Diskussionsbeitrag Thomas Krisch, Salzburg,

zum Rundtischgespräch
"Wozu (heute) noch Indogermanistik?"

bei der XI. Fachtagung der Indogermanischen Gesellschaft, Halle /Saale 17.-23.September 2000
zum Thema "Sprachkontakt und Sprachwandel"


Ich möchte meine Ausführungen in eine Vorbemerkung und in 4 Punkte gliedern. Der erste dieser Punkte soll zum Selbstbewusstsein im Umgang mit Leuten, die diese Frage stellen, auffordern, der zweite hat mit der Vermittlung von Schlüsselqualifikationen durch das Indogermanistik-Studium zu tun, der dritte soll an die interdisziplinären Verbindungen der Indogermanistik erinnern und der vierte soll ein Appell sein, weniger Berührungsängste mit anekdotischen Seiten des Fachs zu zeigen.


Zunächst zur Vorbemerkung

     In unserer auf Profit, Wirtschaftswachstum und Konsumsteigerung ausgerichteten westlichen Gesellschaft sind Antworten auf die Frage, wozu ein Wissenschaftsgebiet der Gesellschaft und anderen Wissensbereichen unmittelbar dient, derzeit eine Überlebensfrage für das in Frage stehende Gebiet. Gleichzeitig ist es auch eine Motivations- und Überlebensfrage für diejenigen, die von der Beschäftigung mit diesem Wissenschaftsgebiet leben. Der Rechtfertigungsdruck, unter dem die Indogermanistik derzeit steht, lässt sich m.E. strukturell durchaus mit dem Druck vergleichen, unter dem die Indogermanistik zur Zeit des kommunistischen Regimes in der Ex-DDR stand. Ich halte also das Thema des Roundtable-Gesprächs "Wozu heute (noch) Indogermanistik" für eminent wichtig und ich erhoffe mir, erwarte mir auch für mich selbst von den Mitdiskutanten und vom Auditorium durchaus konstruktive Ideen, die ich mit nach Hause nehmen kann, wo unser Fach derzeit innerhalb der Fakultät und der Universität als eigenständiges Fach abgelehnt wird und abgeschafft werden soll.

     Für uns, die sich mit historischer Sprachwissenschaft und Indogermanistik beschäftigen, klingt die Frage "Wozu heute noch Indogermanistik?" zunächst trivial. Wir wissen alle, wie reichhaltig und interessant unser Fach ist. Wir wissen dass das Spektrum, das wir in Lehre und Forschung anzubieten haben, von reiner linguistischer Sprachforschung bis zu kulturkundlichen Fragestellungen reicht. Von außen beurteilt man unser Fach dagegen oft anders. Man findet die Meinung, es passe als Art wissenschaftlicher Saurier nicht mehr in unsere Zeit, man begegnet einer Skepsis, ob sich überhaupt noch Neues finden lasse. Und damit bin ich schon bei meinem ersten Punkt:


      1) Wir müssen die Frage "Wozu heute noch Indogermanistik" nicht nur akademisch stellen, sondern wir sollten uns alle bemühen, dass wir diese Frage in unserem täglichen Wirkungskreis immer wieder von neuem durch Taten beantworten, damit das Fach eine Überlebenschance hat, auch wenn vielen von uns die "reine" Wissenschaft mehr liegt. In einer Zeit, in der die Verpackung und Vermarktung eine große Bedeutung hat, ist es gewiss auch nötig, die Scheu vor plakativem Präsentieren und Anwenden zu verlieren. Wir sollten immer und überall selbstbewusst darauf dringen, dass unsere akademische und nicht-akademische Mitwelt einsieht, dass auch die Indogermanistik das Interesse und die Kreativität einer Reihe wertvoller Menschen erweckt. Das, was diese Menschen machen, nämlich v.a. die wissenschaftliche Ermittlung interessanter historischer Zusammenhänge für eine Reihe von Sprachen, sollte eigentlich in der heutigen Zeit unumstritten sein, in der die globale Kommunikation und Information in den Medien zwangsläufig jedem täglich die Sprachenvielfalt vor Augen führt. Die Sinnhaftigkeit der Untersuchung von Sprachkontaktphänomenen, die das Thema dieses Kongresses ist, müsste eigentlich auch jedem Mitbürger der Gegenwart unmittelbar einleuchten. Was den wissenschaftlichen Fortschritt in unserem Fach anlangt, braucht er sich sicher nicht hinter dem anderer Geisteswissenschaften zu verstecken. Denken Sie nur daran, dass zusätzlich zu den "alten" Untersuchungsgegenständen, der Phonologie und der Morphologie in zunehmendem Maße Syntax, Semantik, Stilistik und Textlinguistik unser Fach prägen.

