Ich möchte meine Ausführungen in eine Vorbemerkung und in 4 Punkte gliedern. Der
erste dieser Punkte soll zum Selbstbewusstsein im Umgang mit Leuten, die diese Frage
stellen, auffordern, der zweite hat mit der Vermittlung von Schlüsselqualifikationen
durch das Indogermanistik-Studium zu tun, der dritte soll an die interdisziplinären
Verbindungen der Indogermanistik erinnern und der vierte soll ein Appell sein, weniger
Berührungsängste mit anekdotischen Seiten des Fachs zu zeigen.
Zunächst zur Vorbemerkung
In unserer auf Profit, Wirtschaftswachstum und Konsumsteigerung ausgerichteten
westlichen Gesellschaft sind Antworten auf die Frage, wozu ein Wissenschaftsgebiet
der Gesellschaft und anderen Wissensbereichen unmittelbar dient, derzeit eine Überlebensfrage
für das in Frage stehende Gebiet. Gleichzeitig ist es auch eine Motivations- und
Überlebensfrage für diejenigen, die von der Beschäftigung mit diesem Wissenschaftsgebiet
leben. Der Rechtfertigungsdruck, unter dem die Indogermanistik derzeit steht, lässt
sich m.E. strukturell durchaus mit dem Druck vergleichen, unter dem die Indogermanistik
zur Zeit des kommunistischen Regimes in der Ex-DDR stand. Ich halte also das Thema
des Roundtable-Gesprächs "Wozu heute (noch) Indogermanistik" für eminent wichtig
und ich erhoffe mir, erwarte mir auch für mich selbst von den Mitdiskutanten und
vom Auditorium durchaus konstruktive Ideen, die ich mit nach Hause nehmen kann,
wo unser Fach derzeit innerhalb der Fakultät und der Universität als eigenständiges
Fach abgelehnt wird und abgeschafft werden soll.
Für uns, die sich mit historischer Sprachwissenschaft und Indogermanistik
beschäftigen, klingt die Frage "Wozu heute noch Indogermanistik?" zunächst trivial.
Wir wissen alle, wie reichhaltig und interessant unser Fach ist. Wir wissen dass
das Spektrum, das
wir in Lehre und Forschung anzubieten haben, von reiner linguistischer Sprachforschung
bis zu kulturkundlichen Fragestellungen reicht. Von außen beurteilt man unser Fach
dagegen oft anders. Man findet die Meinung, es passe als Art wissenschaftlicher
Saurier nicht mehr in unsere Zeit, man begegnet einer Skepsis, ob sich überhaupt
noch Neues finden lasse. Und damit bin ich schon bei meinem ersten Punkt:
1) Wir müssen die Frage "Wozu heute noch Indogermanistik" nicht
nur akademisch stellen, sondern wir sollten uns alle bemühen, dass wir diese Frage
in unserem täglichen Wirkungskreis immer wieder von neuem durch Taten beantworten,
damit das Fach eine Überlebenschance hat, auch wenn vielen von uns die "reine"
Wissenschaft mehr liegt. In einer Zeit, in der die Verpackung und Vermarktung eine
große Bedeutung hat, ist es gewiss auch nötig, die Scheu vor plakativem Präsentieren
und Anwenden zu verlieren. Wir sollten immer und überall selbstbewusst darauf dringen,
dass unsere akademische und nicht-akademische Mitwelt einsieht, dass auch die Indogermanistik
das Interesse und die Kreativität einer Reihe wertvoller Menschen erweckt. Das,
was diese Menschen machen, nämlich v.a. die wissenschaftliche Ermittlung interessanter
historischer Zusammenhänge für eine Reihe von Sprachen, sollte eigentlich in der
heutigen Zeit unumstritten sein, in der die globale Kommunikation und Information
in den Medien zwangsläufig jedem täglich die Sprachenvielfalt vor Augen führt. Die
Sinnhaftigkeit der Untersuchung von Sprachkontaktphänomenen, die das Thema dieses
Kongresses ist, müsste eigentlich auch jedem Mitbürger der Gegenwart unmittelbar
einleuchten. Was den wissenschaftlichen Fortschritt in unserem Fach anlangt, braucht
er sich sicher nicht hinter dem anderer Geisteswissenschaften zu verstecken. Denken
Sie nur daran, dass zusätzlich zu den "alten" Untersuchungsgegenständen, der
Phonologie und der Morphologie in zunehmendem Maße Syntax, Semantik, Stilistik und
Textlinguistik unser Fach prägen.
