Bernfried Schlerath, 1924-2003

 

Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen trauere ich um den herausragenden Indogermanisten, den emeritierten Professor für Vergleichende und Indogermanische Sprachwissenschaft an der Freien Universität Berlin Bernfried Schlerath, der uns nach langem Leiden für immer verlassen hat.

Die umfassende Würdigung seiner wissenschaftlichen Leistungen muss einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben. Doch ohnehin wissen alle Indogermanisten und Indologen um die gewaltige Spannbreite seiner Themen, die von mikrophilologischen Wortstudien bis zum Erforschen großer Zusammenhänge reichten. Fast möchte man ihn einen Enzyklopädisten nennen. In den schwierigsten Texten des Veda und Avesta war er ebenso zuhause wie in den Beziehungen zwischen Sprache und Musik. Hier sei nur an seine Studie zum altindischen Königtum im Rig- und Atharvaveda (1960), an den Sammelband über Zarathustra (1970) und an seine ausgewählten Kleinen Schriften (2000) erinnert.

Ebenso bekannt ist seine strenge, aber stets hilfreiche Tätigkeit als Rezensent. Beim Lesen seiner Rezensionen wird man an das Wort Kurt Tucholskys über Alfred Kerr erinnert: "Es pfeift Ihr Nein, es ehrt Ihr Ja." So war es auch bei Schlerath. Er geizte nicht mit Lob, vermied aber auch jede Schönfärberei und falsche Kollegialität. Nicht alle von ihm Rezensierten haben dies richtig verstanden.

Schleraths Wirkungsfelder als Hochschullehrer waren so umfangreich, die von ihm gelehrten Fächer so vielfältig, dass hier nicht näher darauf eingegangen werden kann. Doch als Fachkollege kann ich nach vielen miteinander geführten Gesprächen und einer umfangreichen Korrespondenz konstatieren: Man konnte immer etwas von ihm lernen!

Aber Bernfried Schlerath war nicht nur Wissenschaftler, Lehrer und Kritiker, sondern auch - und vor allem - eine absolut integre Persönlichkeit. Schonungslos im Umgang mit der eigenen Person, offenbart er in seiner Autobiographie "Das geschenkte Leben" (2000) ein solches Maß an Selbstkritik, dass man auf der Suche nach Vergleichbarem wohl bis zu Albert Schweitzers "Aus meinem Leben und Denken" zurückgehen muß.

Diese Würdigung des Menschen Schlerath gewinnt ein spezifisches Gesicht, wenn man die Tatsache beachtet, dass unsere politischen Standpunkte völlig unterschiedlich, ja entgegengesetzt waren - die Erfahrungen aus der Geschichte und die Erlebnisse aus dem II. Weltkrieg und der Nachkriegszeit haben sich in den Köpfen eben auf sehr unterschiedliche Weise widergespiegelt. Aber dies tat der gegenseitigen Wertschätzung nicht den geringsten Abbruch, Schlerath konnte sich konträre Meinungen ruhig anhören und sie respektieren, auch wenn er niemals bereit gewesen wäre, ihnen zu folgen. Er hatte sich Tugenden bewahrt, die heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr sind: eine noble Gesinnung und ein gütiges Herz. Konkurrenzdenken und Kollegenneid waren ihm fremd. Gern erkannte er die Arbeiten anderer an, wenn sie die Wissenschaft - und um diese allein ging es ihm - förderten.

Meine Trauer um ihn wird vertieft angesichts des langen Leidens, das ihn 30 Monate lang ans Krankenhausbett fesselte. Selbst dort entwickelte er neue Pläne und Projekte und war bemüht, sie mit Hilfe eines eigens angeschafften Laptops zu verwirklichen.

Doch neben die Trauer um ihn tritt der Dank für sein unermüdliches, seine Gesundheit nicht schonendes Schaffen und für die immense Bereicherung des Wissens, die er uns vermittelt hat. Er selbst hat sich damit ein Denkmal gesetzt: Sein Lebenswerk bildet schon jetzt einen immanenten und unverzichtbaren Baustein der Indogermanistik.

Prof.Dr.Dr. Klaus Mylius, 10.6.2003


10.06.2003