Remigius Geiser, Salzburg (Österreich/Austria)
Grundkurs in klassischem Zimbrisch:
Ergänzungslektion E2:
Wieso "klassisches" Zimbrisch?
Course in Standard Cimbrian:
Addendum 2: What is "Standard" Cimbrian?
Vielleicht hast du dich schon längst
einmal gefragt, wieso unser Kurs "Grundkurs in klassischem Zimbrisch"
heißt. Im Duden finden sich folgende Definitionen für das Wort "klassisch" im hier gebrauchten Sinne: - in Bezug auf Aussehen oder Formen: in althergebrachter, mustergültiger Weise ausgeführt, vollendet, zeitlos - herkömmlich, in bestimmter Weise traditionell festgelegt und so als Maßstab geltend. |
Perhaps you already wondered why the title of our course is "Course in Standard Cimbrian", in German "Grundkurs in klassischem Zimbrisch". According to a dictionary, the German term "klassisch" is used to refer to - the form or appearance of something: made in a traditional way, perfect, timeless, - traditional method, traditionally fixed and therefore set as a norm. |
Bekanntlich gibt es drei Varianten des
Zimbrischen, die heute noch gesprochen werden: Neben dem hier als
klassisch bezeichneten Zimbrisch der Sieben Gemeinden ist dies das
sogenannte "Tautsch" der Dreizehn Gemeinden sowie das sogenannte
"Slambròt" von Lusern. Aufgabe dieser Ergänzungslektion wird es daher sein, aufzuzeigen, daß das diesem Kurs zugrundeliegende Zimbrisch der Sieben Gemeinden auf der Hochebene von Sleeghe/Asiago diese obigen Definitionen der Bezeichnung "klassisch" erfüllt. |
You will have heard that there are three varieties of Cimbrian still in use nowadays:
Besides the Cimbrian of the 7 Communities
there is the so-called "Tautsch" of the 13 Communities, and the so-called
"Slambròt" of the village of Luserna. The aim of this addendum will be to show that the Cimbrian dialect of the 7 Communities spoken on the plain of Sleeghe/Asiago which is the subject of this course fulfills the above-mentioned definition and therefore will be termed as the "classical" Cimbrian henceforth. |
Es sind im wesentlichen vier schwergewichtige Gründe, die es dafür qualifizieren. | There are basically four good reasons showing that this is the case: |
1. Das Zimbrisch der Sieben Gemeinden ist das älteste Zimbrisch. | 1. The Cimbrian dialect of the 7 Communities is the oldest one. |
Unter allen SprachforscherInnen ist völlig unumstritten, daß die zimbrische
Sprache der Sieben Gemeinden eindeutig den ältesten Stand der
Sprachentwicklung bewahrt hat. Es genügen hier, stellvertretend für alle
anderen, drei Zitate namhafter WissenschaftlerInnen, die diese Tatsache
uneingeschränkt konstatieren: Eberhard KRANZMAYER schrieb in seiner "Laut- und Flexionslehre der deutschen zimbrischen Mundart" (VWGÖ Wien 1981) im Kapitel E7B auf Seite 17/18: "Am zähesten unter den zimbrischen Untermundarten hielt VII. [= die VII Gemeinden] am alten fest ... besonders gut hielt sich der alte deutsche Wortschatz, den Zt. [= Lusern] und XIII. [= 13 Gemeinden] vielfach durch Lehnwörter ersetzt." In seiner "Historischen Lautgeographie des gesamtbairischen Dialektraumes" (Böhlau, Wien 1956) spricht der selbe Autor auf Seite 88 von "der altertümlichsten Mundart des Bairischen im Zimbrischen der Sieben Gemeinden, das wir schon öfters als lebendiges Museum frühmittelhochdeutscher Sprachzustände kennengelernt haben." Maria HORNUNG schreibt in ihrer aufschlußreichen Abhandlung "Ist die zimbrische Mundart der Sieben Gemeinden althochdeutsch?" (im Sammelband "Althochdeutsch" Band I, Heidelberg 1987) auf Seite 102: "Das Zimbrische ist die älteste erhaltene Außenmundart des deutschen Sprachraums. Sie wurde von Westtirol und angrenzenden Gebieten Bayerns um a. 1100 zunächst auf das Plateau von Asiago (Provinz Vicenza) verpflanzt. Die dort ausgebildete Mundart der sogenannten Sieben Gemeinden zeigt in mehrfacher Hinsicht ältere Züge als die der später entstandenen Dreizehn Gemeinden (Provinz Verona) und der Tochtersiedlungen im Trentino, von denen Lusern noch gut erhalten ist." |
All linguists completely agree in that the Cimbrian dialect of the 7 Communities
has preserved the oldest stage of the development of the language.
