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Achtung: Dies ist eine Internet-Sonderausgabe von Gippert (1995f).
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Attention: This is a special edition of Gippert (1995f).
for the internet. It should not be quoted. For quotations, please refer to the
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Zur Phonetik der Laryngale
Diskussionsbeitrag
Jost Gippert
Ich mchte vorausschicken, daá ich im Gegensatz zu meinen Vorrednern hier kein fertiges,
in sich geschlossenes System vorstellen kann und will; ich mchte vielmehr einige
grundlegende Fragen problematisieren, die bei der Frage nach der "Phonetik der Laryngale"
zu bercksichtigen sind.
An den Anfang meiner Ausfhrungen mchte ich zwei Zitate stellen, die beide dem
von Alfred Bammesberger herausgegebenen Sammelband zur "Laryngaltheorie"
entstammen. Das erste ist dem Beitrag unseres Diskussionspartners Robert Beekes
entnommen, das zweite stammt von Heiner Eichner. In beiden
Zitaten geht es vorderhand nicht um unser Thema, die Phonetik der Laryngale, sondern
um eine Frage, die als zweitrangig erscheinen mag: die Frage der Notation laryngalistischer
Anstze. Dennoch lassen sich die Probleme, die ich ansprechen will, hieran gut aufzeigen.
In seinem Beitrag "Laryngeal Developments: A Survey" schrieb Robert Beekes1:
"I do not distinguish between r and ør, i
and Ä, as this leads to misunderstandings. As r and ør
are one phoneme, they should be noted with one sign. Therefore Eva Tichy's
proposal to distinguish H and øH, and even Æ,
is most unhappy .. Especially with the laryngeals the notation will lead to confusion (øH being taken as a
second phoneme). Thus, a notation CøRHC blocks a right understanding
of the development of Tocharian, CRaC, which derives from [CRøHC].
A notation eHønC blocks the understanding of Tocharian and Germanic
-§nC, where the n was not vocalic (whereas it was in Indo-Iranian,
e.g. /vaHata-/ `wind' < *h2ueh1nto-).
In PIE there was only one phoneme, H, r, n etc., the vocalization was different
in the separate languages."
Eine ganz andere Position im Hinblick auf die Notation laryngalistischer Anstze
vertrat demgegenber Heiner Eichner in seinem Beitrag "Anatolisch
und Trilaryngalismus", der postulierte2,
"daá es .. nicht besonders gnstig ist, fr die uridg. Grundsprache abstrakte
Rekonstruktionen ohne explizite Angabe der Koloration eines Weitvokals (z.B. *nÅeh2
`die neue' statt *nÅah2) anzugeben. Die Unterstellung,
daá die Koloration automatisch eintritt, vertrgt sich zwar zufllig mit dem bisher
ermittelten De-facto-Befund, trgt aber der theoretisch auáerordentlich
wichtigen Mglichkeit analogischer Durchkreuzung synchroner (oder auch: diachroner)
Lautregeln zu wenig Rechnung."
Wie verhalten sich nun beide Notationsvorschlge zueinander? Transponieren wir
Eichners Beispiel in das von Beekes bevorzugte
System, so erhalten wir fr die grundsprachliche Vorform zu dem femininen Adjektiv
"die neue", lat. nov¦, griech. ä× usw., nebeneinander
die beiden Anstze *neueh2 und neÅah2, die
sich ohne weiteres als Notationen einer (mor)phonologischen Struktur (neueh2)
und ihrer phonetischen Realisation (neuah2) deuten lassen. Im
Hinblick auf die Beurteilung des in dem Wort enthaltenen Laryngals wrde das bedeuten,
daá dessen "umfrbende" Wirkung - die Abwandlung eines neben ihm stehenden e
in ein a - im Urindogermanischen noch als ein Phnomen der phonetischen
Realisation aufzufassen wre, ebenso wie die nichtsilbische Artikulation des u
in der Wortmitte.
Nun ist aber zweierlei zu bedenken: Zum einen ist das Resultat der "Umfrbung",
nmlich der a-Vokalismus in der zweiten Silbe des Wortes, in allen indogerman.
