Keltisch als Geheimwaffe
Seit jeher liefern alte Sprachen Munition für das Arsenal nationalistischer Politik
Von Reiner Luyken, Die Zeit vom 19. 7. 1996

Heinrich Bölls berühmtes "Irisches Tagebuch" beginnt mit einer ziemlich unglaubwürdigen Schilderung. Als er in Liverpool an Bord des Dampfers nach Dublin ging, roch es schon nach Torf, klang kehliges Keltisch aus Zwischendeck und Bar".

Das kehlige Keltisch" ist als Umgangssprache der Iren schon seit langem so gut wie ausgestorben. Es ist zwar die erste Landessprache, so zumindest steht es in der irischen Verfassung, wird jedoch nicht einmal im Parlament benutzt. Die Iren sprechen Hiberno-Englisch", wie Linguisten ihren Dialekt nennen. Logischerweise verstand Böll im Folgenden dann ja auch jedes Wort einer von ihm belauschten Konversation.

Es gibt in Deutschland eine romantische Bezauberung durch das Keltische. Und es gibt eine Wissenschaft, die sich ähnliche Freiheiten wie die Dichtung herausnimmt: die Keltologie. Im  April 1992 fand in Gosen bei Berlin das Erste Symposium deutschsprachiger Keltologen" nach der Vereinigung statt. In seinem Einführungsreferat beschrieb Karl Horst Schmidt von
der Universität Bonn, damals führender Vertreter seines Fachs, das Primäranliegen seiner Zunft als die stärkere Institutionalisierung der Erforschung und Pflege keltischer Sprache und Kultur". Die Notwendigkeit hierfür ergebe sich nicht nur aus der großen Tradition deutschsprachiger und deutscher Keltologie", sondern aus dem zusammenwachsenden Europa mit Irland als keltischem Staat und Großbritannien und Frankreich als Partnern mit bedeutenden keltischen Minderheiten." Die moderne Republik Irland ist, wie jeder weiß, ein demokratischer, kein keltischer Staat".

Die überwältigende Mehrheit der keltischen Minderheiten" auf den britischen Inseln spricht wie die Iren Dialektformen des Englischen. Es wäre zum Beispiel ein ziemlich hoffnungsloses Unterfangen, unter den Anhängern des Fußballclubs Celtic Glasgow ein Wort Gälisch aufschnappen zu wollen. Nur in Wales gibt es größere Gebiete, in denen Kymrisch tatsächlich
die Sprache des Volkes ist. Die alten Sprachen sind heute in erster Linie Waffen im Arsenal nationalistischer Politik. Die Wiedereinführung des Gälischen ist eines der fünf Kriegsziele der IRA.

Keltologie? Das stellt man sich so schnurrig vor. Abhandlungen über die Doppelte Markierung des Akkusativs beim Transitivum" und Die Reflexe der keltischen Suffixvarianten *-io vs. *-iio-" im Altirischen, Untersuchungen über Variationen schottisch-gälischer und irisch-gälischer Dialekte anhand von Vogel-, Pflanzenund Insektennamen" und Diskurse über
Bretonisch-englische Lehnbeziehungen".

Über solche Fragen zerbrechen sich die meisten Keltologen tatsächlich den Kopf. Aber die Führer der Gilde verfolgen seit langem höhere Ziele. Nichts weniger als die Rückvergälung" der von französischer und angelsächsischer Aufklärung an den Rand gedrängten Kulturen. Professor Schmidts Formulierungen sind der Diktion nicht unverwandt, mit der ein Ministerialdirektor Werner Best in einem Schreiben an die Deutsche Forschungsgemeinschaft in Berlin um Fördermittel für die Deutsche Gesellschaft für keltische Studien nachsuchte. Er halte die keltische Arbeit, heißt es in dem Brief, unter den Gesichtspunkten des politischen Fernzieles, die keltischen Völker Westeuropas an die neue europäische Ordnung zu binden",
für dringend notwendig. Er weist besonders auf Arbeiten hin, die er für geeignet halte, den Bretonen das deutsche Interesse an ihrem Volkstum und Geistesleben zu beweisen und hierdurch die politische Aktivierung des Bretonentums zu fördern". Der Brief ist mit Heil Hitler!" unterzeichnet. Best verfaßte ihn am 8. Mai 1942 in Paris, wo er dem Vaterland als Kriegsverwaltungschef im besetzten Frankreich diente.

