurrieren und hierdurch die Aussprache erschließen kann. Dem Welschen hingegen ist auch dieser Weg verschlossen. Er müßte die Aussprache besonders dazulernen, aber woher? In MARTAALARs Wörterbuch sind bei den einzelnen Lemmata keine Ausspracheangaben zu finden.

VIII. It is not phonological: Sibilants no. 1 and 4 (Kranzmayer's numbering, see above) are written in the same way.

IX. Die Schreibung der Zischlaute nach MARTAALAR s.str. kann nicht konvertiert werden.

Die Zischlaute der Schriftsysteme a) b) c) d) können bei Bedarf jederzeit nach festen Regeln ineinander umgewandelt werden, mit Ausnahme der inkonsequenten einfachen s in Spalte 1.

Anders die Zischlaute von MARTAALAR s.str. -  Zwar kann man jedes der Schreibsysteme a) bis d) nach einfachen Regeln in das MARTAALAR'sche System e) überführen, aber dieses kann nicht nach irgendwelchen Regeln in eines der davorstehenden Schreibsysteme zurückgeführt werden, da man ja aus keiner Regel ableiten kann, ob einem s der Zeile e) ein z oder ein sch der vorhergehenden Zeilen entspricht. Ebensowenig kann man ableiten, ob einem ss der Zeile e) ein sch oder ein ss bzw. zz der vorhergehenden Zeilen entspricht. Der Deutschsprechende hat immerhin noch gewisse Chancen, das zugrundeliegende schriftdeutsche Wort zu erraten, und von diesem her dann die entsprechende Schreibweise für die Schreibsysteme a) bis d) abzuleiten, obwohl ich es beispielsweise sehr schwierig finde, hinter einem MARTAALAR'schen biss das deutsche Wort Fisch zu erraten.

Dem Welschen hingegen steht selbst diese Möglichkeit nicht offen, sodaß er völlig aufgeschmissen ist: Wenn er sich ein zimbrisches Wort nach der Schreibung MARTAALARs angeeignet hat, zum Beispiel aus MARTAALARs Wörterbuch, dann weiß er nicht und kann auch nicht ermitteln, wie dieses Wort nach BELLOTTO s.str. oder in der herkömmlichen zimbrischen Orthographie oder im Schriftdeutschen geschrieben wird, und somit kann er auch die Aussprache nicht ermitteln.

Die Zischlautschreibung nach MARTAALAR s.str. ist daher eine Einbahnstraße, in die man zwar billig hineinkommt, wo es aber kein Zurück mehr gibt. Wir Biologen nennen soetwas eine evolutionäre Sackgasse.

IX. It is therefore not convertible into the other systems.

X. Die Schreibung der Zischlaute nach MARTAALAR s.str. verschließt ihrem Benutzer über 90 % des zimbrischen Schrifttums.

Hier sei im Vorgriff auf die nächste Ergänzungslektion E4 (mit ausführlichen bibliographischen Angaben) nur das Relevante knapp skizziert:

Die gesamte zimbrische Literatur bis zum Jahr 1974 wurde ziemlich einheitlich in der klassischen, traditionellen zimbrischen Graphie abgefaßt. Als dann 1974 MARTAALARs Wörterbuch erschien, wurde in der Folge ein kleinerer Teil der neu erschienenen zimbrischen Schriften (weniger als die Hälfte) mit der Zischlautschreibung des MARTAALAR'schen Systems abgefaßt. Es sind dies neben MARTAALARs Wörterbuch nur zwei umfangreichere Werke: das Meßbuch und das Johannesevangelium.

Es ist eine besondere Ironie des Schicksals, daß alle umfangreicheren Texte von MARTAALAR selbst, mit Ausnahme seines Wörterbuches, in der Zischlautschreibung von BELLOTTO s.str. publiziert wurden. Es sind dies: das Lukasevangelium, die "Racconti di Luserna", die Fabeln des Gavàttar Jekkelle, der "Altar Khnòtto", "in de sélbe èerda" und die Sammlung seiner kleineren Werke, welche 1984 von RAPELLI in Heft 58 von Terra Cimbra publiziert wurde.