Sprachen, die diese oder entsprechende Wortformen kennen, reprsentiert; Eichners
neÅah2 ist deshalb genau diejenige Vorform, die wir bei stringenter
Anwendung des Verfahrens der externen Rekonstruktion, d.h. durch
die Abgleichung aller einzelsprachlichen Befunde miteinander, erreichen knnen.
Die Notation neueh2 im Sinne Beekes' geht
hingegen einen Schritt darber hinaus: Daá das durch externe Rekonstruktion zu gewinnende
a in der zweiten Silbe, etwa im Sinne einer phonetischen Realisation, ein
e vertritt, wird nicht durch das Zeugnis der Einzelsprachen evident, sondern
aufgrund von berlegungen zur urindogermanischen Wortstruktur; die Notation neueh2
beruht also nicht allein auf externer Evidenz, sondern verwendet darber hinaus
das Verfahren der internen Rekonstruktion, d.h. einer Rekonstruktion,
die auf der Feststellung morphologischer Gesetzmáigkeiten aufbaut3.
Wenn neueh2 weiter aber aufgrund interner Rekonstruktion fr
neÅah2 eingesetzt werden kann, so treten beide Formen zustzlich
in einen chronologischen Kontrast zueinander: Der Ansatz neueh2
wre dann Reprsentant eines frheren Zustands,
der Ansatz neÅah2 der eines spteren;
im ersteren Fall wre die Laryngalwirkung der "Umfrbung" noch nicht eingetreten,
im letzteren htte sie sich bereits ausgewirkt.
Diese chronologische Differenz ist nun von eminenter Bedeutung, wenn wir die Laryngalwirkung
der "Umfrbung" im Hinblick auf die lautliche Interpretation des Laryngals verwerten
wollen. Wir mssen uns z.B. klar darber sein, daá wir nur das Resultat
der Laryngalwirkung, das a, mit gengender Sicherheit durch externe Rekonstruktion
greifen knnen, nicht jedoch den Ausgangspunkt: ob das a
durch "Umfrbung" eines e-Lauts entstanden ist,
wie es die Beekessche Notation suggeriert, und ob der aufgrund
interner Rekonstruktion anzusetzende urindogermanische Vollvokal berhaupt als e
adquat notiert werden kann, ist eine Frage, die wir nicht mehr aufgrund externer
Evidenz klren knnen.
Aus diesen berlegungen folgert, daá wir uns zunchst selbst Klarheit darber verschaffen
mssen, auf welche Zeitstufe wir uns bei der Rekonstruktion der Laryngale und ihrer
lautlichen Natur beziehen wollen. Der Zeitpunkt, an dem die Laryngalwirkung der
"Umfrbung" eintrat, kann ja ein ganz anderer, sehr viel frherer gewesen sein als
derjenige, den wir durch die Abgleichung der einzelsprachlichen Gegebenheiten erreichen
knnen; und innerhalb des dazwischen liegenden Zeitraums mag sich der Laryngal selbst
wesentlich verndert haben. Da unsere Rekonstruktionssicherheit immer weiter abnimmt,
je weiter wir in die Vorgeschichte der Grundsprache hinabdringen, ist es m.E. am
sinnvollsten, zunchst allein jenen Zeitpunkt bei der Rekonstruktion anzusteuern,
der unmittelbar vor der Abspaltung der ersten bezeugten Einzelsprache oder Sprachgruppe
liegt. Die Annahme eines solchen Punktes ist unabhngig davon mglich, welches Modell
wir zur Veranschaulichung der Diversifikation der indogermanischen Sprachfamilie
whlen: Wenn wir die in Abb. 1 wiedergegebenen, ohne Anspruch auf historische Realitt
erstellten exemplarischen Stammbaummodelle miteinander kontrastieren, befindet sich
der hier avisierte Zeitpunkt in beiden Fllen am Schnittpunkt der Waagerechten mit
den senkrechten "Entwicklungslinien".