I will only present three citations by well-known scholars, standing for many: In his Laut- und Flexionslehre der deutschen zimbrischen Mundart (Vienna 1981), Eberhard Kranzmayer wrote (p.17f.): "The sub-dialect which most tenaciously clings to the old state of affairs is that of the VII Communities (...) The old German vocabulary is especially well-preserved here, whereas in Luserna and the 13 Communities it is in many cases replaced by loanwords." The same author, in his Historische Lautgeographie des gesamtbairischen Dialektraumes (Vienna 1956), talks about the "most old-fashioned dialect of Bavarian, the Cimbrian of the 7 Communities, which has often appeared to us as a living museum of the Early Middle High German stage of the language" (p.88). Maria Hornung, in her instructive article Ist die zimbrische Mundart der Sieben Gemeinden althochdeutsch? (in the volume Althochdeutsch I, Heidelberg 1987) tells us that (p.102) "Cimbrian is the oldest preserved peripheral dialect of the German-speaking area. It was brought there around the year 1100 from Western Tyrolia and the neighbouring Bavarian regions, first to the plain of Asiago (Italian province of Vicenza). The dialect of the 7 Communities which developed there has more archaic characteristics in a number of respects than those of the later established 13 Communities (province of Verona) and the daughter settlements in the Trentino region, of which Luserna is still well preserved." |
Wir haben in der letzten Ergänzungslektion festgestellt, daß die Motivation, Zimbrisch zu lernen, für Deutschsprechende nicht zuletzt darin besteht, daß sie damit eine Zeitreise machen und in die Welt des Mittelhochdeutschen eintauchen und die Sprache ihrer Ahnen lebendig erleben können. Es ist daher logisch und konsequent, wenn sie sich unter den drei Varianten des Zimbrischen diejenige aussuchen, welche den ältesten Sprachzustand bewahrt hat und sie somit ihrem Ziel am nächsten bringt. Aus diesem Grund wurde auch für den vorliegenden Zimbrischkurs für Deutschsprachige das klassische Zimbrisch der Sieben Gemeinden ausgewählt. | In the last addendum, we stated that for a speaker of German, not the least motivation to study Cimbrian is the possibility to travel to the Middle Ages by a special sort of time machine and to experience the language of one's ancestors. It is therefore logical to choose that dialect which preserves the oldest state of the language and therefore brings the student nearest to her/his goal. This was one reason for choosing the dialect of the 7 Communities for this course, which was mainly intended for speakers of German. |
2. Die klassische zimbrische Schriftsprache ist die der Sieben Gemeinden. | 2. The Cimbrian dialect of the 7 Communities is the standard variety. |
Eberhard KRANZMAYER ("Laut- und Flexionslehre," o.c.) stellt
dazu lapidar fest: "Mit dem Erscheinen eines Katechismus im Jahre 1602
entstand die zimbrische Schriftsprache, die aber nur in VII. [= den
Sieben Gemeinden] Verbreitung fand." In seiner "Historischen Lautgeographie" (o.c.) schreibt der gleiche Autor: "Das Zimbrische der Sieben Gemeinden hat, wie schon mehrfach erwähnt worden ist, seit 1600 seine eigene Schriftsprache." Wolfgang MEID erklärt 1985 auf Seite 11 seiner wissenschaftlichen Ausgabe des ersten zimbrischen Katechismus (Innsbrucker Beiträge zur Sprachwissenschaft Band 47): "Der Katechismus von 1602, der in Vicenza gedruckt wurde, ist hierbei, wie auch die meisten anderen älteren Sprachdenkmäler, repräsentativ für den Dialekt der Sieben Gemeinden, der es offenbar früher als der andere zu literarischem Ausdruck und einer entsprechenden Pflege dieser literarischen Tradition gebracht hat. Der Katechismus von 1602 erweckt nicht den Anschein, daß er der erste Versuch überhaupt gewesen sei, Zimbrisches zu schreiben; er konnte sich offenbar bereits auf Schreibgewohnheiten stützen ... " Maria HORNUNG konstatiert 1994 (in: Germanistische Linguistik 124-125, p. 31): "Besonders in den Sieben Gemeinden führte die Ausbildung einer eigenen Kirchen- und Dichtersprache zu einer Festlegung im schriftlichen Gebrauch, die an den Standard einer Schriftsprache herankommt." |
Eberhard Kranzmayer (1981) explicitly states:
"The Cimbrian standard language,
which has only been used in the 7 Communities,
came into being with the publication of the catechism in 1602." The same author writes (1956): "As I have already remarked, the Cimbrian dialect of the 7 Communities has been disposing of a standard language since 1600." Wolfgang Meid in his critical edition of the first Cimbrian catechism (Der erste zimbrische Katechismus, Innsbruck 1985) declares: "The catechism of 1602, printed in Vicenza, is represenative for the dialect of the 7 Communities, as are most of the older monuments. This dialect obviously came to be used for literary purposes and a literary tradition earlier than the other ones. The catechism of 1602 does not seem to be the first attempt whatsoever at reducing the Cimbrian language to writing, it rather looks like there already existed some habit of writing the dialect" (p.11). Maria Hornung (in Germanistische Linguistik 124/125, 1994) states: "Especially in the 7 Communities the development of an own liturgical and poetical language lead to a fixing of the written form of the language, which amounts to kind of a standard" (p.31). |
Es ist seit jeher allgemein
üblich, eine Sprache (und diejenige Variante einer Sprache), welche über
Jahrhunderte hinweg als Schriftsprache diente, als "klassisch" zu
bezeichnen. In diesem Sinne ist das Zimbrisch der Sieben Gemeinden seit
vierhundert Jahren klassisch. Zwar ist jede europäische Mundart irgendwann von SprachforscherInnen erforscht und dabei auch zu Zwecken der Wissenschaft und der Spracherhaltung schriftlich behandelt worden. Dadurch wird jedoch eine Mundart noch nicht zur Schriftsprache. Von einer Schriftsprache im eigentlichen Sinn spricht man nur dann, wenn sie über längere Zeit (Jahrhunderte) hinweg kontinuierlich und zu Gebrauchszwecken statt nur zum Selbstzweck der Sprachpflege schriftlich verwendet wurde. Das Zimbrische der Sieben Gemeinden erfüllt zweifellos diese Bedingungen. Seit einem halben Jahrtausend wird es für kirchliche Zwecke schriftlich gefaßt und kontinuierlich verwendet, insbesondere in den kirchenamtlich erstellten Katechismen der Jahre 1602, 1813 und 1842. Letzterer gilt ja ganz generell als "der Klassiker" der gesamten zimbrischen Literatur. Dieser kirchliche Gebrauch fand dann seine Fortsetzung im zimbrischen Meßbuch vom Jahr 1979, welches bis heute in den Sieben Gemeinden zur Feier der Heiligen Messe kirchenamtlich verwendet wird. Darüber hinaus wird die zimbrische Schriftsprache in den Sieben Gemeinden seit jeher auch für andere Gebrauchszwecke benutzt: Briefwechsel, Festansprachen, Predigten, Grabreden, Todesanzeigen, Gebäudeinschriften, Grabinschriften, Ortstafeln, Postkartenaufschriften etc. Eine gewisse Mittelstellung zwischen Sprachpflege und "echtem" Sprachgebrauch nimmt die zimbrische Dichtung der Sieben Gemeinden ein. Sie ist seit der Barockzeit im Gange und erlebte in den letzten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts eine kolossale Produktivitätssteigerung, die bis heute ungebrochen anhält und deren Höhepunkt vielleicht noch gar nicht erreicht ist. |
It has always been the custom to call a language (or variety of a language)
"classical" which has been in use for several centuries.
