Dag og Tid, 29.9.2001, Nr. 39:

 

Der Ivar Aasen Afghanistans

In den 20er Jahren begann der Sprachwissenschaftler Georg Valentin von Munthe av Morgenstjerne eine große und wichtige Arbeit - in Afghanistan.

 

von Ottar Fyllingsnes

(aus dem Norwegischen /Nynorsk von Bernardo Christophe)

 

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GEORG MORGENSTJERNE

 

* geboren 1892 in Kristiania (Oslo)

* Studium des Lateinischen und des Griechischen

* Studium der indischen Sprachen in Deutschland

* 1924: Reise nach Afghanistan

* 1930: Professor für indogermanische Sprachwissenschaft

* 1937: Professor für indische Sprache und Literatur

* Das Buch Indo-Iranian Frontier Languages (2110 Seiten) steht wie ein Denkmal für sein Leben

* gestorben 1978

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Was war das für ein Land, das Georg Morgenstjerne traf?

 

1919, nach dem dritten britisch-afghanischen Krieg, wurde Afghanistan ein selbständiger Staat. Unter der Leitung Königs Amanullah Khan wurde eine umfassende Reformpolitik eingeleitet, mit einer zentralisierter Staatsgewalt, Emanzipation der Frau und einer offeneren Haltung gegenüber der Außenwelt. 1929 wurde der König gestürzt, die Reformpolitik ging aber weiter, wenn auch in einem langsameren Tempo.

 

Sowohl sprachlich als auch ethnisch war Afghanistan kein einheitliches Gebilde. Neben den beiden Hauptsprachen - Paschto und Persisch - wurden mehrere iranische, indische und türkische Sprachen gesprochen.

 

Georg Morgenstjerne (1892-1978) verwandte den größten Teil seines Lebens auf Sprachforschung. Die linguistische Feldforschung sowie die längeren Aufenthalte bei exotischen Völkerschaften machten ihn auch zu einem guten Ethnograph und Kulturhistoriker. Ein großer Teil seiner Arbeit ist sowohl für die iranische als auch für die indische Religionswissenschaft, Folklore und für die Erforschung der epischen Tradition wertvoll.  Der Großteil des Textmaterials, das er bei seinen sprachwissenschaftlichen Expeditionen nach Nordwestindien und Afghanistan sammelte, sind Märchen und Volksdichtung.

 

Der Sprachprofessor

 

Georg Morgenstjerne wurde 1892 in Kristiania (Oslo) geboren und wuchs in einer wohlsituierten Beamtenfamilie auf. Ein Buch über nordische Götter sowie ein dänischer Lexikonartikel über die Indogermanen bewogen ihn dazu, Sprachwissenschaftler zu werden.

 

Den ersten Blick vom Orient erhielt Morgenstjerne bei einer Reise nach Ägypten im Jahre 1902. Schon damals lernte er die arabische Schrift. Sein erster wissenschaftlticher Artikel Fra Ægypten (Aus Ägypten) erschien 1903 in der Zeitschrift Norske Gutter. Er entschied sich dazu, Latein und Griechisch zu studieren, brach dann dieses Studium ab und reiste nach Deutschland, um indische Sprachen zu studieren. Später warf er sich auf das Tibetische und das Iranische.

 

Georg Morgenstjerne wurde 1930 zum Professor der vergleichenden indogermanischen Sprachwissenschaft in Göteborg ernannt, und 1937 wurde er Professor für indische Sprache und Literatur in Oslo. Er hat viele Artikel und Bücher geschrieben, der Großteil davon handelte sich um Paschto - die Sprache, die er nach seiner Muttersprache am liebsten mochte. Er gab 1927 ein etymologisches Wörterbuch für diese Sprache heraus, und solange er lebte, sammelte er Material für eine Neuauflage.

 

Nach Afghanistan

 

1923 reiste Georg Morgenstjerne zusammen mit seiner Frau nach Indien. Er lebte einige Monate dort, aber Anfang 1924 reiste er allein weiter nach Peshawar in Nordwestindien, im heutigen Pakistan, damals ein Zentrum für das Studium des Paschto. Von Peshawar ging die Reise dann weiter nach Kabul, wo er sich ein halbes Jahr aufhielt. Hier vertiefte er sich in das Studium des Paschto, sammelte aber gleichzeitig Texte und andere Materialien aus vielen Sprachgemeinschaften Afghanistans.

 

Dieser Aufenthalt prägte Georg Morgenstjerne entscheidend für den Rest seines Lebens. Hier fand er ein verlockendes, fast jungfräuliches Arbeitsfeld. Die Pathanstämme auf beiden Seiten der Grenze nahmen ihn auf und teilten bereitwillig ihre Schätze mit ihm. Ihr Land sollte seinem Herzen mehr als jedes andere nahe stehen. Immer wieder kehrte er zur afghanischen Kultur und zu den Minderheitensprachen zurück, um die sich niemand zuvor gekümmert hatte.

 

Damals waren es nur wenige Jahre her, dass das Land für ausländische Wissenschaftler geöffnet worden war. Viele der Sprachen, die Morgenstjerne studierte, waren für die Sprachwissenschaft unbekannt. Er entdeckte beispielsweise das Parachi, eine Sprache, von der die Sprachwissenschaft nichts wusste.