Fr mich ergibt sich also mit anderen Worten die methodologische Forderung, zunchst
- im Sinne Eichners - smtliche Mglichkeiten der externen
Rekonstruktion auszuschpfen, um ein Bild von der urindogermanischen Grundsprache
in ihrem bei Rckschau zuerst greifbaren Zustand zu ermglichen. Das bedeutet, daá
alle einzelnen "Laryngalwirkungen" im Hinblick auf ihre chronologische Einordnung zu berprfen sind und insbesondere
untersucht werden muá, ob sie einzelsprachlich oder voreinzelsprachlich sind oder
sein knnen. Erst dann lassen sie sich angemessen auf ihnen zugrundeliegende phonologische
und phonetische Realitten hin hinterfragen.
Die Anwendung dieses methodologischen Postulats und die daraus resultierenden Erkenntnismglichkeiten
mchte ich nun anhand von einigen wenigen Beispielen demonstrieren. Ich kann wegen
der knappen Zeit natrlich nicht alle Laryngalwirkungen und -reflexe, die in der
Literatur behauptet worden sind, diskutieren, sondern muá mich auf die Behandlung
einer kleinen Auswahl beschrnken.
Mit Sicherheit in voreinzelsprachliche Zeit drfte das bereits angesprochene Phnomen
der "Umfrbung" fallen. Dies ergibt sich aus der groáen Menge von Wortformen, die
ber alle Einzelsprachen hinweg zwar die "umgefrbten" Vokale zeigen, nicht jedoch
einen unmittelbaren Reflex der Laryngale selbst. Wir mssen dabei bedenken, daá
wir in Wrtern wie griech. und lat. Ùï "ich treibe" oder lat.
onus "Last" die Laryngale (*h2aÜo- bzw. *h3onos-)
meist berhaupt nur wegen eines morphologischen Prinzips ansetzen, d.h. wiederum aufgrund interner Rekonstruktion; die morphologische
Regularitt, die so erzielt werden kann, besteht darin, daá die Stmme so jeweils
als normal-vollstufig interpretierbar sind (*h2eÜ-o- wie *bher-o-,
*h3en-os- wie *Üenh1-os-). Da
in einer lautlichen Konstellation wie der hier gegebenen (anlautender Laryngal vor
Vokal) ein unmittelbarer Reflex nur fr den zweiten Laryngal zu erwarten ist, und
zwar nur im Anatolischen (in Form des heth. à), ist es z.B. denkbar, daá
die beiden anderen Laryngale in dieser Position bereits in voreinzelsprachlicher
Zeit zusammengefallen oder sogar ganz ausgefallen sind, was natrlich bedeuten wrde,
daá sie ihre "umfrbende" Wirkung vor dem Ausfall gehabt haben máten und die durch
die "Umfrbung" entstandenen Vokale a bzw. o sich beim Ausfall
des Laryngals sozusagen "verselbstndigt" haben máten.
Das wiederum wirft die interessante Frage auf, ob es diese Vokale zum Zeitpunkt
der eintretenden Umfrbung auch bereits unabhngig von danebenstehenden Laryngalen
gegeben hat. Im Falle des Vokals o ist dies mit groáer Sicherheit anzunehmen,
da der Ablautswechsel zwischen Formen wie dem Prsensstamm *h2aÜ-o-
"ich treibe" und Ableitungen wie dem in griech. Ùão@ "Ackerfurche"
vorliegenden *h2oÜ-mo- sonst nicht motivierbar wre, worauf
vor kurzem erst unser Gastgeber hingewiesen hat4.
Fraglich bleibt allerdings, ob der in letzterer Wortform vorliegende "Ablautsvokal"
o, der, wie man sieht, durch einen danebenstehenden zweiten Laryngal offenbar
nicht beeinfluát wurde, lautlich vllig identisch war mit einem durch den dritten
Laryngal aus e "umgefrbten" o, was nicht selbstverstndlich ist
und auch durchaus bezweifelt worden ist.
Noch schwieriger ist die Frage zu entscheiden, ob vor dem Eintritt der "frbenden"
Wirkung des zweiten Laryngals in der urindogermanischen Grundsprache ein a-Vokal
bereits existiert hat oder nicht. Es ist denkbar, daá der allgemein als a
fortgestzte Vokal zunchst berhaupt erst durch die "frbende" Wirkung des Laryngals
aus dem normalen Vollvokal entstanden ist, d.h. als ein Allophon desselben, und
erst dann notgedrungen
phonologisiert wurde, als der Laryngal wegfiel. Dies ist jedoch kaum wahrscheinlich,
denn gerade der zweite Laryngal ist ja bis in einzelsprachliche Zeit in der Stellung
neben einem Vokal erhalten geblieben (im Anatolischen), und es gibt auf der anderen
Seite gengend Wrter, die mit einem a rekonstruiert werden mssen, ohne
irgendwo irgendeinen Laryngalreflex zu zeigen.
