Regensburger Rundschau, 16.5.2001


Ende der Allgemeinen Sprachwissenschaft

Ein Erfolgsmodell wird abgeschafft

Erfolgreicher Studiengang mit klinischem Nutzen muß "Medienwissenschaft" weichen


Von Jürgen Herda, Regensburg.

Ein Erfolgsmodell wird abgeschafft. Mit der bevorstehenden Umwidmung der "Allgemeinen Sprachwissenschaft" in einen medienwissenschaftlichen Studiengang blicken nicht nur etwa 180 Studenten in eine ungewisse Zukunft, sondern es steht auch ein in Bayern einmaliges Projekt vor dem Aus: die Grundlagenforschung für die Diagnose und Therapie von sprachgestörten Patienten, die neben der theoretischen Linguistik ein wichtiges Bindeglied zur Informationswissenschaft darstellt.


Den Regensburg-Besuch des bayerischen Wissenschaftsministers Hans Zehetmaier am vergangenen Freitag nutzten die betroffenen Studenten, um in einem offenen Schreiben auf ihre Lage und auf die Folgen für die ganze Region aufmerksam zu machen:




Spiegelt das Schreiben einfach nur den verständlichen, aber befangenen Blickwinkel der Studenten wider? Oder verliert Regensburg mit diesem Fach wirklich ein beträchtliches Stück Kompetenz auf einem zukunftsträchtigen Forschungsfeld?

Die Umwidmung des Lehrstuhls und damit den Verlust der linguistischen Grundlagenforschung dürfte nach Einschätzung eines Betroffenen, der nicht genannt werden will, auch die Rehabilitationsklinik Bad Gögging schmerzen: "Wir haben hier sehr erfolgreich zusammengearbeitet. Die Studenten haben dort ihre Praktika absolviert und wir haben die Sprachkategorien formuliert, mit denen die Ärzte und Therapeuten arbeiten konnten." Vereinfacht ausgedrückt versuchen die Linguisten Regeln nachzuweisen, nach denen das Gehirn Sprache verarbeitet. Gelingt es, solche zu identifizieren, haben die Therapeuten einen Hebel, um den Patienten nach einem Schlaganfall oder einem Schädel-Hirntrauma den mühsamen Sprachneuerwerb zu erleichtern. "Mit dem Klinikum und dem Bezirkskrankenhaus haben wir in Regensburg eine bereits vorhandene Infrastruktur, die sich zur Kooperation anbietet. Es ist völlig unverständlich, warum diese erfolgreiche Profilbildung jetzt wieder aufgegeben werden soll."

Der Rektor der Universität Regensburg, Professor Dr. Helmut Altner, sieht in der Umwidmung des Faches einen ganz normalen Vorgang: "Bei jeder freiwerdenden Professur hat die Universität die oft schmerzhafte Aufgabe, darüber zu entscheiden, ob eine Neuorientierung notwendig ist. Darüber entscheidet im Juni der Senat auf der Grundlage eines demokratischen Beschlusses des Fachbereichsrates." Obwohl er die Verdienste des bisherigen Lehrstuhlinhabers nicht schmälern wolle, weist der Rektor darauf hin, dass sich erst in jüngster Zeit erste Erfolge bei der Studienausrichtung Neurolinguistik angedeutet hätten. "Hier gab es eine Reihe von Hindernissen auszuräumen." In der derzeitigen Diskussion räume er der Schaffung von zwei medienwissenschaftlich aufgerichteten Lehrstühlen auf sprachwissenschaftlicher Basis gute Chancen ein: "Medien als Wirtschaftsfaktor und wegen ihrer überragenden gesellschaftlichen Bedeutung sind auch hinsichtlich der Zukunftsperspektiven unserer Studenten ein Wissenschaftsgegenstand, den man in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug ansiedeln kann. Zudem sehe ich die Möglichkeit einer Vernetzung mit bestehenden Studienangeboten, wie etwa mit der Wirtschaftsinformatik." Die Sorgen der Studenten seien verständlich, jedoch unbegründet: "Ich habe der Fakultät klar gemacht, dass sie hier eine außerordentlich ernstzunehmende Bringschuld hat." Die Universität müsse gewährleisten, dass jeder Student das Fach auch mit diesem Schwerpunkt zu Ende studieren könne.