Dieser Umstand ist von besonderer Bedeutung. Wie wir zu Beginn dieser Lektion in Kapitel 1 festgestellt haben, ist MARTAALAR völlig zu Recht der zimbrische Standard schlechthin, sozusagen der Cicero des Zimbrischen, an dem sich heute fast alle zimbrischen Bemühungen ausrichten und dem selbstverständlich auch dieser Zimbrischkurs folgt. Zu einem sprachlichen Standard gehört aber nicht nur ein Wörterbuch (mit Kurzgrammatik), sondern auch und zuallererst möglichst umfangreiche Standardtexte, um den Sprachgebrauch dokumentieren zu können. Und die Standardschreibung dieser Standardtexte ist BELLOTTO s.str.

Könnte man es verantworten, Zimbrischlernenden eine Schreibung einzutrichtern, die ihnen über 90 % des zimbrischen Schrifttums und gerade auch die zentralen Standardschriften MARTAALARs verschließt oder zumindest den Zugang ganz gravierend erschwert? - Ich jedenfalls könnte das nicht verantworten, und daher folgt dieser Zimbrischkurs der Zischlautschreibung von BELLOTTO s.str.

X. It makes reading of almost all Cimbrian works (including even most works by Martaalar) very difficult. Only Martaalar's dictionary, the Missal and St. John's Gospel use Martaalar's system.

XI. Die Schreibung der Zischlaute nach MARTAALAR s.str. ist dem Tode geweiht.

Wie wir im vorletzten Punkt IX. gesehen haben, ist die Zischlautschreibung nach MARTAALAR s.str. eine evolutionäre Sackgasse. Doch nicht nur aus diesem inneren Grund ist ihr die Zukunft verbaut. Es zeichnen sich auch bereits äußere Faktoren ab, die ihr das Licht ausblasen werden.

In diesem Zusammenhang lohnt es sich, das von Hugo RESCH verfaßte deutsche Vorwort zu MARTAALARs Wörterbuch zu lesen. Darin wird unter anderem auch das "Vergleichende Wörterbuch des Zimbrischen" vorgestellt, welches zur Zeit im Auftrag des Curatorium Cimbricum Bavarense erstellt wird. Es wird über ca. 60000 (in Worten: sechzigtausend!) Lemmata verfügen und daher mit Abstand das umfangreichste zimbrische Wörterbuch sein, das je erschienen ist. Es wird dreisprachig sein (zimbrisch/italienisch/deutsch) und auf CD-Rom erscheinen und mit umfangreichen Suchroutinen und Zugriffsmöglichkeiten in allen drei Sprachen ausgerüstet sein. Selbstverständlich wird auch MARTAALARs Wörterbuch darin vollständig eingearbeitet sein, und selbstverständlich wird es die Zischlaute von BELLOTTO s.str. verwenden.

Mit dem Erscheinen dieses kolossalen Werkes ist in den nächsten zehn Jahren zu rechnen. Es steht völlig außer Zweifel, daß es nach seinem Erscheinen alle zimbrischen Bemühungen nachhaltig beeinflussen und grundlegend prägen wird. Es wird einen neuen Standard setzen, und dieser wird kein anderer sein als der von MARTAALAR-BELLOTTO mit den Zischlauten von BELLOTTO s.str.

Im deutschen Vorwort von MARTAALARs Wörterbuch bezeichnet Hugo RESCH dessen Orthographie als "eine eigenständige Schreibweise" und "eine sehr originelle Lösung, die zu mindestens 90 % auch vom 'Vergleichenden Wörterbuch des Zimbrischen' übernommen werden wird." Das soll heißen: Die Schreibung von MARTAALAR wird übernommen mit Ausnahme der Zischlaute und des Tobàllarischen b (siehe dazu das übernächste Kapitel).

Den gleichen Weg geht auch der vorliegende Zimbrischkurs bereits im Vorgriff auf das künftige Werk, das Maßstäbe setzen wird.