Werten wir diese Beobachtungen im Hinblick auf die Fragestellung nach der lautlichen
Struktur der Laryngale aus, so ergibt sich die Feststellung, daá die "umfrbende"
Wirkung fr diese Frage kaum argumentativ verwendet werden kann, wenn man bei der
Rekonstruktion den Zeitpunkt unmittelbar vor der Abspaltung der ersten Einzelsprache(n)
im Auge hat. Zielt man hingegen auf den Zeitpunkt ab, wo die "Umfrbung" selbst
zum ersten Mal eingetreten ist (sie muá brigens nicht bei allen Laryngalen gleichzeitig
eingetreten sein), so bleibt es bei der schon oben erwhnten Schwierigkeit, daá
wir ja nicht wissen knnen, was fr ein Laut (den wir ja nur konventionshalber als
e notieren) berhaupt umgefrbt wurde; diesem Problem der internen Rekonstruktion
knnen wir allenfalls mit allgemeinen lauttypologischen Argumentationen nhertreten,
und hierzu fehlt es noch weitgehend an Vorarbeiten (ich denke z.B. an semitistische
oder kaukasistische Studien, die Materialien aus lebenden oder bezeugten laryngalhaltigen
Sprachen beibringen knnten).
Eine Beobachtung mchte ich immerhin in diesem Zusammenhang ansprechen, um zu zeigen,
wie leicht man hier voreiligen Schlssen unterliegen kann: Es wird immer wieder
behauptet, die durch den dritten Laryngal hervorgerufene "Umfrbung" eines e
in ein o deute darauf hin, daá dieser Laryngal eine gerundete Artikulation
gehabt habe, da der Unterschied zwischen einem e und einem o u.a.
in der Lippenrundung bestehe. Ich halte diesen Schluá fr sehr bedenklich, solange
nicht nachgewiesen wird, daá sich das Merkmal "gerundet" bei urindogermanischen
Konsonanten auch sonst assimilatorisch auf danebenstehende Vokale ausgewirkt hat.
Ich denke dabei v.a. an die Labiovelare kÅ, gÅ usw.,
denen zumindest bisher keinerlei "rundende" Wirkung auf ein benachbartes e
nachgesagt wurde (man vergleiche allein Flle wie griech. -êÛ "und"
< *-kÅe, got. qin© "Frau" < *gÅen-©n-,
griech. ÞÛ¡äï "tte" < *gÅhen-Äo-
griech. ço@
"Wort" < *ÅekÅ-os- usw.). Die "Frbung" zu
"o" durch den dritten Laryngal braucht also durchaus nichts mit einer Rundung
zu tun zu haben.
Eine andere, heute weitgehend akzeptierte Wirkung des dritten Laryngals besteht
darin, daá er einen davorstehenden stimmlosen Verschluálaut verstimmhaftet haben
soll. Das Paradebeispiel fr diese Wirkung ist das Prsensparadigma des uridg. Verbums
fr "trinken", dessen aind., latein. und kelt. (nmlich air.) Vertreter sich smtlich
unter einem Ansatz *pibeti (als 3.Ps.Sg.Prs.Ind.Akt.) vereinigen lassen:
aind. pibati und air. ibid knnen eine solche Vorform unmittelbar
reflektieren, whrend lat. bibit die Annahme einer sekundren Fernassimilation
von p-b- > b-b- erforderlich macht. Ein laryngalistischer Ansatz
fr die Vorform *pibeti ergibt sich sinnvoll wiederum aus morphologischen
Erwgungen: Wenn man pibeti auf ein zugrundeliegendes *pi-ph3-e-ti
zurckfhrt, kann der Prsensstamm einerseits problemlos mit der etwa in lat. p©culum
< *p©tlom < **poh3-tlo-m vorliegenden Wurzel
*poh3- verknpft werden. Zum andern lát sich ein Stamm *pi-ph3-e-
zwanglos einem gut gesicherten Prsensbildungstyp zuordnen: Dies ist die etwa auch
in griech. ã¡ãäï < *mi-mn-e/o- zu erkennende thematische
Bildung mit redupliziertem Wurzelanlaut. Nicht zuletzt wegen dieser morphologischen
Absicherung ist die laryngalistische Deutung von aind. pibati und Kognaten
allen anderen Deutungen vorzuziehen.