In this sense, the Cimbrian of the 7 Communities has been "classical" for 400 years. It is true that about every dialect in Europe has been made the object of linguistic study at some point and put to writing for scientific and documentary purposes. But this doesn't make a dialect a "written language". For a written language it is required that is has been used for a longer period of time (e.g. some centuries) and for everyday purposes, not only as an aim in its own and with the goal of its preservation. The Cimbrian of the 7 Communities obviously fulfills these requirements: it has been used and written continually for liturgical purposes for half a millenium, as can be seen from the officially published catechisms of 1602, 1813 and 1842. The last-mentioned one is even called the classical text of Cimbrian literature. The continued use of the dialect for religious purposes can be seen in the Cimbrian missal from 1979 which has officially been used in Cimbrian worships in the 7 Communities to this day. Apart from that, the Cimbrian of the 7 Communities has variously been used for all kinds of everyday purposes, e.g. letters, speeches, sermons, funeral addresses, obituaries, inscriptions of various kinds, printing of post cards, signposts. The poetry of the 7 Communities, which started in the baroque epoch, experienced an enormous increase in productivity in the end of the 20th century and has perhaps not even come to its climax yet, occupies kind of a middle position between attempts at preserving the language and "true" use of it. |
In den zimbrischen
Sprachinseln der Dreizehn Gemeinden und in Lusern fehlt eine solche
traditionelle Schriftkultur. Zwar wurden in und aus diesen beiden
Sprachinseln etwa seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts zunehmend
auch zimbrische Texte zu Papier gebracht und publiziert, jedoch
praktisch immer nur zum Zweck der Sprachforschung und Sprachpflege,
allenfalls noch als Mundartdichtung im 20. Jhdt. ähnlich wie in den
Sieben Gemeinden. Bernhard WURZER nennt 1983 in seinem lesenswerten Buch über "Die deutschen Sprachinseln in Oberitalien" auf den Seiten 147 und 148, Egon KÜHEBACHER zitierend, das Zimbrische der Sieben Gemeinden "eine richtige Hochsprache", die "für Predigten, Reden, Gedichte und Übersetzungen ebenso geeignet war wie für den täglichen Gebrauch der Bauern. Seine ausgebildeten grammatischen und lautlichen Gesetzmäßigkeiten erforderten einen wesentlich höheren Grad von Redebeherrschung als das heute dominierende Venezianische. Das echte Zimbrische besaß durch seine ungetrübten Vokale und Endsilben, durch die gerundeten Laute, die eigenen Quantitäten und den schweren, feierlichen Tonfall eine erstaunliche Klangfülle. Es gab auch eine kleine zimbrische Literatur in Form von Predigten, Gedichten, Totenklagen und mündlich überlieferten Sagen, sowie eine Inkunabel in Form des berühmten Katechismus von 1602 ... Der Catechismo von 1813 und 1842 ist ein einmaliges Dokument deutschen Sprachlebens und dokumentiert in eindrucksvoller Weise, daß um die Mitte des vorigen Jahrhunderts das Zimbrische im Gebiete der Sieben Gemeinden nicht nur als Haussprache, sondern auch als Schriftsprache noch lebendig war." ... und heute sogar noch mehr als damals, könnte man anfügen, wenn man die literarische Produktion der letzten Jahrzehnte betrachtet! |
There is no such tradition in written use of the language in the 13 Communities or Luserna.
The texts which have been published in these areas since the end of the 19th century
were nearly always intended for scientific use or the preservation of the language,
and there is some poetry comparable to the one in the 7 Communities. Bernhard Wurzer in his interesting book Die deutschen Sprachinseln in Oberitalien (1983), following Egon Kühebacher, calls the Cimbrian of the 7 Communities "a true standard language" which was "fit for sermons, speeches, poems and translations as well as for the farmers' everyday use. Its elaborated grammatical and phonological rules required a much higher level of mastership of the language than Venetian which dominates today. The true Cimbrian had an astonishing sonority, due to its undiminished vowels and final syllables, the rounded sounds, the special quantities and the solemn intonation. There even existed a small body of literature in Cimbrian: sermons, poems, laments and orally transmitted legends as well as an incunabulum, i.e. the well-known catechism of 1602. (...) The catechism of 1813 and 1842 is a unique document of a living German dialect and shows that in the middle of the last century, Cimbrian was well alive in the 7 Communities, not only in the households, but also as a written language" (p.147f.). ... and today more than ever, one could add, considering the literary production of the last decades! |
3. Die Sieben Gemeinden bildeten in historischen Zeiten eine politisch autonome Republik | 3. The 7 Communities constituted a political autonomous republic in historical times |
Am 29. Juni des Jahres 1310 wurde die souveräne
Republik der Sieben Gemeinden ausgerufen. In diesen Jahrzehnten entstand
auch noch eine andere freie Alpenrepublik, nämlich die Schweizer
Eidgenossenschaft. Die freie Republik der Sieben Gemeinden begab sich zwar die längste Zeit unter die Schirmherrschaft Venedigs, doch war sie in allen inneren Angelegenheiten völlig souverän: in der Verwaltung, Gesetzgebung, Exekutive, im Militärwesen und selbstverständlich im gesamten zimbrischen Kulturleben. Erst nach fünf Jahrhunderten, im Jahr 1807, machte Napoleon der zimbrischen Autonomie ein Ende. Trotz mehrfacher Restaurationsversuche ist das Territorium, das noch von den Sieben Gemeinden gemeinsam verwaltet wird, heute auf einen erbärmlichen Rest von nur mehr zwei Quadratkilometern im Bereich der Gemeinde Robaan/Roana zusammengeschmolzen. Das Bewußtsein der Altopiano-BewohnerInnen bezüglich der eigenen Sonderstellung und der einstmaligen Souveränität ist aber auch heute noch sehr deutlich auf der Hochebene von Sleeghe/Asiago spürbar. |
The autonomous republic of the 7 Communities was proclaimed on 29th June 1310
(about the same time as a second Alpine republic: the Confoederatio Helvetica...). It is true that the free republic was under patronage of Venice for most of the time, but it was completely autonomous in inner affairs: in administration, legislation, executive, military and, of course, cultural matters. It was only five centuries later that Napoleon put an end to Cimbrian autonomy. In spite of numerous attempts to restore the territory under the administration of the 7 Communities, the area has sadly been reduced to a rest of about two square kilometres in the area of Robaan/Roana. However, the consciousness of the people living on the Altopiano of Sleeghe/Asiago concerning their special status and their past autonomy is quite marked still nowadays. |
Die Dreizehn Gemeinden genossen in jener alten
Zeit zwar auch mancherlei Privilegien, es gelang ihnen jedoch nicht, den
gleichen Grad an Souveränität zu erreichen wie die Sieben Gemeinden.