XI. It will be used even less in future: The voluminous Comparative Dictionary of Cimbrian which is being written at the moment and which will set the standard for the next generations also uses the Bellotto system.

XII. Die Schreibung der Zischlaute nach MARTAALAR s.str. ist ein eigenwilliges Artefakt.

Mit der soeben zitierten Bezeichnung "eigenständige Schreibweise" und "sehr originelle Lösung" will RESCH auf taktvolle Weise mit euphemistischen Worten zum Ausdruck bringen, daß die Zischlautschreibung eine auffällige Eigenwilligkeit des ansonsten hochverdienten und unantastbaren Großmeisters MARTAALAR darstellt.

In der Tat muß man feststellen: Nach vier Jahrhunderten zimbrischer Schriftkultur und relativ einheitlicher Zischlautschreibung hat MARTAALAR 1974 künstlich am Schreibtisch ein völlig eigenwilliges System der Zischlautschreibung entwickelt, das sich von der gesamten zimbrischen, deutschen und italienischen Schreibtradition völlig abkehrt.

Keiner Sprache und keiner Schriftkultur tut so etwas gut.

Wir können daher dem großen und hochverehrten Meister in diesem einen und praktisch einzigen Punkt leider nicht folgen.

XII. The Martaalar system is a rather bizarre invention of the otherwise venerated master.

4. Die Zischlautschreibung in der Praxis

4. Practical orthography of sibilants

Wir fassen für die Praxis zusammen:

Unser Schreibsystem ist MARTAALAR-BELLOTTO.

We will thus follow the Martaalar-Bellotto orthography.

Da dies bei den Zischlauten nicht möglich ist, weil es hier nur entweder MARTAALAR s.str. oder BELLOTTO s.str. gibt, müssen wir uns für eine der beiden Alternativen entscheiden.

Es gibt zwölf gravierende und fundamentale Gründe, die Zischlautschreibung von MARTAALAR s.str. abzulehnen.

Wir benutzen daher wohlbegründet die Zischlautschreibung von BELLOTTO s.str.

As to the sibilants, we have to decide between Martaalar's and Bellotto's system. There are good reasons to opt for Bellotto's system.

Die Zischlautschreibung des Mittelhochdeutschen und der klassischen zimbrischen Schriftsprache (Zeilen b und c unserer Zischlauttabelle) sind identisch. Die übrigen Zischlaut-Schreibsysteme können wie folgt ineinander konvertiert werden:

Now follow instructions about how to convert the different orthograohies of sibilants into one another:

Middle High German and Classical Cimbrian (lines b and c in the table above) are identical.

Von der klassischen zimbrischen Schreibung ins System BELLOTTO s.str.:

zz wird zu ss

ein einfaches z nach Selbstlaut wird zu s

ein einfaches z nach Mitlaut wird zu tz

alles andere bleibt

Traditional Cimbrian converted to Bellotto's system (c > d):

zz > ss,
z after vowel > s,
z after consonant > tz.

Vom System BELLOTTO s.str. in die klassische zimbrische Schreibung:

ss wird zu zz

ein einfaches s an der Stelle eines schriftdeutschen ß und/oder eines englischen t wird zu z

ein tz nach Mitlaut wird zu z

alles andere bleibt

Bellotto's system converted to traditional Cimbrian (d > c):

ss > zz,
s in the place of German ß and/or English t > z,
tz after consonant > z.

Von der schriftdeutschen Orthographie Duden 2000 ins System BELLOTTO s.str.:

sch in den Verbindungen schl, schm, schn, schw, rsch wird zu s

ß wird zu s

ein einfaches z nach Mitlaut wird zu tz

alles andere bleibt

German 2000 converted to Bellotto's system (a > d):

sch in schl, schm, schn, schw, rsch > s,
ß > s,
z after consonant > tz.

Vom System BELLOTTO s.str. in die schriftdeutsche Orthographie Duden 2000:

s in den Verbindungen sl, sm, sn, sb, rs wird zu sch

ein einfaches s an der Stelle eines englischen t wird zu ß oder s

tz nach Mitlaut wird zu z

alles andere bleibt

Bellotto's system converted to German 2000 (d > a):

s in sl, sm, sn, sb, rs > sch,
simple s in place of English t > ß / s,
tz after vowel > z.

