TITUS
Konrad von Megenburg, Buch der Natur: Part No. 94

Chapter / Strophe: 7 
   7.
Line: 21
   
Line: 22
   VON DEM MONEN.



Line: 23    Der sibend planêt und der aller niderst gegen uns
Line: 24    haizt ze latein Luna und ist ze däutsch als vil gesprochen
Line: 25    als ain frömdliehter, dar umb, daz der môn sein lieht   25
Line: 26    nimpt von der sunnen und an im selber kain aigen lieht
Line: 27    hât. iedoch sprechent etleich alt maister, daz des mônen
Line: 28    kugel ain halbtail schein hab mit inwendigem aigem lieht
Line: 29    und daz ander halptail vinster, und daz sich diu kugel ân
Line: 30    underlâz umbreid, unz daz uns daz lieht halptail schein,   30
Line: 31    und dar nâch werd daz vinster tail gegen uns gekêrt.
Line: 32    daz ist falsch und widersprechent ez die grôzen maister
Line: 33    und sant Augustîn in ainem sendprief, den er sant seinem

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Line: 1    freund Januario, spricht, daz der môn erläuht werd von
Line: 2    der sunnen. der môn verleust seinen schein, wenn daz
Line: 3    ertreich gerihts ist gesatzt zwischen dem môn und der
Line: 4    sunnen: sô mag diu sunne irn schein niht gewerfen auf
Line: 5    den mônen. dar umb muoz er denn ân schein sein.   5
Line: 6    wenne der môn geleich gegen der sunnen über ist, sô ist
Line: 7    er vol; wenn aber in diu sunn beseits an schilhet, sô ist er
Line: 8    niht ganz vol, und wenn er gar under der sunnen ist, sô
Line: 9    hât er niendert kain lieht an dem tail, daz gegen uns
Line: 10    gekêrt ist, dar umb, daz des mônen kugel dicke ist und   10
Line: 11    vinster und mag der sunnen lieht niht genemen durch
Line: 12    sich, als ain glas oder ain ander durchscheinendez dinch.
Line: 13    der môn volpringt seinen lauf in dreizig tagen, alsô spricht
Line: 14    unser puoch, oder in sibenundzwainzig tagen und in aht
Line: 15    stunden, als die sternseher sprechent. der môn ist verr   15
Line: 16    klainer denne diu sunne, aber er scheint uns als grôz
Line: 17    dar umb, daz er uns verr næhender ist wan diu sunne,
Line: 18    dar umb, daz zwên himel zwischen der sunnen himel
Line: 19    sint und des mônen himel, als hie vor gesait ist, wann
Line: 20    des morgenstern himel und des sprechherren himel sint dâ   20
Line: 21    zwischen. der môn hât in im swarz flecken, und spre\chent
Line: 22    die laien, ez sitz ain man mit ainer dornpürd in
Line: 23    dem mônen. daz ist aber niht wâr; ez ist dar umb, daz
Line: 24    der môn an den stucken dicker ist an seinem antlütz
Line: 25    wann an andern enden, und dar umb nimt er dâ selben   25
Line: 26    der sunnen schein niht, dâ von scheinent uns diu selben
Line: 27    stuck vinster. der môn ist ain vater und ain maister
Line: 28    aller fäuhten, und dar umb sint etsleich wazzer gegen
Line: 29    der sunnen aufganch, diu aufnement und abnement nâch
Line: 30    des mônen aufnemen und abnemen, wann alliu fäuhten   30
Line: 31    wehst wenn der môn wehst, si sei an gesellten dingen
Line: 32    oder an ungesellten dingen. auch all fäuht wêtagen mê\rent
Line: 33    sich, als diu wazzersühte und sämleich siehtum, und
Line: 34    dar umb sint etleicher tier leip sterker wenn der môn
Line: 35    aufnimt wan sô er abnimt, als man siht an den wolfen,   35
Line: 36    wann si jagent denne mêr wan ander zeit, und die