Die deutsche Keltologie hat eine dunkle Vergangenheit. Ihre Gegenwart ist nicht viel lichter. 1992 rezensierte der Wissenschaftshistoriker Gerd Simon aus Tübingen in der Zeitschrift Das Hochschulwesen die obskure Neuausgabe eines 1925 zuerst erschienenen Buches mit dem Titel Die vier Zweige des Mabinogi". Simon nahm den neu hinzugefügten Anhang aufs Korn biographische Anmerkungen zu Leben und Werk" des Autors, Ludwig Mühlhausen. Mühlhausen war der führende Keltologe der Nazizeit. Er hatte sich weniger durch wissenschaftliche Verdienste als durch seine führende Rolle im Ahnenerbe" der SS und im Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften" einen Namen gemacht. Unter seiner Leitung strahlten Nazisender Kriegspropaganda in die keltischen Randgebiete Großbritanniens aus und versuchten, sie gegen England aufzuwiegeln. Mühlhausen war mit dem damaligen irischen Staatspräsidenten, Douglas Hyde, befreundet. Die mit den Nazis sympathisierende offiziell neutrale irische Regierung feierte seine Sendungen als erste internationale Anerkennung" des Gälischen.

Die biographischen Anmerkungen zu den Mabinogi" bagatellisieren die Nazikarriere des  Begründers der Keltologie in Hamburg" und mogeln sich auch an seiner wohldokumentierten Beteuerung vorbei, die Krönung wissenschaftlicher Arbeit überhaupt" sei es, sie in den Dienst des Krieges und damit des deutschen Volkes zu stellen". Der Autor der schönfärberischen Kurzbiographie ist Professor Stefan Zimmer, Nachfolger des mittlerweile emeritierten Karl Horst Schmidt in Bonn und heute Oberhaupt der keltischen Hierarchie in Deutschland. Die Rezension schlug wie eine Bombe ein. Seit ihrem Erscheinen herrscht nun Grabenkrieg zwischen Keltologen und Wissenschaftshistorikern.

Joachim Lerchenmüller, der 1994 am altehrwürdigen Trinity College in Dublin über die Geschichte der deutschen Keltologie und ihr Verhältnis zum deutschen Imperialismus und irischen und bretonischen Nationalismus von 1900 bis 1945" promovierte, bezichtigt die andere Seite mafioser Sitten". Fachzeitschriften weigerten sich, Texte von ihm zu drucken. Ihr Manuskript", steht in einem Ablehnungsschreiben, bringt mich in größte Verlegenheit, da ich jeder Zensur abgeneigt bin." Doch es lese sich wie ein Angriff ad hominem auf einen hochverehrten Kollegen, den ich obendrein zu meinen persönlichen Freunden zähle".

Lerchenmüller ist empört, daß die Disziplin sich bis heute sperrt, mit ihrer Vergangenheit ins reine zu kommen: Jeder wissenschaftliche Diskurs mit deutschen Keltologen wendet sich ins Peinliche, weil sie sich weigern, historische Tatsachen und Forschungsergebnisse über die politische und ideologische Rolle ihres Fachs zur Kenntnis zu nehmen." Irische Fachkollegen
seien dagegen ganz unbefangen im Umgang mit der Tatsache, daß Politik und Wissenschaft im Bereich der Keltologie immer sehr eng verknüpft gewesen sind".