Dies führte dazu, daß im Bewußtsein der Zimbern und ihres welschen
Umlandes die Sieben Gemeinden als politisch führende Kraft des gesamten
Zimberntums stets im Vordergrund standen. Die historische Erfahrung lehrt, daß sich gehobene Sprachkultur vorzugsweise im Umfeld politischer Machtzentren entwickeln kann. Dies dürfte somit auch der Grund sein, warum sich nur in den Sieben Gemeinden eine zimbrische Schrift- und Literatursprache herausbildete. Jedenfalls ist die traditionelle politische Führungsrolle der Sieben Gemeinden wohl ein weiterer entscheidender Grund dafür, daß die Sprache der Sieben Gemeinden seit jeher als das klassische Zimbrisch angesehen wird. |
It is true that the 13 Communities enjoyed some privileges in those old times, too,
but they didn't succeed in reaching the same degree of autonomy as the 7 Communities.
This had the effect that the 7 Communities were always considered as the leading political force of Cimbernhood
by the Cimbrians themselves as well as by the surrounding Romance wolrd. History teaches us that elevated language culture mainly evolves under the influence of centres of political power. This is probably the reason why only in the 7 Communities a Cimbrian standard language developed. Anyway, the traditional leading role of the 7 Communities with regard to politics is probably a further reason for the Cimbrian of the 7 Communities to be considered as the standard language. |
4. Das Zimbrisch der Sieben Gemeinden wurde von den Gelehrten meist als Standard genommen. | 4. The Cimbrian dialect of the 7 Communities has been regarded as the standard by most scholars. |
Wir haben im zweiten Kapitel dieser Ergänzungslektion schon gesehen, daß die kirchlichen Autoritäten ihre Katechismen der Jahre 1602, 1813 und 1842 sowie das zimbrische Meßbuch von 1979 im Zimbrisch der Sieben Gemeinden abfaßten bzw. abfassen ließen, da sie dies offenbar als selbstverständlichen Standard betrachteten. | I already mentioned (see above) that the clerical authorities wrote (or else: let write) the catechisms of 1602, 1813 and 1842 as well as the Cimbrian missal of 1979 in the dialect of the 7 Communities since they obviously regarded this one as the standard variety. |
Aber auch
die namhaften Gelehrten aller Jahrhunderte, die sich mit dem
Gesamtzimbrischen befaßten, haben die Sprache der Sieben Gemeinden
zumeist als Standard betrachtet und ihren Abhandlungen
zugrundegelegt. Als einer der ersten und bedeutendsten Erforscher des gesamten Zimbrischen hat sich mein Holledauer Landsmann Johann Andreas SCHMELLER betätigt. In seiner zimbrischen Grammatik vom Jahr 1834 betrachtet er die Sprache der Sieben Gemeinden als "Haupt-Dialekt" und schreibt auf Seite 652 ganz selbstverständlich: "Ich gebe zunächst die des jetzigen Haupt-Dialektes der VII Communen" und spricht dann von den übrigen Untergruppen des Zimbrischen als "Abweichungen". An SCHMELLER schließt sich gewissermaßen die Wiener mundartkundliche Schule an, die seit SCHMELLERs Zeiten bis heute an der Wiener Universität und an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften eine ununterbrochene Tradition in der Erforschung des Zimbrischen aufweisen kann. Sie ist geprägt durch die Namen BERGMANN - LESSIAK - PFALZ - KRANZMAYER - HORNUNG: Joseph BERGMANN hat 1855 SCHMELLERs "Cimbrisches Wörterbuch" herausgegeben und schreibt dabei auf Seite 35 seiner Einleitung ebenfalls: "Schmeller hält sich zunächst an den Haupt-Dialekt der VII Communen, und bezeichnet aber auch die wahrgenommenen Abweichungen..." Primus LESSIAK und Anton PFALZ begaben sich 1912 mit schwerem Gerät auf die Hochebene der Sieben Gemeinden, um mit den damaligen, frühen technischen Mitteln Phonogrammaufnahmen des Zimbrischen zu erstellen, die auch heute noch existieren. Dadurch gehört das Zimbrische der Sieben Gemeinden auch heute noch zu jenen privilegierten Sprachen, von denen bereits aus so früher Zeit authentische Tonbandaufnahmen existieren. Ein Teil derselben wurde von den Autoren 1918 bei der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien im Druck publiziert ("XXXI Sprachproben aus den Sieben Gemeinden (Sette Comuni Vicentini), Italien". in: 48. Mitteilung der Phonogramm-Archivs-Kommission, pp.59-73), mit einer sehr brauchbaren, knapp gehaltenen und wissenschaftlich präzisen Einführung in die Phonologie des klassischen Zimbrisch. Auch der geniale Erforscher des Gesamtbairischen, Eberhard KRANZMAYER, hat in seiner schon erwähnten, 1925 verfaßten und 1981 publizierten Dissertation "Laut- und Flexionslehre der deutschen zimbrischen Mundart" ganz selbstverständlich das Zimbrische der Sieben Gemeinden als Standard zugrundegelegt (p.18). Daß auch Maria HORNUNG diese Sicht teilt, werden wir noch durch ein umfangreicheres Zitat am Ende dieser Ergänzungslektion dokumentieren. |
But also renowned scholars of all centuries who studied the language
in most cases regarded the Cimbrian of the 7 Communities as the standard and made it the chief object of their studies. Johann Andreas Schmeller (he was from Holledau as I am) was one of the first and foremost researchers of Cimbrian. In his Cimbrian Grammar of 1834 he considers the language of the 7 Communities the "main dialect" and writes (p.652): "I will cite [the forms] of the current main dialect of the 7 Communities first", and then goes on to term [the forms of] the other varieties as "divergent". The Vienna school of dialectology (traditionally situated at Vienna University and the Austrian Academy of Sciences and active in Cimbrian studies to this day) continues Schmeller's views. The names to be mentioned here are Bergmann, Lessiak, Pfalz, Kranzmayer and Hornung: In 1855, Joseph Bergmann published Schmelzer's Cimbrian dictionary, stating in his introduction (p.35): "Schmeller studies