TITUS
Konrad von Megenburg, Buch der Natur: Part No. 94
Chapter / Strophe: 7
7.
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VON DEM MONEN.
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Der sibend planêt und der aller niderst gegen uns
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haizt ze latein Luna und ist ze däutsch als vil gesprochen
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als ain frömdliehter, dar umb, daz der môn sein lieht 25
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nimpt von der sunnen und an im selber kain aigen lieht
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hât. iedoch sprechent etleich alt maister, daz des mônen
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kugel ain halbtail schein hab mit inwendigem aigem lieht
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und daz ander halptail vinster, und daz sich diu kugel ân
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underlâz umbreid, unz daz uns daz lieht halptail schein, 30
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und dar nâch werd daz vinster tail gegen uns gekêrt.
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daz ist falsch und widersprechent ez die grôzen maister
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und sant Augustîn in ainem sendprief, den er sant seinem
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freund Januario, spricht, daz der môn erläuht werd von
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der sunnen. der môn verleust seinen schein, wenn daz
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ertreich gerihts ist gesatzt zwischen dem môn und der
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sunnen: sô mag diu sunne irn schein niht gewerfen auf
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den mônen. dar umb muoz er denn ân schein sein. 5
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wenne der môn geleich gegen der sunnen über ist, sô ist
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er vol; wenn aber in diu sunn beseits an schilhet, sô ist er
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niht ganz vol, und wenn er gar under der sunnen ist, sô
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hât er niendert kain lieht an dem tail, daz gegen uns
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gekêrt ist, dar umb, daz des mônen kugel dicke ist und 10
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vinster und mag der sunnen lieht niht genemen durch
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sich, als ain glas oder ain ander durchscheinendez dinch.
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der môn volpringt seinen lauf in dreizig tagen, alsô spricht
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unser puoch, oder in sibenundzwainzig tagen und in aht
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stunden, als die sternseher sprechent. der môn ist verr 15
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klainer denne diu sunne, aber er scheint uns als grôz
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dar umb, daz er uns verr næhender ist wan diu sunne,
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dar umb, daz zwên himel zwischen der sunnen himel
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sint und des mônen himel, als hie vor gesait ist, wann
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des morgenstern himel und des sprechherren himel sint dâ 20
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zwischen. der môn hât in im swarz flecken, und spre\chent
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die laien, ez sitz ain man mit ainer dornpürd in
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dem mônen. daz ist aber niht wâr; ez ist dar umb, daz
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der môn an den stucken dicker ist an seinem antlütz
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wann an andern enden, und dar umb nimt er dâ selben 25
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der sunnen schein niht, dâ von scheinent uns diu selben
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stuck vinster. der môn ist ain vater und ain maister
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aller fäuhten, und dar umb sint etsleich wazzer gegen
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der sunnen aufganch, diu aufnement und abnement nâch
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des mônen aufnemen und abnemen, wann alliu fäuhten 30
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wehst wenn der môn wehst, si sei an gesellten dingen
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oder an ungesellten dingen. auch all fäuht wêtagen mê\rent
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sich, als diu wazzersühte und sämleich siehtum, und
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dar umb sint etleicher tier leip sterker wenn der môn
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aufnimt wan sô er abnimt, als man siht an den wolfen, 35
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wann si jagent denne mêr wan ander zeit, und die
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slingenden würm, die vergiftich sint, die sint denne
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schedleicher wan ander zeit. daz hâr wechst auch zder
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zeit mêr wan zuo ander zeit, und als lang der môn
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gêt von der sunnen aufganch unz an daz mittel tail des
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himels, als lang gênt alliu mertier und alliu slingendiu 5
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tier auz iren wonungen, und wenn der môn sich naigt
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zuo seinem undervallen, sô verpergent si sich. wizze, daz
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diu naht, als Aristotiles spricht, wermer ist sô der môn
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vol ist wann ander näht; daz ist dar umb, daz der môn
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denne grœzern schein hât. Albumasar der sternseher 10
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spricht: ist daz ain mensch lang sitzt oder slæft des
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nahtes an dem mônschein, sô wirt ez træg und swær und
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wirt huostend und wirt oft im daz haupt flüzzich und
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wêtuond. ist auch daz der mônschein tôter tier flaisch
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begreift, daz macht er unsmeckend. ez spricht auch un\ser 15
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puoch, ist daz des mônen schein durch ain engez
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fenster gêt auf ains zerprochen pfärdes geswer auf dem
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rucken, ez stirbt, und stürb niht, stüend ez an der weiten
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in dem mônschein. des menschen haupt und sein hirn
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verwandelnt sich auch vast nâch des mônen lauf, als wir 20
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sehen an den, die ir unsinne gewinnent und verliesent
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nâch des mônen lauf. der môn rôt und plaich bedäut
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mangerlai weter, als vor gesprochen ist von der sunnen.