   

      2) Mit dem eben genannten Punkt hängt ein zweiter zusammen, nämlich, dass man sich mit der akademischen Beschäftigung mit indogermanistischen Fragestellungen Schlüsselqualifikationen für das moderne Leben in einer Reihe von Berufen erwerben kann. Die Indogermanistik ist schon von ihrem inneren Charakter her ein stark interdisziplinäres Fach mit einem ausgereiften Methodenkanon. Dies sollte schon per se ein Argument für ihre Existenzberechtigung in unserer Zeit sein. Die Studierenden lernen vernetztes Denken, eine Schlüsselqualifikation, die die Kreativität anregt und die auch von vielen potentiellen Arbeitgebern gefordert wird, egal an welchem Objekt sie erworben wurde. Denken Sie nur an die Königsdisziplin in unserem Fach, die Erstellung von Etymologien, wo von einem modernen Indogermanisten gefordert wird, Verbindungen lautlicher, morphologischer und semantischer Art zwischen Wörtern bzw. Phrasen mehrerer Einzelsprachen herzustellen. Das erfordert bei einer ernstzunehmenden Arbeit nach dem kreativen Geistesblitz nicht nur die Fähigkeit der Vernetzung einzelsprachlicher Formen und Bedeutungen sondern auch den philologisch exakten Umgang mit Texten in mehreren Philologien und das Eindringen in mythologische und realienkundliche Zusammenhänge. Und damit bin ich bei einer weiteren Schlüsselqualifikation, die man m.E. in besonders hohem Maße mit der Beschäftigung mit indogermanistischen Problemen erwirbt, nämlich die Recherchefähigkeit. Neben dem Forschungsobjekt, den alten Sprachen, muss man sich als Studierender bei in verschiedenen modernen Sprachen (nicht nur englisch) geschriebener Sekundärliteratur zurecht finden. Damit erwirbt man nebenbei Zusatz-Qualifikationen, die im Rahmen der europäischen Integration in den nächsten Jahren sicherlich zunehmend wichtiger sein werden. Dass Studierende der Indogermanistik heutzutage ihre Forschungen und Recherchen auch an weltweit vernetzten Computern durchführen, ist wohl seit den Pionierleistungen von Leuten wie Jost Gippert überall eine Selbstverständlichkeit.

      3) Als Drittes will ich kurz an die Bedeutung der Indogermanistik innerhalb der philologischen und sprachwissenschaftlichen Fächer in unserer Zeit erinnern. Wir wissen alle, dass unser Fach eine hervorragende Bedeutung für die klassischen Philologien hat. Im deutschsprachigen Raum gibt es immer noch sehr verbreitet die Tradition, dass die klassischen Philologen ihre sprachhistorische Ausbildung durch die Indogermanisten erhalten. Vielerorts gibt es auch eine bestehende Zusammenarbeit mit den orientalistischen Fächern, hier v.a. mit der Indologie. Wir sollten mit großem Einsatz darauf bedacht sein, dass diese institutionalisierte Zusammenarbeit dort, wo sie besteht, erhalten bleibt. Anderseits erscheint es mir unabdingbar, auch den modernen Philologien indogermanischer Sprachen wie Romanistik, Anglistik, Germanistik, Slavistik verstärkt Service-Leistungen durch die Indogermanistik anzubieten. Hier ist die sprachhistorische Ausbildung durch die Philologien selbst derzeit (zumindest nach meinen Erfahrungen) im Rückgang. In dieser Marktnische könnte die Indogermanistik also in stärkerem Maße als bisher Gutes für die Universitäten leisten. Da die Indogermanistik auch die Betreuung alter Philologien übernimmt, die an vielen Universitätsstandorten keine eigene Philologie besitzen, ergeben sich Bereiche, wo die Indogermanistik sich für Fächer wie Alte Geschichte und Archäologie nützlich machen kann. Beispiele dafür sind die Mykenologie, die Hethitologie und die Tocharologie.

   Ein weiterer wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist mir die Vernetzung der Indogermanistik mit anderen Bereichen der Sprachwissenschaft bzw. der Linguistik. Besonders enge Verbindungen lassen sich zur Allgemeinen Sprachwissenschaft ziehen, z.B. wenn es um Sprachwandel-Theorien oder um externe Evidenz für Theorien der Linguistik oder umgekehrt um Anwendung moderner linguistischer Theorien auf Material altindogermanischer Sprachen geht.

   Diese Überlegungen lassen sich vielleicht griffig als "Umwegrentabilität" charakterisieren, ein Argument, das in Salzburg zumindest bisher zum Erhalt der immer wieder gefährdeten weltberühmten Salzburger Festspiele beigetragen hat.

      4) Nun zu meinem vierten und letzten Punkt: Die Indogermanistik und ihre Methoden erwecken in der Gesellschaft immer noch großes Interesse in einer Reihe von Bereichen, die von der Wissenschaft am Rande betreut und z.T. auch als anekdotisch belächelt werden. Ich meine damit Bereiche wie Namenkunde, Stilistik und Wortspiele. Die Indogermanistik kann sich hier in Form von Vorträgen oder Präsenz in den Medien nützlich machen, in denen Namen analysiert, historische Dimensionen von z.B. dichtersprachlichen Stilfiguren beleuchet und paretymologische Wortspielereien mit ihren etymologischen Pendants verglichen werden. Ein verstärktes Interesse der in Forschung und Lehre Tätigen an diesen Bereichen ist sicherlich nicht von Nachteil für die Akzeptanz des Faches in der Gesellschaft.




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