Von der klassischen zimbrischen Schreibung in die schriftdeutsche Orthographie Duden 2000:

s in den Verbindungen sl, sm, sn, sb, rs wird zu sch

zz wird zu ss

ein einfaches z nach Selbstlaut wird zu ß oder s

alles andere bleibt

Traditional Cimbrian orthography converted to German 2000 (c > a):

s in sl, sm, sn, sb, rs > sch,
zz > ss. z after vowel > ß / s,

Von der schriftdeutschen Orthographie Duden 2000 in die klassische zimbrische Schreibung:

sch in den Verbindungen schl, schm, schn, schw, rsch wird zu s

ss wird zu zz

ß wird zu z

ein einfaches s am Wortende an der Stelle eines englischen t wird zu z

alles andere bleibt

German 2000 converted to traditional Cimbrian (a > c):

sch in schl, schm, schn, schw, rsch > s,
ss > zz,
ß > z,
word-final s in place of English t > z.

Von der klassischen zimbrischen Schreibung ins System MARTAALAR s.str.:

tz bleibt tz

zz wird zu ss

sch wird am Wortanfang zu s, sonst zu s oder ss

stimmhaftes s (vor oder zwischen Selbstlauten) wird zu z

die übrigen s bleiben s

ein einfaches z nach Mitlaut wird zu tz

die übrigen z werden zu s

Traditional Cimbrian orthography converted to Martaalar's system (c > e):

zz > ss,
word-initial sch > s. otherwise s / ss,
voiced s > z,
z after vowel > tz, otherwise s.

Vom System BELLOTTO s.str. zum System MARTAALAR s.str.:

tz bleibt tz

ein einfaches z wird zu s

ss bleibt ss

sch wird am Wortanfang zu s, sonst zu s oder ss

ein stimmhaftes s (vor oder zwischen Selbstlauten) wird zu z

die übrigen s bleiben s

Bellotto's system converted to Martaalar's system (d > e):

z > s,
word-initial sch > s. otherwise s / ss,
voiced s > z.

Von der schriftdeutschen Orthographie Duden 2000 ins System MARTAALAR s.str.:

tz bleibt tz

ss bleibt ss

ß wird zu s

sch in den Verbindungen schl, schm, schn, schw, rsch wird zu s

die übrigen sch werden am Wortanfang zu s, sonst zu s oder ss

stimmhaftes s (vor oder zwischen Selbstlauten) wird zu z

die übrigen s bleiben s

ein einfaches z nach Mitlaut wird zu tz

ein einfaches z am Wortanfang wird zu s

German 2000 converted to Martaalar's system (a > e):

ß > s,
sch in schl, schm, schn, schw, rsch > s,
other word-initial sch > s, otherwise s / ss
voiced s > z,
word-initial z > s,
z after vowel > tz.

Vom System MARTAALAR s.str. in die anderen drei Schreibsysteme (klassische zimbrische Schreibung, System BELLOTTO s.str., schriftdeutsche Orthographie Duden 2000):

Konvertierung nicht nach Regeln ableitbar!

Man muß eines dieser drei Zielsysteme gut kennen, um zu wissen, wie das betreffende verwandte Wort dort geschrieben wird. Dann kann man davon die Schreibung in einem der anderen beiden Zielsysteme ableiten. Für die Teilnehmer dieses Zimbrischkurses ist das möglich, da sie die schriftdeutsche Orthographie Duden 2000 kennen. Ein italienischer Zimbrischlernender jedoch, falls er die schriftdeutsche Orthographie nicht kennt, befindet sich hier bei der Benutzung des Wörterbuches und des Schreibsystems von MARTAALAR s.str. in einem way of no return, wie wir oben schon unter Punkt IX mit Bedauern  feststellen mußten, da er die zimbrische Zischlautschreibung MARTAALARs nicht konvertieren kann und damit natürlich auch die Aussprache nicht ermitteln kann.