Jeder Absolvent hat adäquaten Arbeitsplatz


Professor Herbert E. Brekle, einziger Fachvertreter und Initiator der neurolinguistischen Schwerpunktbildung, wollte sich eigentlich zu diesem Thema nicht mehr äußern: "Ich möchte den Studenten, die sich hier engagieren, nicht schaden." Seine Argumente für den Erhalt des Faches seien ihm als Versuch ausgelegt worden, seine Nachfolge zu beeinflussen. "Dabei muss man nur im Bayerischen Hochschulgesetz nachlesen, dass sich ein Fachvertreter sehr wohl darum kümmern muss, wie es inhaltlich weitergeht, wenn er der einzige Vertreter ist." Der Argumentation des Rektors könne er nicht in jedem Punkt folgen: "Dass die Studenten vernünftig zu Ende studieren können, hat der Rektor schon bei verschiedenen Anlässen versprochen. Das ist aber schon rein prüfungsrechtlich nur mit einer ordentlichen Lehrstuhlvertretung zu gewährleisten und nicht damit, mal hier oder dort einen Lehrauftrag zu vergeben." Das würde allerdings bedeuten, dass der Lehrstuhl auf Jahre hinaus blockiert sei und die Umwidmung auf unbestimmte Zeit verschoben werden müsse *?* kein Wunder, dass sich der Rektor darauf nicht festlegen lassen wolle. Inhaltlich verweist der an der Pensionsgrenze stehende Sprachwissenschaftler auf die offizielle Statistik der Universität: "Ich brauche dem eigentlich nichts hinzufügen, das ist eine Erfolgsstory. Bei der Studiendauer schneiden wir als Fakultätsbeste ab. Das heißt, unsere Leute studieren am schnellsten. Wir haben den höchsten Anteil an ausländischen Studenten *?* ein Nachweis für die internationale Attraktivität des Faches. Ganz oben liegen wir im Fakultätsvergleich auch bei den Benotungskurven von Magister- und Doktorarbeiten. Und vor allem: Bisher hat noch jeder Absolvent auf Anhieb einen adäquaten Arbeitsplatz gefunden." Nicht nur er selbst hätte dagegen seine Zweifel, ob ein literaturwissenschaftlich ausgerichteter Medienstudiengang ähnliche Perspektiven biete:


"So viele Feuilletons kann es nicht geben!"


"Da werden doch keine harten Fakten, die in der IT- oder Medienbranche gebraucht werden, gelehrt, sondern Allgemeinplätze wie die Geschichte der Medien seit Gutenberg oder die Entwicklung des Fernsehens. So viele Feuilletons kann es gar nicht geben, dass die Studierenden eines solchen Faches alle unterkommen."

Ihre ganzen Hoffnungen setzen die Studenten nun auf Minister Zehetmaier. Offiziell heißt es bisher zwar: "Es liegt kein offizieller Vorschlag der Universität vor." Angelika Kaus von der Pressestelle weist dennoch darauf hin, dass die Umwidmung des Lehrstuhls in letzter Instanz vom Ministerium entschieden wird: "In der Regel wird man dem Vorschlag des Senats folgen, wenn die Argumentation schlüssig ist. Wir haben kein Interesse, ohne Not in die Hochschulautonomie einzugreifen." In strittigen Fällen könne aber auch eine externe Evaluation angebracht sein. Und inoffiziell äußerte der Minister bei der Übergabe des Studentenpapiers durchaus Verständnis für deren Argumentation: "Ich würde mir wünschen, dass die Universität bei ihrer Entscheidung miteinbezieht, dass es nicht immer ratsam ist, auf jeden modernen Zug aufzuspringen. Auch in der IT-Branche hat das mancherorts zu einem bösen Erwachen geführt." Auf alle Fälle müsse aber gewährleistet werden, dass die Studenten ordentlich zu Ende studieren können: "Darüber werde ich nächste Woche mit den Verantwortlichen sprechen."


"Wissenschaftlicher Kannibalismus"


Gelingt es dem kleinen Fach, seine eigene Abschaffung noch über das Sommersemester 2001 hinaus zu blockieren, könnten die Karten ohnehin wieder neu gemischt werden. Dann nämlich tritt ein neuer Rektor sein Amt an, und der hätte durchaus die Möglichkeit, der Diskussion eine neue Richtung zu geben. Hinter vorgehaltener Hand munkelt man unter Studentenkreisen ohnehin, dass die Umwidmung des Lehrstuhls mehr eine politische als eine wissenschaftliche Entscheidung sei. Der Rektor habe, vermutet man, bei den Bleibeverhandlungen mit dem Germanistikprofessor Georg Braungart den frei werdenden Lehrstuhl "verschachert". Ein Student: "Das ist wissenschaftlicher Kannibalismus!"



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