Im Hinblick auf unsere Fragestellung suggeriert die Konstatierung einer Entwicklung
von -ph3- > -b- natrlich ohne weiteres, daá der
dritte Laryngal selbst stimmhaft gewesen ist. Das dahinterstehende Prinzip wre
in diesem Falle das einer regressiven Stimmtonassimilation: Der stimmhafte Laryngal
htte den vorangehenden stimmlosen Verschluálaut p zu stimmhaftem b
assimiliert. Daá eine solche Assimilation denkbar ist, ergibt sich aus dem Vergleich
mit hnlichen Erscheinungen, bei denen zwei Verschluálaute sich gegenseitig assimilieren.
Man vgl. etwa Flle wie griech. Ðç¡áÚ×ß "der auf ein Fest folgende
Tag" oder aind. upabdÿ- "Getrampel", die sich beide als Komposita
von Prverbien mit dem Wort ped- "Fuá" in schwundstufiger Form auffassen
lassen: *h1ep¡-pd-o- bedeutet dann soviel wie "auf
dem Fuáe folgend(er Tag)", und *upo-pd-¢- etwa den "beim Fuá befindlich(en),
mit dem Fuá erzeugt(en Lrm)".
Dieser Vergleich hat nicht unerhebliche Konsequenzen fr die Deutung des Laryngals.
Nachweisbar ist eine wie in den beiden letzten Beispielen gegebene regressive Stimmtonassimilation
in der Grundsprache nmlich zunchst nur dort, wo zwei Obstruenten (d.h. Verschluálaute
oder s) beteiligt sind, nicht jedoch unter Beteiligung von Nasalen, Liquiden
oder Glides. Aber auch bei den Verschluálauten gilt die Assimilationsregel so nicht
generell; denn berall dort, wo eine Aspirata in einer Konsonantengruppe beteiligt
ist, scheint sich die Assimilationsrichtung inbezug auf den Stimmton umzukehren
(also hin zur progressiven Assimilation), und die Aspiration scheint sich als Merkmal
der gesamten Gruppe durchzusetzen. Das ist das Bartholomaesche
Aspiratengesetz, dessen Geltung fr das Urindogermanische zwar bestreitbar ist,
das mit Sicherheit aber zumindest fr das Indoiranische gegolten hat. Auch wenn
man dieses Gesetz nicht als eine urindogermanische Regelung ansehen will, kann man
die hier fr pibati geltend gemachte regressive Stimmtonassimilation doch
nur fr nicht aspirierte Okklusive nachweisen, so daá sich fr den dritten Laryngal
die Deutung als eines stimmhaften nicht aspirierten Obstruenten nahelegt.
An dieser Stelle muá allerdings wieder auf die Problematik der chronologischen Einordnung
hingewiesen werden. Hierbei ist zunchst zu bedenken, daá keine der Einzelsprachen,
die den Prsensstamm *pi-b-e- fortsetzen, einen anderen Laryngalreflex
in diesem Stamm zeigt als den "Wandel" von p zu b; mit anderen
Worten, der Laryngal scheint bei diesem Wandel selbst vllig absorbiert
worden zu sein. Von besonderer Aussagekraft ist in dieser Hinsicht das Altindische,
das durchaus in der Lage wre, in der gegebenen lautlichen Konstellation einen Reflex
des Laryngals zu zeigen, nmlich dergestalt, daá die erste Silbe von pibati
und hnlichen Formen im Metrum lang zu messen wre. Auf derartige Langmessungen
ist bei anderen Wrtern in der Fachliteratur bereits des fteren hingewiesen worden5;
so z.B. im Falle des s-stmmigen Nomens ÿvas- "Hilfe", das mit
Sicherheit auf ein lteres *h2auH-os mit innerem Laryngal zurckzufhren
ist, wie das von derselben Wurzel aus gebildete,
gleichbedeutende ªti- < *h2uH-ti- zeigt. Bei den
Paradigmaformen von pibati gibt es aber keinerlei Langmessung der ersten
Silbe, so daá der Laryngal tatschlich bereits vor der Fixierung der aind. metrischen
Texte geschwunden sein muá.