 

- Dies war eine iranische Sprache, die von ein paar Tausend Menschen im Hindukusch-Gebirge nördlich von Kabul. Vermutlich handelt es sich um eine letzte Überbleibsel der vorafghanischen Bevölkerung des Landes, schreibt Professor Fridrik Thordarson im Vorwort des Buches På sprogjakt i Hindukush. Dagboksnotater fra Chitral 1929 [Auf Sprachenjagd im Hindukush. Tagebuchaufzeichnungen aus Chitral 1929].

 

Hier begann Morgenstjerne seine Arbeit mit den sogenannten Kafir-Sprachen, die in Kafiristan, im nordöstlichen Teil Afghanistans, gesprochen werden. Er sammelte auch äußerst wertvolle Informationen über die letzten Reste des vorislamischen Heidentums der Kafire.

 

Wie Morgenstjerne bewies oder zumindest wahrscheinlich machte, bilden die Kafirsprachen einen dritten Zweig der arischen Sprachfamilie, neben den indischen und den iranischen Sprachen.

 

Der Kenner

 

1929 reiste Morgenstjerne zum zweiten Mal nach Indien, aber diesmal kam er nicht nach Afghanistan, sondern in den kleinen Staat Chitral hoch auf dem Tirich Mir, dem gleichen Berg, den Arne Naess später besteigen sollte.

 

In Quetta in Pakistan sammelte Morgenstjerne linguistische Information zum Balochi, einer iranischen Sprache, die in Pakistan, Afghanistan und Iran gesprochen wird, sowie zum Brahui, einer Sprache aus der dravidischen Sprachfamilie.

 

Verschiedene Umstände bewirkten, dass Morgenstjerne Afghanistan erst wieder im Jahre 1949 besuchen konnte. Von dieser Zeit an bis hin zu seinen letzten Lebensjahren ist er dort mehrmals gewesen. Er wurde als größter westliche Kenner sowohl des Paschto als auch der sprachlichen Verhältnisse Afghanistans überhaupt gefeiert.

 

Zu Dank verpflichtet

 

Als Morgenstjerne seine Arbeit in Afghanistan begann, war diese eine terra incognita für die Sprachwissenschaft. Später im Alter rechtfertigte er sich oft damit, dass er seinen Don-Juan-Tendenzen nachgegeben und sich über eine Vielfalt von Sprachen und Dialekten ausgebreitet hätte, statt sich auf einige wenige zu konzentrieren.

 

- Für diesen Leichtsinn wird ihm die indo-arische Sprachwissenschaft immer zu Dank verpflichtet sein. Das, was wir heute über die sprachlichen Verhältnisse Afghanistans wissen, schulden wir Georg Morgenstjerne mehr als irgendeinem anderen Menschen, schreibt Professor Thordarson.

 

In seiner Gedenkrede an Georg Morgenstjerne vor der Norwegischen Akademie der Wissenschaften hob Universitätsdozent Knut Kristiansen hervor, dass Morgenstjerne die notwendige physische Kondition hatte, um in solchen abgelegenen Gebieten Sprachforschung zu betreiben.

 

- Intellektuell war er genau so wohl gerüstet. Nie habe ich jemanden getroffen, der sich so schnell in die Struktur einer Sprache so schnell hineinversetzen konnte. Er muss einen sechsten Sinn für Etymologie gehabt haben.  Er hatte auch eine merkwürdige Fähigkeit, mit mehreren Sprachen gleichzeitig zu arbeiten, und dies half ihm auch in Regionen wie Pakistan und Afghanistan, die zu den polyglottesten Regionen der Welt gehören, schreibt Kristiansen.

 

Gefangenensprache

 

Als Georg Morgenstjerne in den 20er Jahren Afghanistan besuchte, war es nicht üblich, Tonbänder zu benutzen. Er benutzte deshalb Wachsrollen und bespielte Schallplatten, wann immer es technisch möglich war, aber meistens arbeitete er nach Diktat.

 

Da 1924 die meisten Bezirke in Afghanistan abgesperrt war, geschah es, dass er mit Informanten "in Ketten" arbeitete. Sie wurden zu ihm aus dem Stadtgefängnis geführt, das eine reiche Auswahl an Gefangenen aus dem ganzen Land hatte.

 

Bereits im Jahre 1929 filmte er das Frühlingsfest des Kalashane im Rumburtal in Chitral. Er war der erste Europäer, der diese religiöse Zeremonie schilderte, bei einem Volk, das noch nicht islamisiert war. Auch die Gesänge, die er hörte, bewahrte er vor der Vergessenheit. Die Fotosammlung, die er dem Indo-iranischen Institut [der Universität Oslo] gab, besitzt heute großen Wert.

 

- Die Tatsache, dass das gesammelte Material so reichhaltig ist, ist auf Morgenstjernes erstaunliche Fähigkeit zurückzuführen, mit Menschen aller Art in Kontakt zu kommen. Er hatte ein echtes Interesse und einen tiefen Respekt für alles, was in fremden Kulturen "anders" war. Er akzeptierte und respektierte Unterschiede. Jeder einzelne Informant, unabhängig davon, ob er ihm im Kabuler Stadtgefängnis, auf einem Militärlager oder im jeweiligen Heimatdorf begegnete, lebt weiter in seinem Werk als Individuum und als eigentlicher Besitzer der Werte, die er vermitteln durfte, schreibt Knut Kristensen.