TITUS
Konrad von Megenburg, Buch der Natur: Part No. 91
Chapter / Strophe: 4
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VON DER SUNNEN.
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Der vierd planêt haizt ze latein sol und ze däutsch
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diu sunne. der stern ist scheinend und leuhtend über
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all ander stern, alsô daz er mit seinem lieht des tages
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aller anderr stern lieht vertiligt, daz man ir niht siht.
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diu sunn vollepringt irn lauf in drein hundert tagen und
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in fünfundsehzig tagen und in ainem viertail ains tages.
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wenne diu sunne in irm aufganch des morgens rôt scheint 5
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oder tunkel oder wenne si verporgen ist under den wol\ken,
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daz bezeichent regentage. wenne aber si des âbendes
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rôt scheint, sô bedäut ez den andern tag schœn. daz ist
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dar umb, daz si des âbendes durch die wolken scheinet,
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die si mit ir under hât gezogen von unserm luft und hât 10
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den gerainget; aber wenne si des morgens durch die
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wolken scheinet, sô hât si in unserm luft wolken vor ir
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und ist der luft trüeb. ist aber, daz si flach dunket alsô
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daz si ze mittelst scheint und daz si iren schein wirfet
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beseits gegen mittem tag und gegen den himelwagen, 15
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daz bedäut ain fäuhtez weter windigez. ist si plaich ân
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swerzen, daz bedäut wint ân regen. Diu sunne hât fünf\zehen
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aigenchait. si ist scheinend an ir selber und strä\wet
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irn schein von ir auf andreu dinch. si ist ain prunn
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oder ain ursprinch der hitz. si zeuht die wolken an sich. 20
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si ist ain form oder ain gestalt der varb. si derläuht den
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mônen. si pringt naht und tag. si macht die fruht zei\tig.
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si trückent fäuht gemachteu ding. si gêt ein, tuost
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dû auf. si zerflœzet daz eis. si gefräwet gesundeu augen
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und betrüebet krankeu augen. si gêt auf und unter. si 25
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steigt hôch und nider, wann in dem sumer ist si hôch, in
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dem winter ist si nider. die fünfzehen aigenchait vind
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wir an der auzerwelten sunnen, unserr frawen von himel\reich.
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der Salomôn spricht in der minne puoch: si ist auz\derwelt
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als diu sunne. unser frawe ist scheinend an ir 30
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selber mit aller tugent, mit aller klârhait und mit aller
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sælichait. dar umb spricht der minne puoch: wer ist diu
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dort her gêt als der morgenrôt, der des morgens aufpre\hend
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ist? ze dem andern mâl sträut unser frawe iren
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schein mit wunderleichen werken und mit guottæten irr 35
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milten sänftichait. des dritten mâls ist si ain prunne der
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hitz, daz ist der haizen liebe, wan wir werden entzunt
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von ir als von ainem ebenpild der lieb, seit wir wizzen,
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daz si ir kint sô lieb het, als Ambrosius spricht: dô si ir
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kint sach hangen vor ir an dem cräuz, scholt ez sein
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gewesen, si het sich für ez lâzen cräuzigen und martern 5
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und was berait under dem cräuz ze sterben umb irn ain\gepornen
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sun. des vierden mâls zeuht si die wolken an
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sich, daz sint die menschen, die dâ fliegent sam die wol\ken
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mit irn guoten werken und die dâ schreiend: zeuch
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mich nâch dir! des fünften mâls ist si ain gestalt der 10
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varb, wann in der vinster mag niemd varb erkennen,
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dar umb gibt daz lieht der varb ir gestalt und ir form.
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alsô tuot unser frawe, diu gibt den rewern und den püe\zern
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violisch varb, den martern rôter rôsen varb, den
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junkfrawen lilienvarb. ze dem sehsten mâl erläuht unser 15
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fraw den mônen, daz ist diu cristenhait, die dâ stêt in
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irm geprechen, und dâ von singt diu christenhait von ir:
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dû hâst alle pôshait und ketzrei allain verderbet. ze dem
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sibenden mâl pringt unser fraw tag und naht, daz ist ge\nâd
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und güete den guoten, die widerkêrn wellent, und 20
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ungenâd den, die irn namen unêrent, als die verfluochten
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juden. des ahten mâls macht unser frawe die fruht
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zeitich, wenn wir uns vleizen, daz wir mit tugenden ir
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geleichen. die tugent pringt si uns zuo ganzem guotem
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end. ze dem neunden mâl trückent si fäuhtgemachteu 25
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dinch, wenn wir von irn genâden hert und stæt werden
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in unserm guoten fürsatz und wir uns gürten mit der
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gürteln der käuschait und der rainikait. des zehenden
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mâls gêt unser fraw ein, ist daz dû auf tuost. wann
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tuost dû den munt auf mit piten und mit loben, sô gêt 30
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si in dein sêl und in dein herz mit genâden und mit
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süezikait. ich waiz niemant, der si niht lob, wann den,
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der irr gnâden und irr gâb niht enpfangen hât. wizz,
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daz gâb und zuotætichait vil lieb und lobs enzündet.