the main dialect of the 7 Communities first, but mentions the noted divergences, too." Primus Lessiak and Anton Pfalz went to the Asiago plain in 1912, taking with them impressing equipment in order to produce some phonograms which still exist today. Thus this dialect belongs to the few languages of the world of which so early audio material exists. Some transcriptions of these were published by the authors (XXXI Sprachproben aus den Sieben Gemeinden (Sette Comuni Vicentini), Italien, in 48. Mitteilung der Phonogramm-Archivs-Kommission, Imperial Academy of Sciences, Vienna, 1918, p.59-73), together with a very useful concise and exact introduction to the phonology of Classical Cimbrian. Eduard Kranzmayer in his already mentioned thesis (finished 1925, published 1981) treated the Cimbrian of the 7 Communities as the basis for his studies (p.18). This view is shared by Maria Hornung which will be shown further down. |
Die anderen zimbrischen Sprachinseln sind deshalb aber nicht minderwertig. | This does not mean that the Cimbrian dialects of the other Communities are less in worth. |
Aufgrund der bisherigen Ausführungen könnte vielleicht
der Eindruck entstehen, daß ich die übrigen heute noch existierenden
zimbrischen Sprachinseln, nämlich die Dreizehn Gemeinden und Lusern,
diskriminieren möchte. Ein solcher Eindruck wäre jedoch vollkommen
falsch und würde weder meiner Absicht noch meiner inneren Haltung
entsprechen. Mit den vorstehenden Ausführungen wollte ich lediglich demonstrieren, daß das Zimbrisch der Sieben Gemeinden das klassische Zimbrisch ist und immer war, und daß es daher auch diesem Zimbrischkurs zugrundegelegt wurde. Urteilt man jedoch nach anderen Kriterien als denen der "Klassizität", nach Kriterien, die je nach Sichtweise ebenfalls sehr schwer wiegen können, dann ergibt sich, daß auch die anderen beiden zimbrischen Sprachinseln ihre starken Seiten und durchaus auch ihre Superlative aufweisen. Ich stehe auch nicht an, einige dieser Superlative hier zu benennen: Den Dreizehn Gemeinden kommt zweifellos der Rekord zu, die südlichste aller noch existierenden germanophonen Sprachinseln in Italien zu sein. Darüberhinaus weist Ljetzan/Giazza aber gegenüber den anderen beiden zimbrischen Gebieten noch einen anderen grundlegenden Vorteil auf, der nicht immer in seiner vollen Bedeutung erkannt wird: Während die Sieben Gemeinden und Lusern im Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts abgesiedelt und praktisch vollständig zerstört wurden, blieb in Ljetzan/Giazza das kulturelle Umfeld des Zimbrischen kontinuierlich erhalten, was sich alleine schon im architektonischen Erscheinungsbild manifestiert. Welch fundamentale Rolle die kulturelle Einbettung für die Sprachentwicklung spielt, braucht an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt zu werden. Lusern ist unter allen drei noch lebenden zimbrischen Sprachinseln zweifellos diejenige mit dem niedrigsten Durchschnittsalter der "native speaker". Ferner kann Lusern auch mit dem Rekord aufwarten, das modernste Zimbrisch zu sprechen, das in seiner Entwicklung am weitesten fortgeschritten ist. Wem Jugend und Fortschritt mehr bedeuten als Alter und Klassik, der wird gute und gleichfalls berechtigte Gründe haben, diese Sprachinsel höher zu bewerten als die anderen beiden. |
The statements I made so far could be taken to mean that I want wo discriminate against the other dialects of Cimbrian spoken today, i.e. those of the 13 Communities and Luserna.
This impression would be completely wrong, however,
and would not correspond to my intention or my views in any way. With the above-mentioned statements I only intented to show that the dialect of the 7 Communities has always been the standard one, and that I therefore chose it for this course. According to other criteria than the degree of classicalness, which might prove adequate in certain respects, other dialects have their strong points, too, and I will gladly present some of these: The 13 Communities hold the record of being the southernmost of all German dialects spoken in Italy today. Ljetzan/Giazza owns a special advantage which has not always been appreciated as it should be: Whereas the 7 Communities and Luserna were evacuated and nearly completely destroyed in the course of the 20th century, the Cimbrian cultural setting remained intact in Ljetzan/Giazza which can be seen from the achitecture there. It need not be stressed that the cultural setting plays a fundamental role for the development of a language. Luserna is undoubtedly the area with the lowest average in age of native speakers. It also houses the record of the most modern, furthest developed Cimbrian dialect. Everyone who praises progress and youth above old age and classicalness will find good reasons to rank this variety above the others. |
Wir sehen also, daß die drei noch lebenden zimbrischen Sprachinseln untereinander große Unterschiede aufweisen, was ihre starken und schwachen Seiten betrifft, und daß daher ihre Bewertung sehr unterschiedlich ausfallen kann, je nachdem, welche Kriterien man anlegt, und auch je nachdem, welches Gewicht man subjektiverweise den einzelnen Kriterien beimißt. Ich möchte daher, um die Situation der drei Sprachinseln vergleichend objektiv und fair wiederzugeben und um dadurch auch allen Interessierten ein eigenständiges und ausgewogenes Urteil zu ermöglichen, die relevanten Kriterien, soweit sie mir bekannt sind, in folgender Tabelle gegenüberstellen: | We conclude that the three areas of today's Cimbrian differ in many respects concerning their strengths and weaknesses, and that therefore an evaluation depends very much on the choice of criteria and the weight assigned to each of these. I will now present the relevant criteria as objectively as possible so that everyone can make up their own and unbiased judgment about the situation of the different dialects: |