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der môn küelt der sunnen hitz und erläuht die naht und
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ist der erden aller næhst under allen sternen. iedoch 25
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mügen wir alle aigenchait des mônen besliezen mit zehen
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dingen, diu an unser frawen sint.
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Daz êrst ist, daz der môn ist ain vater aller fäuhten;
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alsô ist unser frawe ain muoter aller genâden, als vor
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gesprochen ist von der sunnen. daz ander ist, daz der 30
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môn küelt der sunnen hitze; alsô fäuhtigt unser frawe
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den zorn des obristen rihters, als wir vinden geschriben
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von Theophilo, der sich dem teuvel het ergeben und go\tes
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verlaugent, den prâht unser frawe wider, als si mangen
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sünder widerprâht hât. daz dritt ist, daz der môn seinen 35
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schein verleust wenn er die sunnen verleust; alsô ver\lôs
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unser frawe iren schein kintleicher gegenwürtichait
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und kintleicher fräuden, dô ir kint, diu wâr sunn der ge\rehtikait,
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starb an dem cräuz. dar umb schreibt Lucas,
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daz Simeon hinz ir sprach in dem tempel: ain swert wirt
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dringen durch dein sêl. dâ mainôt er daz swert des pit\tern 5
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smerzen, den si dâ lait. daz vierd ist, daz diu sunn
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dem mônen schein gibt; alsô gab unser herr unserr fra\wen
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schein und genâd, dô er ir seinen hailigen gaist sant,
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und dâ von sprechent etleich lêrer, daz Josep ir antlütz
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niht entorst angesehen die weil si swanger was, und spricht 10
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auch Mathæus, daz Josep si niht erkante unz daz si ge\nas
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ires êrstgepornen suns. daz fünft ist, daz der môn
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die naht erläuht; alsô erläuht unser frawe die hailigen
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christenhait, als man von ir singet: frewe dich, Marîâ
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raineu magt, wan dû hâst allain alle ketzerei vertilgt. 15
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daz sehst ist, daz der môn die werlt erläuht, wenne diu
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sunne hin ist, wann wenne diu sunne under der erden ist
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und der môn dar ob, sô verstêt der môn der sunnen stat.
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alsô tet unser frawe, dô unser herr ze himel fuor: dô
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liez er unser frawen hie niden seinen jungern zuo ainem 20
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trôst und zuo ainer läuhtenden anweisung. dar umb
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sprechent die hailigen lêrer, daz Lucas von irem mund
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hab geschriben die êwangeli. daz sibend ist, daz der
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môn under allen planêten dem ertreich aller næhst ist;
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alsô ist unser frawe under allen hailigen uns aller genæ\digst 25
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und ist ain mittlerin und ain fridsprecherin zwischen
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got und dem sünder. daz aht ist, daz der môn wehst
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und aufnimt; alsô wuohs unser frawe und nam auf von
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der zeit als ir got gekünt wart, und daz aufnemen wart
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volprâht, dô si sein genas. si nam auch ab, als vor ge\sprochen 30
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ist, an gegenwürtigem trôst irs kindes, dô si
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daz verlôs auf erden. dâ nâch nam si nümmer mêr ab
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unz daz si enpfangen wart in die êwigen fräud, wann dâ
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ist si diu allerschœnist ob allen frawen und diu aller\liebst
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dem obristen kaiser ân allen geprechen in ganzer 35
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volkumenkait. daz neund ist, daz der môn scheint und
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läuht; alsô scheint unser frawe mit käuschhait und mit
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klârhait des leibes und der sêl, daz ist mit zwairlai klâr\hait,
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und dar umb haizt si ir lieb zwirschœn in der min\nen
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puoch, dâ er zuo ir spricht: wie gar schœn dû pist,
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mein freundin, wie gar schœn dû pist! daz zehend ist, 5
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daz der môn tailt die zeit mit seinem lieht; alsô tailt
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unser frawe die zeit der genâden und der ungenâden,
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wann si hât uns prâht die zeit der genâden und hât ver\tilgt
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die zeit der ungenâden.
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