2) Mit dem eben genannten Punkt hängt ein zweiter zusammen, nämlich,
dass man sich mit der akademischen Beschäftigung mit indogermanistischen Fragestellungen
Schlüsselqualifikationen für das moderne Leben in einer Reihe von Berufen erwerben
kann. Die Indogermanistik ist schon von ihrem inneren Charakter her ein stark interdisziplinäres
Fach mit einem ausgereiften Methodenkanon. Dies sollte schon per se ein Argument
für ihre Existenzberechtigung in unserer Zeit sein. Die Studierenden lernen vernetztes
Denken, eine Schlüsselqualifikation, die die Kreativität anregt und die auch von
vielen potentiellen Arbeitgebern gefordert wird, egal an welchem Objekt sie erworben
wurde. Denken Sie nur an die Königsdisziplin in unserem Fach, die Erstellung von
Etymologien, wo von einem modernen Indogermanisten gefordert wird, Verbindungen
lautlicher, morphologischer und semantischer Art zwischen Wörtern bzw. Phrasen mehrerer
Einzelsprachen herzustellen. Das erfordert bei einer ernstzunehmenden Arbeit nach
dem kreativen Geistesblitz nicht nur die Fähigkeit der Vernetzung einzelsprachlicher
Formen und Bedeutungen sondern auch den philologisch exakten Umgang mit Texten in
mehreren Philologien und das Eindringen in mythologische und realienkundliche Zusammenhänge.
Und damit bin ich bei einer weiteren Schlüsselqualifikation, die man m.E. in besonders
hohem Maße mit der Beschäftigung mit indogermanistischen Problemen erwirbt, nämlich
die Recherchefähigkeit. Neben dem Forschungsobjekt, den alten Sprachen, muss man
sich als Studierender bei in verschiedenen modernen Sprachen (nicht nur englisch)
geschriebener Sekundärliteratur zurecht finden. Damit erwirbt man nebenbei Zusatz-Qualifikationen,
die im Rahmen der europäischen Integration in den nächsten Jahren sicherlich zunehmend
wichtiger sein werden. Dass Studierende der Indogermanistik heutzutage ihre Forschungen
und Recherchen auch an weltweit vernetzten Computern durchführen, ist wohl seit
den Pionierleistungen von Leuten wie Jost Gippert überall eine Selbstverständlichkeit.
3) Als Drittes will ich kurz an die Bedeutung der Indogermanistik
innerhalb der philologischen und
sprachwissenschaftlichen Fächer in unserer Zeit erinnern. Wir wissen alle, dass
unser Fach eine hervorragende Bedeutung für die klassischen Philologien hat. Im
deutschsprachigen Raum gibt es immer noch sehr verbreitet die Tradition, dass die
klassischen Philologen ihre sprachhistorische Ausbildung durch die Indogermanisten
erhalten. Vielerorts gibt es auch eine bestehende Zusammenarbeit mit den orientalistischen
Fächern, hier v.a. mit der Indologie. Wir sollten mit großem Einsatz darauf bedacht
sein, dass diese institutionalisierte Zusammenarbeit dort, wo sie besteht, erhalten
bleibt. Anderseits erscheint es mir unabdingbar, auch den modernen Philologien indogermanischer
Sprachen wie Romanistik, Anglistik, Germanistik, Slavistik verstärkt Service-Leistungen
durch die Indogermanistik anzubieten. Hier ist die sprachhistorische Ausbildung
durch die Philologien selbst derzeit (zumindest nach meinen Erfahrungen)
im Rückgang. In dieser Marktnische könnte die Indogermanistik also in stärkerem
Maße als bisher Gutes für die Universitäten leisten. Da die Indogermanistik auch
die Betreuung alter Philologien übernimmt, die an vielen Universitätsstandorten
keine eigene Philologie besitzen, ergeben sich Bereiche, wo die Indogermanistik
sich für Fächer wie Alte Geschichte und Archäologie nützlich machen kann. Beispiele
dafür sind die Mykenologie, die Hethitologie und die Tocharologie.
Ein weiterer wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist mir die Vernetzung
der Indogermanistik mit anderen Bereichen der Sprachwissenschaft bzw. der Linguistik.
Besonders enge Verbindungen lassen sich zur Allgemeinen Sprachwissenschaft ziehen,
z.B. wenn es um Sprachwandel-Theorien oder um externe Evidenz für Theorien der Linguistik
oder umgekehrt um Anwendung moderner linguistischer Theorien auf Material altindogermanischer
Sprachen geht.
Diese Überlegungen lassen sich vielleicht griffig als "Umwegrentabilität"
charakterisieren, ein Argument, das in Salzburg zumindest bisher zum Erhalt der
immer wieder gefährdeten weltberühmten Salzburger Festspiele beigetragen hat.
4) Nun zu meinem vierten und letzten Punkt: Die Indogermanistik und ihre Methoden erwecken in der Gesellschaft immer noch großes Interesse in einer Reihe von Bereichen, die von der Wissenschaft am Rande betreut und z.T. auch als anekdotisch belächelt werden. Ich meine damit Bereiche wie Namenkunde, Stilistik und Wortspiele. Die Indogermanistik kann sich hier in Form von Vorträgen oder Präsenz in den Medien nützlich machen, in denen Namen analysiert, historische Dimensionen von z.B. dichtersprachlichen Stilfiguren beleuchet und paretymologische Wortspielereien mit ihren etymologischen Pendants verglichen werden. Ein verstärktes Interesse der in Forschung und Lehre Tätigen an diesen Bereichen ist sicherlich nicht von Nachteil für die Akzeptanz des Faches in der Gesellschaft.