Die Zischlautschreibung nach BELLOTTO s.str. hingegen ist von diesem Problem weitgehend frei. "Weitgehend" heißt: Wenn man genau hinschaut, dann stellt man fest, daß wir bei der Konvertierung der einfachen s aus Spalte 1 teilweise sogar bis ins Englische zurückgreifen mußten. Die Zischlaute dieser Spalte wurden von BELLOTTO, mit welchen Motiven auch immer, aus der klassischen zimbrischen Schreibung herausgenommen und der schriftdeutschen Orthographie angenähert, was ihre Konvertierbarkeit nicht unerheblich beeinträchtigte.

Ich möchte mir daher an dieser Stelle eine persönliche Anmerkung erlauben: Ich finde diese Annäherungsbemühung auf Kosten des klassischen zimbrischen Schriftbildes in keinster Weise erforderlich. Sie verbessert weder den etymologischen Durchblick, noch führt sie zu einer besseren Konvertierbarkeit von zimbrischen Zischlauten in die schriftdeutschen, denn daß dem zimbrischen zz ein schriftdeutsches ss entspricht, wußte man bei der klassischen zimbrischen Orthographie auch schon, dazu brauchte man dieses zz nicht in ein ss zu verwandeln. Und welchem zimbrischen Buchstaben ein schriftdeutsches ß entspricht, wird durch BELLOTTO s.str. auch nicht klarer, sondern da hilft ohnehin nur, daß man das betreffende schriftdeutsche Wort sowieso schon kennt. Einen erkennbaren Nachteil jedoch, wenngleich um eine ganze Dimension geringfügiger als bei MARTAALAR s.str., bringt BELLOTTOs Zischlautschreibung der Spalte 1 für die Ablesbarkeit der Aussprache. Was nämlich in der traditionellen zimbrischen Schreibweise mit z oder zz geschrieben wird (Spalten AA und 1), wird auch alles ziemlich gleich ausgesprochen. Eine Unterscheidung in Spirans und Affrikata macht hier wenig Sinn. Die herkömmliche Schreibweise gibt daher gerade dem welschen Zimbrischlernenden einen sicheren Hinweis auf die Aussprache der Laute in Spalte 1, wohingegen BELLOTTOs Schreibung der einfachen s in Spalte 1 den welschen Schüler alleine läßt, da er ja nicht, wie unsere deutschsprachigen Kursteilnehmer, aufs Schriftdeutsche rekurrieren kann. BELLOTTOs Schreibung der Zischlaute in Spalte 1 halte ich daher für ein klein wenig mißglückt. Dennoch werden wir uns aber in diesem Kurs daran halten, da es sich um eine gut eingeführte Norm handelt, der ich angesichts der ohnehin schon komplizierten Situation nicht auch noch die Eigenwilligkeit einer "Schreibung nach GEISER s.str." hinzufügen will. Ich hätte aber sehr großes Verständnis dafür, wenn andere die Laute der Spalte 1 traditionell-zimbrisch schreiben, und könnte mir auch gut vorstellen, daß bei einer künftigen zimbrischen Schriftreform in diesem Punkt wieder zur zimbrischen Tradition zurückgekehrt wird.

5. Das Tobàllarische b

Das Tobàllarische b ist eigentlich keine Frage der Orthographie, sondern einer abweichenden Ortsmundart. Wir behandeln es aber hier, da die problematischen Aspekte praktisch die gleichen sind wie bei einer abweichenden Schreibung.

Wir knüpfen hier an das an, was wir im letzten Kapitel der vorigen Ergänzungslektion E2 unter der Überschrift "Ist das Zimbrische der Sieben Gemeinden in sich einheitlich?" erörtert haben. Das Studium dieses Kapitels sei also hier ausdrücklich nocheinmal empfohlen.

Was ist das Tobàllarische b ?

Wie bekannt, entspricht jedem schriftdeutschen w im Zimbrischen ein b. Weiters entspricht einem schriftdeutschen f oder v ein standardzimbrisches v, welches auf italienische Art wie unser schriftdeutsches w ausgesprochen wird.

