Svanetien


Die Svanen, eines der "kleineren" Kaukasusvölker, wohnen innerhalb der Georgien in den Kreisen (Rajons) Mesṭia und Lenṭexi am Oberlauf der Flüsse Enguri und Cxenisc̣q̇ali, die in der westlichen Hälfte des Kaukasushauptkamms entspringen und zum Einzugsbereich des Schwarzen Meeres gehören.

Die Svanen sind offenbar die Nachfahren eines bereits in der Antike bekannten Stammes, der z.B. bei Strabo (Σοάνες; Geogr. XI, 2 [14+19] = 497/499) und Plinius (Suanes; N.H. 6, 11) erwähnt wird und dabei ebenfalls im westlichen Teil des heutigen Georgien beheimatet war.

Die Wohnsitze der antiken Suanes dürften allerdings weiter ausgedehnt gewesen sein als heute. Darauf weisen einige als svan. deutbare ON außerhalb des heutigen Siedlungsgebiets (in diesem Sinne äußert sich bereits Reineggs, Beschreibung 2, 16; cf. weiter die Ausführungen bei Čarḳviani, Svaneti, 47 f. [nach G. Melikišvili) sowie bei Kaldani, Lečx., 67.). Vermutlich haben sich die Svanen unter Bedrängnis durch benachbarte mingrelische ("kolchische") Stämme weiter ins Gebirge zurückziehen müssen; (s. bereits Rosen, Suan., 417.)

Das svan. Gebiet am Cxenisc̣q̇ali, das heute als Niedersvanetien bezeichnet wird, hieß in älterer "Dadianisches Svanetien"; der Name leitet sich von der (mingrelisch-westgeorgischen) Fürstendynastie der Dadiani ab, der die Region seinerzeit unterstand. Das Gebiet am oberen Enguri, heute Obersvanetien, zerfiel zur gleichen Zeit in zwei Hälften: das — ebenfalls nach seinen Feudalherren benannte — "Dadiškelianische Svanetien" im unteren Teil und das sog. "Freie Svanetien", ein keinem Feudalherren gehorchender Verband von Einzelgemeinden im oberen Teil12; die Grenze bildete der Gebirgszug Bali, der auf dem Weg den Enguri aufwärts zu überqueren ist.

Während das Georg. bereits seit dem 5. Jhdt. n. Chr. mit reichhaltiger Literatur überliefert ist, haben weder das Svan. noch das Laz. oder Mgr. je den Status einer Schriftsprache, d.h. einer Schul- und Publikationssprache erlangt.

Als Verwaltungssprache dient den Svanen vorrangig das Georg. Dies galt bereits in älterer Zeit, wie aus der Tatsache hervorgeht, daß schon die frühesten Urkunden, die das svan. Gebiet betreffen (s.o. A. 12), wie auch die in Svanetien gefundenen Inschriften auf georg. gehalten sind, Daß diese Tradition zumindest in Obersvanetien eine temporäre Unterbrechung erlitt, geht aus den Ausführungen von A.I. Stojanov hervor (Putešestvie, 283 f.), wonach seinerzeit kaum ein Svane (mehr) georg. sprach; vgl. auch die Angaben bei Tepcov, Svanetija, 64. Dieser Zustand war jedoch bald behoben, wie Čimaḳaʒe, Svaneti, 3, bezeugt: "თავისუფალ სვანეთში თითქმის ყველა მამაკაცმა იცის ქართული და გარკვევითაც ლაპარაკობენ ქართულ ენაში .." — Ein Jahrhundertelanger enger Kontakt der beiden Sprachen wird auch dadurch erwiesen, daß das Svan. eine große Zahl georg. Lehnwörter aufgenommen hat; Beispiele werden im Kommentar zu besprechen sein.

Dementsprechend stammen die frühesten Zeugnisse des Svan., wenn man von in georg. Urkunden erwähnten Eigennamen absieht18, aus rel. rezenter Zeit. Sie beginnen mit der 1772 erstellten Wörtersammlung J.A. Güldenstädts (214 Lemmata), die in den darauffolgenden Jahren in verschiedenen Werken abgedruckt wurde19. Eine neue, wenn auch nur wenig umfangreichere Wortliste erschien erst 1853 als Anhang zum Reisebericht des Offiziers I.A. Bartolomej (ca. 300 Wörter mit zusätzlichen lokalen Varianten)20. Die ersten zusammenhängenden Texte, Gebete mit georg. und russ. Übersetzung (65 Seiten), wurden 1864 in der anonym herausgegebenen Fibel "Lušnu Anban" ("Svan. Abc-Buch") veröffentlicht, die daneben auch eine Sammlung von über 1000 Wörtern und Wortformen enthielt.

Die systematische Erfassung svan. Sprachmaterials setzte jedoch wieder erst 30 Jahre später ein, und zwar mit den Textausgaben (Volkslieder, Erzählungen) in den Bänden 10, 18 und 31 sowie mit dem russ.-svan. Wörterbuch von I. Nižaraʒe im Bd. 41 des Сборникъ матеріаловъ для описанія мѣстностей и племенъ Кавказа (im folgenden "SM"; s. dazu weiter unten S. 206 ff.). In den Sammelbänden "Svanuri ṗoezia", "Svanuri ṗrozauli ṭeksṭebi 1-4" und "Svanuri enis kresṭomatia" stehen heute umfangreiche wissenschaftlich edierte Textmaterialien zur Verfügung.

Auch die Sekundärliteratur zur svan. Sprache floß im vergangenen Jhdt. zunächst nur spärlich. Den ersten grammatischen Abriß lieferte 1845 G. Rosen in seiner Akademie-Abhandlung "Über das Mingrelische, Suanische und Abchasische" (im folgenden Rosen, Suan.); ein ähnlich kurz gehaltener "грамматическій очеркъ", den P.K. Uslar im Jahre 1861 verfaßt hatte, wurde 1887 im ersten Band seiner "Ėtnografija Kavkaza" abgedruckt ( = Uslar, Abxaz, 103-120)22. Eine ausführlichere Darstellung erbrachte dann M.R. Zavadskij im Vorwort zum erwähnten Bd. 10 des "SM" (S. I-LI). Erst seit dem Anfang des 20. Jhdts. wird das Svan. intensiv sprachwissenschaftlich erforscht.

Dialektunterschiede

Das heutige Svan. zerfällt entsprechend der geographischen Gliederung in vier Dialektgebiete: das Lašx(ische) und Lenṭex(ische) als niedersvan. Dialekte (am oberen bzw. mittleren Cxenisc̣q̇ali) und das Ober- und Niederbal(ische) als obersvan. Dialekte (im ehemals "Freien" bzw. "Dadiškelianischen Svanetien"). Auf die Unterschiede zwischen diesen Dialekten, die vor allem die (morpho)phonologische Ebene betreffen, wird im Kommentar ausführlich einzugehen sein. Zur Orientierung sei eine kurze Skizze des svan. Sprachsystems vorausgeschickt (Diese Dialekteinteilung geht auf Marr, Poězdki, 16 zurück).


Diese Seite basiert auf J.Gippert "Mitteilungen des Phonogrammarchivs" NR. 89.