7 Gemeinden 7 Communities |
13 Gemeinden 13 Communities |
Lusern Luserna |
|
Alter und Zustand der Sprache age and state of the language |
sehr alt very old |
alt old |
relativ modern comparatively modern |
politische Eigenständigkeit während der letzten 1000 Jahre political independence during the past 1000 years |
sehr hoch very high |
relativ hoch comparatively high |
- |
Anzahl der publizierten zimbrischen Textseiten aus den Jahren 1500-1870 number of pages in Cimbrian published between 1500 and 1870 |
sehr viele very many |
spärlich a few |
- |
Anzahl der publizierten zimbrischen Textseiten aus den Jahren 1871-2000 number of pages in Cimbrian published between 1871 and 2000 |
sehr viele very many |
viele many |
mäßig viele not too many |
Erhaltungszustand des kulturellen Umfeldes state of cultural surroundings |
mäßig not so good |
relativ gut comparatively good |
mäßig not so good |
geographische Entfernung vom deutschen Sprachraum geographical distance to the German-speaking area |
groß long |
am größten longest |
am geringsten smallest |
aktuelle zimbrische Meßfeiern mit zimbr. Priester und zimbr. Meßbuch current number of Cimbrian services with Cimbrian priest and Cimbrian missal |
regelmäßig regularly |
- | - |
aktuelle Zahl zimbrischer Chöre oder Gesangsgruppen current number of Cimbrian choirs or singing groups |
1 | 1 | 1 |
aktuelle Zahl zimbrischer Liedermacher current number of Cimbrian song writers |
1 | - | - |
aktuelle Zahl zimbrischer Poeten current number of Cimbrian poets |
4 | ? | ? |
Anzahl publizierter zimbrischer Musikkassetten number of audio cassettes published |
4 | 1 | - |
Anzahl publizierter zimbrischer Videokassetten number of video cassettes published |
1 | 2 | 1 |
aktuelle Radiosender current number of broadcating stations |
(1) | - | - |
aktuelle Anzahl native speaker current number of native speakers |
mehrere Dutzend several dozen |
mehrere Dutzend several dozen |
einige Hundert several hundred |
aktuelle Anzahl native speaker im Alter unter 20 Jahren current number of native speakers under the age of 20 |
- | - | einige Dutzend a few dozen |
aktuell laufende Zimbrischkurse number of current courses in Cimbrian |
3 | 1 | - |
Ist das Zimbrische der Sieben Gemeinden in sich einheitlich? | Is the Cimbrian dialect of the 7 Communities more or less uniform? |
Das Zimbrische der Sieben Gemeinden kann man in drei Zonen unterteilen, die sich lautgesetzlich voneinander unterscheiden: |
The Cimbrian dialect of the 7 Communities can be subdivided into three subdialects
which differ from each other with regard to historical phonology: |
Da ist zunächst im Osten die Gemeinde
Vüütze/Foza, in der abweichend von den übrigen Sieben Gemeinden die
sogenannte "neuhochdeutsche Monophthongierung" bis heute nicht
durchgeführt wurde. Ferner wurden praktisch alle Zischlaute nivelliert.
- In Vüütze sprechen heute nur mehr sehr wenige alte Leute zimbrisch
(vüützarisch). Im Westen des Gebietes zeichnet sich die Gemeinde Ròtz/Rotzo und die nordwestlich des Ass-Tales gelegenen Teile der Gemeinde Robaan/Roana dadurch aus, daß nicht nur das "w" der d. Wörter in ein "b" umgewandelt wurde (wie das ja im Zimbrischen allgemein der Fall ist), sondern auch das "v" und das "f". Mehr dazu in der nächsten Ergänzungslektion. Wir wollen diese Variante des Zimbrischen der Sieben Gemeinden als "Tobàllarisch" bezeichnen, nach dem Ortsteil Tobàlle/Mezzaselva, der im Zentrum dieser Zone liegt. Was übrigbleibt, ist das zentrale Gebiet mit dem Hauptort der Sieben Gemeinden, nämlich Sleeghe/Asiago, sowie mit der Gemeinde Ghèlle/Gallio und insbesondere mit jenen Teilen der Gemeinde Robaan, die südöstlich des Ass-Tales liegen, also Ròan/Canove und Kamporùbe/Camporovere. - (In den Gemeinden Ghènebe/Enego und Lusaan/Lusiana ist das Zimbrische schon seit Jahrhunderten verklungen, sodaß wir über die Lautverhältnisse nur sehr wenig wissen.) |
To the East of the area, there is the community of Vüütze/Foza
where, in contrast to the rest of the 7 Communities, the Modern High German monophthongisation
has not occured. Furthermore, nearly all sibilants fell together.
- In Vüütze/Foza, there are only very few old people left who speak Cimbrian ("Vüützarisch"). To the West, the community of Ròtz/Rotzo and the part of the community of Robaan/Roana situated to the North-West of the Ass valley are characterised by the change of German v and f to b (and not only of w, as is the case in all Cimbrian dialects). We will call this variant "Tobàllarisch", as the settlement Tobàlle/Mezzaselva is in the centre of this area. The rest is the central area of the 7 Communities: the main town of Sleeghe/Asiago and the community of Ghèlle/Gallio as well as the part of Robaan situated to the South-West of the Ass valley, i.e. Ròan/Canove and Kamporùbe/Camporovere. - (In the communities of Ghènebe/Enego and Lusaan/Lusiana, Cimbrian died out several centuries ago, so that we don't know much about its phonology.) |
Du wirst es nun sicher schon erraten haben: Als
klassischer Standard des Zimbrischen gilt seit eh und je natürlich die
Sprache des Hauptortes, Sleeghe. Ja, das Wort "Sleegarisch" (oder
"Schlägerisch" u.ä.) ist in historischen Zeiten oftmals sogar als
Synonym für "Zimbrisch" verwendet worden. Ich will im folgenden zeigen, daß praktisch alle wichtigen Autoritäten und Gelehrten, sofern sie nicht ausdrücklich eine bestimmte Teilregion der Sieben Gemeinden behandelten, ihren Texten fast stets und gleichsam sebstverständlich das Sleegarische als Norm zugrundelegten. |
You will have guessed already that the Cimbrian of the main town of Sleeghe/Asiago
has always been considered the standard variety.