Im heutigen Dialekt von Tobàlle entspricht jedoch nicht nur dem schriftdeutschen w, sondern auch dem schriftdeutschen f und v ein b, das wir in diesen beiden Fällen, wenn es also an der Stelle eines schriftdeutschen f oder v steht, als Tobàllarisches b bezeichnen.


Sehen wir uns das in übersichtlicher Tabellenform an:

schriftdeutsch            standardzimbrisch                                         Tobàllarisch

w                                 b                                                                      b

warm                           barm                                                                barm

f                                   v (Aussprache wie schriftdeutsches w)        b (Tobàllarisches b)

faul                              vaul                                                                 baul

v                                  v (Aussprache wie schriftdeutsches w)        b (Tobàllarisches b)

viel                              viil                                                                   biil

Die zeitliche und räumliche Verbreitung des Tobàllarischen b

Fest steht: Im Ortsteil Tobàlle der Gemeinde Robaan ist diese Lautung seit der Mitte des 20. Jahrhunderts überwiegend gebräuchlich.

In den übrigen nordwestlich des Ass-Tales gelegenen Orten (Ròtz mit den Ortsteilen Purkh und Aspach, sowie der Hauptort der Gemeinde Robaan) ist das Tobàllarische b seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ebenfalls nachweisbar, aber gleichfalls nicht als ausschließliche Lautung.

Der Lautübergang von der zimbrischen Standardlautung v zum Tobàllarischen b erfolgte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, was von KRANZMAYER in seiner "Laut- und Flexionslehre der deutschen zimbrischen Mundart" auf Seite 44 in §5E2b dokumentiert wurde. Damals war es bereits ein fast geschlossenes b.

Vor dem 20. Jahrhundert ist das Tobàllarische b nirgends nachweisbar. Wie wir im letzten Kapitel der Ergänzungslektion E2 gesehen haben, sind vom 18. und 19. Jahrhundert sehr wohl Texte von Autoren aus den Orten nordwestlich des Ass-Tales überliefert, doch das Tobàllarische b findet sich darin nicht.

Auch in den südöstlich des Ass-Tales gelegenen Teilen der Sieben Gemeinden, also im Großteil des Gesamtgebietes einschließlich des prägenden und normierenden Hauptortes Sleeghe, konnte das Tobàllarische b nirgends und niemals nachgewiesen werden, weder im 20. Jahrhundert noch davor.

Wie verhalten sich MARTAALAR-BELLOTTO?

Alfonso BELLOTTO hat in seinen zimbrischen Texteditionen (Lukasevangelium, Racconti di Luserna) ganz selbstverständlich die standardzimbrische v-Schreibung verwendet, obwohl der Gewährsmann seiner Texte, Bèrto MARTAALAR, ein Tobàllar war. Lediglich beim zimbrischen Tagebuch der Costantina ZOTTI benutzte er das Tobàllarische b, weil er in diesem Fall ausdrücklich den spezifischen Ortsdialekt von Tobàlle dokumentieren wollte.

Bèrto MARTAALAR selbst hat im ersten Band seines zimbrischen Wörterbuches die Intention verfolgt, den spezifischen Ortsdialekt von Tobàlle zu dokumentieren, wie er selbst auf Seite 9 (unten) dieses ersten Bandes feststellt: "Ich hielt es für geboten, mich streng an die lebende Sprache der Einwohner dieses Ortes zu halten." Im deutschen Vorwort dazu wird es sogar ausdrücklich als "Wörterbuch von Mezzaselva" bezeichnet.

Im zweiten Band jedoch, den er kurz vor seinem Tode verfaßte, war er zu seiner gereifteren und letztgültigen Erkenntnis gelangt, daß nämlich die standardzimbrische v-Schreibung eigentlich die maßgebende ist, und hat sie bei jedem betreffenden Wort gleichberechtigt neben die Tobàllarische b-Schreibung gesetzt.

Man kann also keinesfalls behaupten, die Schreibweise MARTAALAR-BELLOTTO favorisiere generell das Tobàllarische b, sondern muß festhalten, daß beide Autoritäten die standardzimbrische v-Schreibung als Norm anerkannt und als solche auch praktiziert haben.