Der Schwund des Laryngals kann darber hinaus in der gegebenen Konstellation sogar
bereits voreinzelsprachlich gewesen sein, wenn man bedenkt, daá der Themavokal in
*pi-ph3-e-ti eigentlich durch den dritten Laryngal htte zu
o umgefrbt werden mssen, worauf jedoch keine der drei Sprachen weist,
die das Wort erhalten haben. Natrlich kann man annehmen, daá diese Umfrbung zunchst
eingetreten war, dann jedoch analogisch wieder beseitigt wurde, da nach einer 3.Ps.Pl.
*pi-b-onti (mit ablautsbedingtem o) jederzeit wieder eine 3.Ps.Sg.
*pib-e-ti geneuert werden konnte. Diese Neuerung setzt aber zugleich voraus,
daá neben dem e eben kein Element mehr vorhanden war, das noch zur Umfrbung
in der Lage war. Damit lát sich der Fall pibati fr die Frage nach der
lautlichen Struktur des dritten Laryngals wieder nur in einer weiter zurckliegenden
chronologischen Schicht verwerten, nmlich fr den Zeitpunkt, wo die Stimmtonassimilation
eingetreten ist; zielt man auf die Epoche unmittelbar vor dem Zerfall der Grundsprache
ab, so hat es in *pibeti vermutlich schon keinen Laryngal mehr gegeben.
Eine hnliche Problematik betrifft auch die aspirierende Wirkung, die der zweite
Laryngal auf einen vorangehenden Konsonanten ausgebt haben drfte6.
Mit Sicherheit nachweisen lát sich diese Wirkung zunchst nur innerhalb des Indoiranischen,
wobei zu bercksichtigen ist, daá gerade der indoiranische derjenige indogermanische
Sprachzweig ist, der auch die deutlichsten Nachwirkungen des Bartholomaeschen
Aspiratengesetzes zeigt. Aber auch wenn man deshalb davor zurckschrecken mag, dieses
Gesetz wie auch die aspirierende Wirkung des zweiten Laryngals bereits fr die Grundsprache
anzuerkennen, ergibt sich aus der im Indoiranischen nachweisbaren Wirkung doch eines
mit Sicherheit: Der zweite Laryngal
selbst muá ber das letzte Stadium der Grundsprache hinaus bis in eine Vorstufe
des Indoiranischen in einer phonetisch wahrnehmbaren Form erhalten geblieben sein.
Wenn wir bei der Frage nach der Lautgestalt des zweiten Laryngals dieses Stadium
im Auge haben, so scheint zunchst die Annahme unausweichlich, daá er mit den aspirierten
Okklusiven das Merkmal der Behauchung geteilt haben máte; dabei wre die Aspiration,
die man ihm z.B. in den Paradigmaformen des Wortes fr den "Weg" (avest. Gen. paÞ©
< spturindoiran. *pathÿz < frhindoiran. **pathhÿs
< uridg. ***pønth2ÿs < ****pønth2-s
ggb. Nom. pant¶ < urindoiran. *pÿnt¦z << ****p¢nteh2-s)
anlastet, ohne weiteres wieder als eine assimilatorische Wirkung auffaábar7.
Unter diesem Aspekt wrde ich mich auch nicht scheuen, dem Laryngal in Formen wie
dem aind. Verbaladjektiv sthitÿ- << **sth2-t¢-
eine "doppelte" Wirkung zuzuschreiben: Wenn die Entwicklung des im Altindischen
als -i- reflektierten Vokals der assimilativen Aspiration des vor dem Laryngal
stehenden Okklusivs zeitlich vorangegangen sein sollte, dann wre
dieser Fall dem des Genetivs *pathaz < **pønthh2as
vllig parallel (sthitÿ- = sthitÿ-
< *sthÆtÿ- < **sthhÆtÿ-
< ***sth2Æt¢- < ****sth2t¢-).