The term "Sleegarisch" (also written "Schlägerisch" etc.) has even variously been used as a synonym for "Cimbrian". I will now try to show that virtually all important scholars have based their studies on the dialect of Sleeghe with the exception of those who explicitly studied the variant of some other village. |
Der berühmte zimbrische Katechismus des Jahres
1602 verwendet die Sprache von Sleeghe. Damals war im Sleegarischen die
bereits genannte, sogenannte "neuhochdeutsche Monophthongierung" noch
nicht durchgeführt, wie der Text des Katechismus zeigt. Daß es sich
nicht um Vüützarisch handelt, sieht man jedoch daran, daß der alt-
und mittelhochdeutsche Diphthong "uo" nicht zu "ui" wurde. Den Katechismus von 1813 und 1842 haben wir oben schon als "den" zimbrischen Klassiker schlechthin kennengelernt. Er wurde verfaßt von dem zimbrischen Priester Fabbris MÖSER aus Robaan. Dieser faßte den Katechismus ab in der Sprache jener Gemeindeteile von Robaan, welche südöstlich des Ass-Tales liegen (Ròan, Kamporùbe), also Sleegarisch. Die notwendig gewordene Neuauflage von 1842 besorgte im kirchlichen Auftrag der zimbrische Priester Giuseppe BONOMO aus Sleeghe. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts verfaßte der Arzt Girardo SLAVIERO eine Grammatik des Zimbrischen der Sieben Gemeinden. Obwohl er ein alteingesessener Ròtzar war, verfaßte er die Grammatik nicht auf Tobàllarisch, sondern auf Sleegarisch. Über die Gründe dafür können wir nur spekulieren: Entweder wollte er bewußt den sleegarischen Standard benutzen, oder das Tobàllarische war damals, vor dreihundert Jahren, noch mit dem Sleegarischen identisch. Ein halbes Jahrhundert später wirkte der Priester Augustin PRUNNAR / Agostino DAL POZZO. Obwohl auch er ein Ròtzar war, verfaßte er seine beiden zimbrischen Wortsammlungen ebenfalls in Sleegarisch. Seinen Namen trägt auch heute das zimbrische Kulturinstitut in Robaan. In der zweiten Hälfte des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts verfaßte der Rechtsgelehrte Julius VISCHOFFAR / Giulio VESCOVI eine kolossale Sammlung von 1427 zimbrischen Sprichwörtern, von denen leider bis heute erst 800 publiziert sind, sowie eine noch kolossalere Wörtersammlung, von der leider bisher erst der Buchstabe A publiziert ist. Als echter Sleegar hat er natürlich alle seine zimbrischen Arbeiten auf Sleegarisch verfaßt. Zur selben Zeit wirkte auch Prof. Aristide BARAGIOLA. Er verfaßte zimbrische Texteditionen von ausgezeichneter Qualität, alle in Sleegarisch. Seine Gewährsleute waren aus Ròan, Kamporùbe und Balt von Sleeghe / Bosco di Asiago. Der Lehrer Alfonso BELLOTTO hat sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sprachwissenschaftlich intensiv mit dem Zimbrischen befaßt. Er hat eine linguistisch gut fundierte Standardschreibung entwickelt, die weithin akzeptiert wurde und auch diesem Zimbrischkurs zugrundeliegt (näheres dazu in der Ergänzungslektion E 3). Die von ihm editierten zimbrischen Texte der Sieben Gemeinden sind größtenteils in Sleegarisch abgefaßt, wie z.B. das Lukasevangelium, auch wenn er sie dazu erst aus dem Tobàllarischen seines Gewährsmannes MARTÀLAR übertragen mußte. Ganz offensichtlich war BELLOTTO der festen Überzeugung, daß das Sleegarische die gute zimbrische Norm darstellt, von der er nur abwich, wenn er ausdrücklich einen bestimmten Ortsdialekt dokumentieren wollte, wie z.B. beim Tagebuch der Costantina ZOTTI. Wenden wir uns nun den deutschsprachigen Gelehrten zu, dann stellen wir fest, daß sowohl SCHMELLER als auch BERGMANN ganz selbstverständlich ihren "Haupt-Dialekt der VII Communen" mit dem Sleegarischen gleichsetzen. LESSIAK und PFALZ geben ihren Gewährsmann sogar exakt an: "Arbeiter Benedetto Benetti aus Roan (Canove), ein etwa fünfzigjähriger Zimber" (o.c., p.59). Das ist klassisches Sleegarisch. Auch KRANZMAYER erklärt in seiner "Laut- und Flexionslehre ..." auf Seite 18 ganz kategorisch: "Die angeführten Formen ohne Signatur entstammen der Mundart von Canove VII." Also ebenfalls klassisches Sleegarisch. Schließlich hat der verdienstvolle Zimbrisch-Forscher Hugo RESCH, parallel zu BELLOTTO, bei seinen zimbrischen Texteditionen ("Altar Khnotto", "in de selbe earda") das Sleegarische ganz klar bevorzugt, obwohl auch er dazu erst einmal alles aus dem Tobàllarischen seines Gewährsmannes MARTÀLAR übertragen mußte. Offenbar war er ebenfalls der festen Überzeugung, daß das Sleegarische die gute zimbrische Norm darstellt. Auch in seinem kolossalen Lebenswerk "Vergleichendes Wörterbuch der Cimbrischen Sprache" hat er das Sleegarische als Standard festgelegt. Es steht zu hoffen, daß dieses Werk in Bälde veröffentlicht und damit für das interessierte Publikum zugänglich und benutzbar wird. Voraussichtlich wird es nach seiner Publikation einen prägenden Einfluß auf alle zimbrischen Bemühungen und Vorhaben ausüben. Nicht zuletzt auch im Vorgriff darauf wurde in dem vorliegenden Zimbrischkurs ebenfalls das Sleegarische als Norm zugrundegelegt. Wir können also resümierend feststellen: Vom Vüützarischen gibt es praktisch überhaupt keine editierten Texte. Es gibt reichlich Texteditionen in Tobàllarisch, aber alle stammen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das klassische, traditionelle Zimbrisch, in dem seit über vierhundert Jahren und bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts ausnahmslos alle zimbrischen Texte der Sieben Gemeinden verfaßt und publiziert wurden und großenteils auch heute weiterhin werden, ist das Sleegarische. Um es mit einem beliebten zimbrischen Bonmot auszudrücken: Alle de beeghe vüarnt kan Sleeghe. |
The well-known catechism of 1602 uses the dialect of Sleeghe.
The Modern High German monophthongisation had not yet taken place then, as the text shows us.