Wie ist das Tobàllarische b zu beurteilen?

Im Kapitel 3 dieser Lektion haben wir insgesamt XII schwerwiegende Gründe erörtert, die frontal gegen die Zischlautschreibung von MARTAALAR s.str. sprechen.

Die meisten dieser Gründe sprechen in gleicher Intensität auch gegen das Tobàllarische b. Es wäre jedoch müßig, sie hier noch einmal der Reihe nach ausführlich abzuhandeln. Zur ausführlichen Argumentation sei stattdessen auf das obige Kapitel verwiesen. Hier hingegen sollen die allerwichtigsten davon nur noch einmal stichwortartig angeführt werden:

Das Tobàllarische b weicht gravierend vom klassischen zimbrischen Standard ab.

Das Tobàllarische b erschwert den etymologischen Durchblick.

Das Tobàllarische b kann nach keiner Regel in die zimbrische Standardschreibung zurückkonvertiert werden.

Das Tobàllarische b verschließt seinem Anwender den Zugang zu über 90 % der zimbrischen Literatur.

Das Tobàllarische b wird niemals zur Norm werden.

Wir stehen hier also wieder vor der gleichen Situation wie bei den Zischlauten von MARTAALAR s.str.: Wer sich das Tobàllarische b aneignet, dem verschließt sich fast die ganze zimbrische Literatur, er legt sich auf eine örtliche Variante fest, die nie zur Norm werden wird (wegen des künftigen "Vergleichenden Wörterbuches des Zimbrischen", welches natürlich das Standardzimbrische zugrundelegt, s.o.), und er kann die zimbrische Lokalform, die er sich angeeignet hat, nach keinerlei Regeln mehr in das Standardzimbrische rückverwandeln.

Wobei im letzteren Punkt die Teilnehmer dieses Kurses aufgrund ihrer Kenntnisse des Schriftdeutschen insofern privilegiert sind, als sie ja aus dem jeweils verwandten schriftdeutschen Wort die standardzimbrische v-Lautung an der Stelle von f oder v erschließen können. Dem welschen Zimbrischlernenden ist jedoch auch dieser Weg versagt, sodaß die Benutzung des ersten Bandes von MARTAALARs Wörterbuch für ihn in eine Sackgasse ohne Ausweg führt.

Wir haben also allen Grund, in diesem Kurs die standardzimbrische v-Lautung und v-Schreibung zu benutzen, zumal sie ja auch von MARTAALAR-BELLOTTO, denen wir folgen, als Norm anerkannt und praktiziert wird.

6. Sonstige Abweichungen

Außer den bisher behandelten grundlegenden Problemen gibt es noch einige weniger bedeutsame Punkte, in denen MARTAALAR-BELLOTTO keine einheitliche Linie bieten. Wir müssen uns daher auch für diese Fälle überlegen, wie wir es halten wollen.

In allen Fällen, in denen unterschiedliche Angaben darüber vorliegen, ob ein e/ee bzw. o/oo einen Akut oder einen Gravis für geschlossene oder offene Aussprache erhalten soll, richten wir uns strikt nach dem Wörterbuch von MARTAALAR, da er ja der native speaker und der zuverlässige Gewährsmann ist.

Ebenso verfahren wir bei der Frage, ob ein Selbstlaut durch Verdoppelung als lang zu kennzeichnen ist.

Zwischen MARTAALAR und BELLOTTO ist auch umstritten, ob zimbrische Wörter auf -g enden können oder ob stattdessen immer ein -kh zu schreiben und zu sprechen ist. Wir entscheiden uns für die Endung -kh anstelle von -g an allen betreffenden Wortenden, da dies der zimbrischen Tradition besser entspricht.

Enklitika trennen wir immer mit einem Bindestrich ab, um sie besser sichtbar und verständlich zu machen, also zum Beispiel Bas tüü-bar? statt Bas tüübar? (=Was tun wir?).