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Line: 1    slingenden würm, die vergiftich sint, die sint denne
Line: 2    schedleicher wan ander zeit. daz hâr wechst auch zder
Line: 3    zeit mêr wan zuo ander zeit, und als lang der môn
Line: 4    gêt von der sunnen aufganch unz an daz mittel tail des
Line: 5    himels, als lang gênt alliu mertier und alliu slingendiu   5
Line: 6    tier auz iren wonungen, und wenn der môn sich naigt
Line: 7    zuo seinem undervallen, sô verpergent si sich. wizze, daz
Line: 8    diu naht, als Aristotiles spricht, wermer ist sô der môn
Line: 9    vol ist wann ander näht; daz ist dar umb, daz der môn
Line: 10    denne grœzern schein hât. Albumasar der sternseher   10
Line: 11    spricht: ist daz ain mensch lang sitzt oder slæft des
Line: 12    nahtes an dem mônschein, sô wirt ez træg und swær und
Line: 13    wirt huostend und wirt oft im daz haupt flüzzich und
Line: 14    wêtuond. ist auch daz der mônschein tôter tier flaisch
Line: 15    begreift, daz macht er unsmeckend. ez spricht auch un\ser   15
Line: 16    puoch, ist daz des mônen schein durch ain engez
Line: 17    fenster gêt auf ains zerprochen pfärdes geswer auf dem
Line: 18    rucken, ez stirbt, und stürb niht, stüend ez an der weiten
Line: 19    in dem mônschein. des menschen haupt und sein hirn
Line: 20    verwandelnt sich auch vast nâch des mônen lauf, als wir   20
Line: 21    sehen an den, die ir unsinne gewinnent und verliesent
Line: 22    nâch des mônen lauf. der môn rôt und plaich bedäut
Line: 23    mangerlai weter, als vor gesprochen ist von der sunnen.
Line: 24    der môn küelt der sunnen hitz und erläuht die naht und
Line: 25    ist der erden aller næhst under allen sternen. iedoch   25
Line: 26    mügen wir alle aigenchait des mônen besliezen mit zehen
Line: 27    dingen, diu an unser frawen sint.
Line: 28    Daz êrst ist, daz der môn ist ain vater aller fäuhten;
Line: 29    alsô ist unser frawe ain muoter aller genâden, als vor
Line: 30    gesprochen ist von der sunnen. daz ander ist, daz der   30
Line: 31    môn küelt der sunnen hitze; alsô fäuhtigt unser frawe
Line: 32    den zorn des obristen rihters, als wir vinden geschriben
Line: 33    von Theophilo, der sich dem teuvel het ergeben und go\tes
Line: 34    verlaugent, den prâht unser frawe wider, als si mangen
Line: 35    sünder widerprâht hât. daz dritt ist, daz der môn seinen   35
Line: 36    schein verleust wenn er die sunnen verleust; alsô ver\lôs

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Line: 1    unser frawe iren schein kintleicher gegenwürtichait
Line: 2    und kintleicher fräuden, dô ir kint, diu wâr sunn der ge\rehtikait,
Line: 3    starb an dem cräuz. dar umb schreibt Lucas,
Line: 4    daz Simeon hinz ir sprach in dem tempel: ain swert wirt
Line: 5    dringen durch dein sêl. dâ mainôt er daz swert des pit\tern   5
Line: 6    smerzen, den si dâ lait. daz vierd ist, daz diu sunn
Line: 7    dem mônen schein gibt; alsô gab unser herr unserr fra\wen
Line: 8    schein und genâd, dô er ir seinen hailigen gaist sant,
Line: 9    und dâ von sprechent etleich lêrer, daz Josep ir antlütz
Line: 10    niht entorst angesehen die weil si swanger was, und spricht   10
Line: 11    auch Mathæus, daz Josep si niht erkante unz daz si ge\nas
Line: 12    ires êrstgepornen suns. daz fünft ist, daz der môn
Line: 13    die naht erläuht; alsô erläuht unser frawe die hailigen
Line: 14    christenhait, als man von ir singet: frewe dich, Marîâ
Line: 15    raineu magt, wan dû hâst allain alle ketzerei vertilgt.   15
Line: 16    daz sehst ist, daz der môn die werlt erläuht, wenne diu
Line: 17    sunne hin ist, wann wenne diu sunne under der erden ist
Line: 18    und der môn dar ob, sô verstêt der môn der sunnen stat.
Line: 19    alsô tet unser frawe, dô unser herr ze himel fuor: dô
Line: 20    liez er unser frawen hie niden seinen jungern zuo ainem   20
Line: 21    trôst und zuo ainer läuhtenden anweisung. dar umb
Line: 22    sprechent die hailigen lêrer, daz Lucas von irem mund
Line: 23    hab geschriben die êwangeli. daz sibend ist, daz der
Line: 24    môn under allen planêten dem ertreich aller næhst ist;
Line: 25    alsô ist unser frawe under allen hailigen uns aller genæ\digst   25
Line: 26    und ist ain mittlerin und ain fridsprecherin zwischen
Line: 27    got und dem sünder. daz aht ist, daz der môn wehst
Line: 28    und aufnimt; alsô wuohs unser frawe und nam auf von
Line: 29    der zeit als ir got gekünt wart, und daz aufnemen wart
Line: 30    volprâht, dô si sein genas. si nam auch ab, als vor ge\sprochen   30
Line: 31    ist, an gegenwürtigem trôst irs kindes, dô si
Line: 32    daz verlôs auf erden. dâ nâch nam si nümmer mêr ab
Line: 33    unz daz si enpfangen wart in die êwigen fräud, wann dâ
Line: 34    ist si diu allerschœnist ob allen frawen und diu aller\liebst
Line: 35    dem obristen kaiser ân allen geprechen in ganzer   35
Line: 36    volkumenkait. daz neund ist, daz der môn scheint und

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Line: 1    läuht; alsô scheint unser frawe mit käuschhait und mit
Line: 2    klârhait des leibes und der sêl, daz ist mit zwairlai klâr\hait,
Line: 3    und dar umb haizt si ir lieb zwirschœn in der min\nen
Line: 4    puoch, dâ er zuo ir spricht: wie gar schœn dû pist,
Line: 5    mein freundin, wie gar schœn dû pist! daz zehend ist,   5
Line: 6    daz der môn tailt die zeit mit seinem lieht; alsô tailt
Line: 7    unser frawe die zeit der genâden und der ungenâden,
Line: 8    wann si hât uns prâht die zeit der genâden und hât ver\tilgt
Line: 9    die zeit der ungenâden.






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