It cannot be Vüützarisch, though, since the Old and Middle High German diphthong uo has not developed to ui. The catechism of 1813 and 1842 which we termed the classical text of Cimbrian was written by the Cimbrian priest Fabbris Möser from Robaan. He wrote the text in the dialect of those parts of Robaan situated South-West of the Ass valley (Ròan, Kamporùbe), i.e. Sleeghe dialect. The new edition of 1842 was written by the Cimbrian priest Giuseppe Bonomo from Sleeghe on behalf of the clerical authorities. In the first half of the 18th century, the physician Girardo Slaviero wrote a grammar of the Cimbrian of the 7 Communities. Although he was from Ròtz, he didn't choose Tobàllarisch, but Sleegarisch. We don't know the reasons for this: either he wanted to use the standard variety, or maybe there was no difference between Tobàllarisch and Sleegarisch at that time. Half a century later, the priest Augustin Prunnar (Agostino dal Pozzo), although from Ròtz, too, also wrote his two Cimbrian glossaries in Sleegarisch. (The Cimbrian cultural institute in Robaan bears his name.) Around 1900, the lawyer Julius Vischoffar (Giulio Vescovi) composed his enormous collection of 1427 Cimbrian proverbs, of which only 800 have been published so far, as well as an even more enormous glossary, of which unfortunately only the letter A has been published. He was from Sleeghe and consequently wrote all his Cimbrian works in Sleegarisch, of course. At the same time, Prof. Aristide Baragiola prepared a number of excellent editions of Cimbrian texts, all of them in Sleegarisch. His informants were from Ròan, Kamporùbe and Balt von Sleeghe/ Bosco di Asiago. The teacher Alfonso Bellotto very thoroughly studied Cimbrian from a linguistic point of view in the second half of the 20th century. He developed a linguistically founded orthography for Cimbrian which has been widely accepted and is also used for this course (we will have more to say about that in the next addendum). His editions of Cimbrian texts of the 7 Communities are mostly in Sleegarisch, even if he had to translate them from the Tobàllarisch of his informant Martàlar first. Bellotto obviously was of the opinion that Sleegarisch represents the standard norm, and he only used some other variant in order to document the dialect of a given village, e.g. in the case of the diary of Costantina Zotti. Turning now to the German-speaking scholars, we find that Schmeller as well as Bergmann used the term "main dialect of the 7 Communities" to mean Sleegarisch. Lessiak and Pfalz describe their informant as follows: "Worker Benedetto Benetti from Roan (Canove), a Cimbrian of about 50 years" (1918:59), which means, speaking Sleegarisch. Kranzmayer categorically states (1981:18): "The forms are from Canove in the 7 Communities unless otherwise stated": also Sleegarisch. The Cimbrologist of merit Hugo Resch favoured Sleegarisch in his editions (Altar Khnotto, in de selbe earda) as did Bellotto, although that meant that he had to translate everything from the Tobàllarisch of his informant Martàlar first. Obviously, he also was of the opinion that Sleegarisch is the best and standard dialect. He also used Sleegarisch as standard in his enormous work Vergleichendes Wörterbuch der Cimbrischen Sprache. It is to be hoped that this work will be published and accessible to the interested public in the near future. After its publication, it will probably exercise a pronounced influence on all efforts and planned works concerning Cimbrian. (This is one more reason for chosing Sleegarisch for this course.) In concluding, we may state: There are nearly no edited texts in Vüützarisch. There are quite a number of edited texts in Tobàllarisch, but all of them are from the second half of the 20th century. The classical, traditional Cimbrian which has been the language of nearly all written and edited texts from the 7 Communities since over 400 years is the dialect of Sleeghe. To say it with a popular Cimbrian proverb: All roads lead to Sleeghe. |
Wir wollen diese Ergänzungslektion abschließen mit
einem ausführlichen Zitat von Maria HORNUNG (o.c., p. 20): "Zweifellos ist die sogenannte zimbrische Mundart der Sieben Gemeinden oder Sette Comuni die älteste erhaltene deutsche Mundart, die es gibt. Dies erklärt sich daraus, daß die Besiedlung des Plateaus von Asiago gemäß den Erkenntnissen der Wiener mundartkundlichen Schule bereits vor dem Jahr 1100 erfolgt ist und die dorthin aus Westtirol verpflanzten Mundarten in der ihnen fremden Umgebung der venezianischen Landmundart gleichsam wie eingefroren über Jahrhunderte hinweg erhalten blieben. Um 1250 wurden Tochtergründungen auf dem Plateau von Folgaria und Lavarone angelegt, die später unter einen gewissen Einfluß der nahen südbairischen Binnenmundarten in Südtirol gerieten. ... Neue Tochtergründungen wurden schon um 1280 in den Lessinischen Alpen angelegt, die sogenannten Dreizehn Gemeinden oder Tredici Comuni. Ihre Mundarten - heute nur noch in Restbeständen erhalten in Giazza/Ljetzan, einem Kirchdorf der Gemeinde Selva di Progno, - zeigen verstärkten alemannischen Einfluß und eine wesentlich ausgeprägtere Modernität. ... Die Mundart der Sieben Gemeinden hat den ältesten Stand bewahrt und darf als ein Sprachdenkmal ersten Ranges angesehen werden, das zu schützen heiligste Pflicht sowohl der Germanisten wie der Romanisten in Österreich und in Italien sein sollte. Sie ist ein Ausdruck der Sprachberührung im Herzen Europas, der als sinnbildhaft zu gelten hätte." |
I would like to conclude this addendum with a longer citation from Maria Hornung (1994:20): "The so-called Cimbrian dialect of the 7 Communities (Sette Comuni) is without doubt the oldest preserved German dialect. The reason for this is that - as has been shown by the Vienna school of dialectology - the settlement on the Asiago plain took place before 1100, and the dialects brought there from Western Tyrolia were virtually frozen in the foreign environment which was Venetian-speaking. Around the year 1250, the daughter settlements on the Folgaria and Lavarone plain were founded, which were later subject to the influence of the nearby Southern Bavarian dialects of Southern Tyrolia to a certain degree. (...) New daughter settlements in the Lessinian Alps were already established around 1280: the 13 Communities (Tredici Comuni). Their dialects - of which only rests survive in Giazza/Ljetzan (a village of the community Selva di Progno) - show stronger Alemannian influence and a much more modern attire. (...) The dialect of the 7 Communities has preserved the oldest stage and may be regarded as a language monument of first degree, the protection of which Germanists and Romanists in Austria and Italy should consider their foremost duty. It is an expression of language contact in the heart of Europe which can stand as a model." |