Wichtig ist dabei auch die Feststellung, daá der zweite Laryngal in postkonsonantischer
Stellung nicht, wie das angenommene h3 in der
Vorform von aind. pibati, bereits voreinzelsprachlich absorbiert worden
sein kann.
In einer vllig anderen chronologischen Sphre bewegen wir uns hingegen, wenn wir
die phonetische Realitt des zweiten Laryngals zum Zeitpunkt der fr ihn charakteristischen
Frbungswirkung bestimmen wollen. Daá der Laryngal zu jenem Zeitpunkt, als er die
zum a fhrende Frbung verursachte, derselbe Laut gewesen ist, wie im frhesten
Indoiranischen, ist denkbar, aber in keiner Weise zwingend notwendig.
Hier muá ich meine berlegungen zu den einzelnen Laryngalwirkungen abbrechen. Es
drfte deutlich geworden sein, warum ich mich auáerstande sehe, die Frage nach "der"
Phonetik der Laryngale pauschal zu beantworten. Um dennoch nicht ganz ohne eigene
Stellungnahme zu bleiben, will ich zu den drei Laryngalen allenfalls soviel festhalten:
a) Der erste Laryngal kann mit Sicherheit die geringsten Wirkungen fr sich verbuchen.
Unabhngig davon, wie man den (gemeinhin als e notierten) ursprnglichen
urindogermanischen Vollvokal ansetzt, ist dieser durch den ersten Laryngal doch
offenbar nicht irgendwie beeinfluát worden. Eine solche geringe Wirkung scheint
mir fr den ersten Laryngal zu dem Zeitpunkt, als bei den beiden anderen die frbende
Wirkung einsetzte, bereits eine vergleichsweise schwache Artikulation nahezulegen.
Dies ist fr mich am leichtesten mit einem Glottisverschluálaut vereinbar.
b) Der zweite Laryngal zeigt in seinen einzelsprachlichen Fortsetzern bzw. Reflexen
deutlich eine spirantische oder aspirierte Natur. Uneindeutig sind die einzelsprachlichen
Zeugnisse jedoch im Hinblick auf die Artikulationsstelle: Whrend fr das anatolische
à durch die Graphie eine hintervelare Artikulation suggeriert wird, lát
sich der in den brigen Sprachen eingetretene Schwund am leichtesten mit einem schwach
artikulierten h in Einklang bringen. Wenn man annimmt, daá der zweite Laryngal
zur Zeit der einsetzenden a-Umfrbung gewissermaáen "in der Mitte" zwischen
diesen beiden Lautungen stand, wrde sich der Ansatz einer stimmlosen laryngalen
oder pharyngalen Spirans nach Art des arab. â anbieten.
c) Die Wirkungen des dritten Laryngals sind, wie ausgefhrt, in voreinzelsprachlicher
Zeit anzusiedeln: weder die o-Frbung noch die Stimmtonassimililation zwingen
zu der Annahme, daá der Laryngal als solcher bis in einzelsprachliche Zeit erhalten
geblieben ist. Falls die beiden genannten Wirkungen zur gleichen Zeit eintraten
und, wie oben ausgefhrt, die "o-"Frbung nicht als eine Rundung aufzufassen
ist, lát sich h3 fr die betreffende Epoche als ein stimmhafter
laryngaler oder pharyngaler Obstruent ansetzen, dessen Artikulation der des arab.
ýayn nahekommen sein mag.