Die deutsche Faszination am Keltentum läßt sich bis zu Goethe und Herder und deren Begeisterung für die 1762 und 1763 von dem schottischen Bauernsohn James MacPherson entdeckten" Ossiangedichte zurückverfolgen. Die Gedichte stellten sich übrigens bald als eine der größten Fälschungen der Literaturgeschichte heraus. Im vergangenen Jahrhundert machte
sich unter Gelehrten eine Sucht breit, insbesondere alle Namen aus dem Keltischen herzuleiten. Sie ging als Keltomanie" in die Wissenschaftsgeschichte ein. Die Keltologie geriet vorübergehend in Mißkredit, als die vergleichende Sprachwissenschaft mit der Mode aufräumte.

Doch schon bald feierte die Zunft wieder unbeschwert deutsch-irische Brüderschaft. Wohl keine zwei anderen Völker", stand nach dem Dubliner Osteraufstand 1916 in den von der Deutsch-Irischen Gesellschaft in Berlin herausgegebenen Irischen Blättern, zählen ähnlich viele furchtlose Träumer und Idealisten zu den Ihren; die stolze und vornehme Haltung irischer
Märtyrer im Angesicht des Todes erinnert uns an die Taten unserer eigenen Vorfahren im Befreiungskrieg gegen Napoleon, an Schild, an Andreas Hofer und so viele andere, die nur ein Volk von Dichtern und Kämpfern hervorbringen kann."

Der Autor dieser Zeilen war Julius Pokorny, ein damals führender Vertreter seines Fachs. Das Irlandbild der Deutschen, meint Lerchenmüller, wurde wesentlich zu jener Zeit geprägt. Das Selbstverständnis der Disziplin als integraler Bestandteil des Kampfs der Kelten um nationale und Selbstbestimmung wurde ihre Tradition. Pokorny und seinen Kollegen gelang es, den
romantischen Flirt in politische Taten umzumünzen. Sie führten den Rebellenführer Roger Casement in Berlin ein, der später, als ein deutsches U-Boot ihn in Irland an Land zu setzen versuchte, von den Briten gefaßt und hingerichtet wurde. Pokornys Kollege Rudolf Thurneysen erklärte: Das nächste Außenfort der feindlichen Festung ist unterminiert und Sprengstoff genug vorhanden: Aber von selber wird er sich nicht entladen. Wir müssen mit eigenen Händen die Zündschnur hinbringen, um ihn zur Explosion bringen.

Leo Weisgerber, der wichtigste Schüler Thurneysens, beschrieb später stolz, wie die Keltologie die Außenforts der englischen und französischen Erbfeinde unterminierte: Nicht zuletzt deutsche Forscher waren es, die den keltischen Völkern im Laufe des 19. Jahrhunderts den Blick in ihre eigene Vergangenheit wiedereröffnet haben, die die Sprache der alten Denkmäler enträtselten, die von den Hochleistungen keltischer Kultur genaue Kunde erarbeiteten und die den Eigenwert dieser Schöpfungen zu seinem Recht brachten. Das allerdings sind Kenntnisse, die bei jedem Volke, das noch Eigenleben besitzt, zünden müssen und den Stolz auf die eigenen Leistungen emporflammen lassen bis zum letzten Einsatz für Lebensrecht und Entwicklungsfreiheit. Irland ist das sprechende Beispiel für diesen Verlauf."

Daraus ergab sich auch für Weisgerber die Primäraufgabe seiner sendungsbewußten Zunft: In diesem Sinne wird jeder Sprachkenner es als eine Aufgabe von geschichtlicher Gerechtigkeit ansehen, auch für die anderen keltischen Völker solchen Zündstoff zu sammeln. Sind diese Werte groß genug, und ist der Lebenswille noch ungebrochen, dann werden diese Völker
selbst die Folgerungen daraus zu ziehen wissen." Weisgerber hielt bis 1967 den Lehrstuhl in Bonn. Er starb 1985. Karl Horst Schmidt verfaßte in der Zeitschrift für celtische Phílologie einen angemessenen Nachruf auf seinen Vorgänger. Ganz im Sinne der großen, ungebrochenen Tradition dieser deutschen Wissenschaft.