Wenn der Selbstlaut der Silbe vor dem Enklitikon ein unbetontes e ist, dann setzen wir stattdessen ein unbetontes a, wie es BELLOTTO im Vorwort zum Lukasevangelium erläutert hat: khimmat-ar statt khimmet-ar (=kommt er/ihr).

Überflüssige Akzente auf Silben, deren Betonung ohnehin nach der Regel klar ist, vermeiden wir, um das Schriftbild und den Leser nicht unnötig zu belasten; also zum Beispiel gatoofet statt gatóofet (=getauft) und laita statt làita (=Hang).

Es gibt bei MARTAALAR-BELLOTTO unterschiedliche Auffassungen darüber, ob das Hilfszeitwort sainan (=sein) mit ai oder mit ei zu schreiben ist. Da die beiden Autoren den ei-Laut jedoch in allen übrigen zimbrischen Wörtern stets durch ai ausdrücken, auch wenn darauf ein Nasal folgt, sehe ich keinen Grund, bei sainan anders zu verfahren. Wir schreiben es daher immer mit ai.

Es gibt auch keinen Grund, bei einem langen und daher verdoppelten Umlaut nur den ersten der beiden als Umlaut zu schreiben, als ob der zweite nicht umgelautet wäre. Wir schreiben daher, um klare Verhältnisse zu schaffen und den Leser nicht zu verwirren, beide gleich; also zum Beispiel schüüran statt schüuran (=schüren).

Der zimbrische Laut, der dem schriftdeutschen eu und äu entspricht, wird bei MARTAALAR-BELLOTTO teils mit oi, teils mit oj und teils mit wiedergegeben. Wir benutzen stets das , weil es sowohl der zimbrischen als auch mittelhochdeutschen als auch neuhochdeutschen Tradition sowie auch der klassischen zimbrischen Aussprache besser entspricht.

7. Quintessenz

Die Schreibung des Zimbrischen hat durch das System MARTAALAR-BELLOTTO sehr viel an Vereinheitlichung und getreuer Lautwiedergabe gewonnen, ohne die bisherige zimbrische Schreibtradition grundsätzlich zu verlassen. Daher folgen wir ihm selbstverständlich auch in diesem Kurs.

Bei einigen wichtigen Schreibvarianten waren sich allerdings die beiden Autoren MARTAALAR und BELLOTTO nicht einig, sodaß wir uns vor die unausweichliche Notwendigkeit gestellt sehen, zu entscheiden, welchem von beiden wir jeweils folgen wollen. Dies betrifft vor allem die Zischlaute und das Tobàllarische b.

Eine überwältigende Fülle von Argumenten, die allesamt in die gleiche Richtung weisen, zwingen uns gleichsam dazu, erstens die Zischlaute streng nach BELLOTTO s.str. zu schreiben und zweitens statt des Tobàllarischen b die standardzimbrische v-Schreibung zu benutzen.

Die Verwendung des Wörterbuches von MARTAALAR kann den Teilnehmern dieses Zimbrischkurses empfohlen werden, da sie aufgrund ihrer Kenntnisse des Schriftdeutschen bei den meisten Wörtern die korrekte Zischlautschreibung nach BELLOTTO s.str. sowie die standardzimbrische v-Schreibung jeweils erschließen und sich zumindest mental dazudenken können.

Teilnehmer eines italienischen Zimbrischkurses ohne umfangreichere Kenntnisse des Schriftdeutschen hätten diese Möglichkeit nicht und daher würde sie der Gebrauch von MARTAALARs Wörterbuch allein und ohne sonstige Hilfsmittel bei den Zischlauten und beim Tobàllarischen b in ein Schreibsystem führen, das ihnen über 90 % der zimbrischen Literatur verschließt, das nach keinerlei Regel mehr in die gängige zimbrische Schreibung zurückkonvertiert werden kann, und das keine Zukunft hat, da es in wenigen Jahren, nach Erscheinen des großangelegten und voraussichtlich normativen "Vergleichenden Wörterbuches des Zimbrischen" nur noch als eine eigenwillige orthographische Episode der Vergangenheit gelten wird.

Translation by Agnes Korn


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17.08.11