Zur Diskussion: An die Existenz einer aspirierenden Wirkung von
Laryngalen auf einen folgenden Okklusiv ("preaspiration") zu glauben,
fllt mir besonders deshalb schwer, weil es eine morphologisch klar umrissene Gruppe
von Lexemen gibt, die a) in fast allen indogermanischen Sprachzweigen vertreten
ist, deren Vertreter b) mit gráter Sicherheit urindogermanisch rekonstruierbar
sind, und die c) nirgends irgendeinen Reflex einer solchen Wirkung zeigen, obwohl
ihre Struktur dies geradezu zwingend erwarten lieáe: Ich meine die Gruppe der Verwandtschaftstermini,
von denen mindestens vier, nmlich die Wrter fr "Vater", "Mutter", "Bruder" und
"Tochter", ein gemeinsames Strukturelement zeigen, das sich in der Form *-h2tVr-
ansetzen lát. Gerade wegen der groáen Verbreitung dieser Wrter sollte man doch
erwarten, daá eine "praspirierende" Wirkung des Laryngals in der Gruppe *-h2t-
selbst dann, wenn sie nicht in allen einzelnen (Kasus-)Formen eingetreten wre,
wenigstens in irgendeiner Spur greifbar sein máte, was offenbar nicht der Fall
ist. Wer aber die "praspirierende" Wirkung fr den zweiten Laryngal bezweifelt,
wird dies a fortiori auch fr den ersten Laryngal tun, da fr diesen im Gegensatz
zu h2 nicht einmal die "postaspirierende" Wirkung als sicher
gelten kann.
1. Die Laryngaltheorie, ed. A. Bammesberger,
Heidelberg 1988, 59f. [zurck]
2. Die Laryngaltheorie, S. 132, Anm. 29. [zurck]
3. Ein solches Rekonstruktionsverfahren steht im Falle der
Laryngaltheorie voll und ganz in der Tradition Ferdinand de Saussures,
der in seinem "Mmoire sur le systme primitif des voyelles dans les langues indo-europennes"
(Leipzig 1879) die den heutigen Laryngalen h2 und h3
entsprechenden "coefficients sonantiques" allein aufgrund morphologischer Regularitten
ansetzte, wobei er z.B. den Ablaut bei athematischen Wurzelprsentien wie aind.
ÿs-mi / s-mÿs und griech. ÛÈ-ãß
/ -ãÛ@ und den Wechsel zwischen langem
und kurzem a in griech. ì*?*×-ã¡
vs. ì*?*×-ã@ auf
den einen Wechsel zwischen der "racine pleine" = "Vollstufe"
mit Vokal e und "racine rduite" = "Schwundstufe" ohne e zurckfhrte
(S. 146). Auf die gleiche Weise konnte Saussure auch bereits
die aind. Prsensbildung der sog. 9. Klasse (mit synchronem Wechsel -n¦- / -n¨-)
mit der "normalen" Klasse von Nasalprsentien, der sog. 7. Klasse, identifizieren
(S. 239 f.). Wie Saussure sich die lautliche Realisierung seiner
"coefficients sonantiques" vorgestellt hat, geht aus dem Mmoire nicht explizit
hervor; obwohl er ausdrcklich auf die Parallelitt zwischen auf Konsonanten auslautenden
Nasalprsensstmmen wie bhi-na-d- und solchen auf "coefficient sonantique"
wie pu-na-a- hinwies (S. 242), ist
es eher unwahrscheinlich, daá er fr die "coefficients" von einer konsonantischen
Artikulation ausging. [zurck]
4. Jens Elmegrd Rasmussen, Studien
zur Morphophonemik der indogermanischen Grundsprache, Innsbruck 1989, S. 138. [zurck]
5. Vgl. z.B. J. Kury®owicz,
Les effets du Æ en Indoiranien, in: prace filologiczne 11, 1927, 240. [zurck]
6. Von der in jngerer Zeit durch Birgit Olsen
und Jens Rasmussen postulierten aspirierenden Wirkung des ersten
Laryngals sehe ich hier ab, da ich von ihr nicht berzeugt bin. [zurck]
7. Die jngst ebenfalls durch Birgit Olsen
und Jens Rasmussen propagierte aspirierende Einwirkung auf
einen folgenden Okklusiv wrde sich mit diesem Ansatz ohne weiteres
vertragen, da sie mit der "beidseitigen" Wirkung des Bartholomaeschen
Gesetzes (vgl. buddhÿ- << *bhudh-t¢-)
in Einklang stnde. [zurck]
Copyright Jost Gippert
Frankfurt a/M 1996. No parts of this document may be republished in any form
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