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ze dem ainlften mâl zerflœzet si daz eis, daz ist daz si 35
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die trâghait unserr gewizzen waicht und unser unrainez
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herz in zäher und in wainen ganzer rewe zerflœzet. ze dem
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zwelften mâl gefräwet si gesundeu augen, daz ist, daz si
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die guoten gesunden christen derläuht zuo der genâd der
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himelischen fräud. des dreizehenden mâls betrüebet si diu
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pœsen kranken augen, daz si niht mügen gesehen ir klâr\hait, 5
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daz sint die iren gedank und allen iren fleiz auf
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irdische wollüst legent, die mügent ir überflüzzig genâd
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und ir süez miltikait niht angesehen. ze dem vier\zehenden
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mâl gêt si auf und under. wan in der gepurt
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irs êrsten aingepornen suns unsers herren Jêsû Christi 10
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gieng si auf in den tag der sælichait allem menschleichem
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gesläht und gieng under mit dem grôzen mitleiden, daz
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si het in dem tôde und in der marter irs lieben kindes.
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dô naigt si sich und naigt sich heut zuo allen den her\zen,
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diu ir leiden under dem cräuz betrahtent. ze dem 15
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fünfzehenden mâl swebt unser fraw hôch und nider. si
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swebt des êrsten hôch, dô si enpfangen wart von irm
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lieben kind in die êwigen fräud, und swebt dâ nâch nider
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alle tag und alle zeit, wenne si ir genâd uns armen sün\dern
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her nider geuzet auf ertreich, seind si unser für\sprecherin 20
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ist vor dem obristen rihter. noch ist ain aigen\chait
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der sunnen, daz si verr grœzer ist wann daz ganz
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ertreich. Alfragânus der sternseher spricht, daz si hun\dert
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stunt und sehzig stunt grœzer sei wann daz ganz
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ertreich. alsô hât unser frawe siben wirdichait an ir, dâ 25
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mit si alle irdische junkfrawen übertrift und dâ mit si
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derhœht ist über die kœr der engel. diu êrst wirdichait
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diu ist, daz si käusch gelobte in der antwurt zuo dem
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englischen gruoz, wan dô der engel sprach: sich, dû zuo\gefæchst
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und gepirst ain kindlein, dô sprach si: wie ge\schiht 30
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daz, seind ich kainen man erkenne? daz ist sô
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vil gesprochen, sam die lêrer sagent, ich wil kainen man
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nümmer derkennen. alsô setz wir oft den spruch der
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gegenwürtichait für den spruch der künftichait, als wenn
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dû mich ladest auf den künftigen samstag zuo flaisch, sô 35
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sprich ich: ich izz niht flaisch an dem samstag, daz ist:
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ich wil sein niht ezzen an dem künftigen samstag. diu
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ander wirdichait ist, daz si raineu magt swanger was. dar
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umb sprach der engel zuo ir: der hailig gaist der kümpt
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in dich, als er spræch: dâ von wirst dû swanger ân män\leich
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gesellschaft. diu dritt wirdichait ist, daz si got ge\par, 5
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und dâ von sprach Ovidius von ir und von irm kind:
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ain neuwez kindel wirt iezund her ab gelâzen von dem
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hôhen himel. nu schaw, wie gar sælicleichen sich unser
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fraw für hât gesehen, daz si ir selber hât daz pest tail
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auzerwelt von zwain wesen, von der ê und von der käu\schait. 10
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diu ê hât zwuo aigenchait an ir selber: si ist
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fruhtpær und ist unsauber in den werken irr frühten. sô
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hât diu käuschait auch zwuo aigenchait, wan si ist un\fruhtpær
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und ist sauber oder rain. nu hât unser fraw
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auz der ê genomen frühtichait und von der käusch reini\kait. 15
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die andern zwai hât si gelâzen. diu vierd wirdic\hait
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ist, daz si alle ir tag belaib ân mail, wann dô si
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ain arch was und ain auzerwelter sal des obristen gotes,
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dô was pilleich, daz daz götleich vaz all zeit smekt nâch
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dem schatz, der dâ inne was. und dâ von spricht sant 20
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Augustîn in dem puoch von der güete der ê: alle die
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geporn werden von Adam und Even, die sint gepunden
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ze sprechen: vergib uns unser schuld, ân die sæligen
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junkfrawen. dâ wil ich nihts von sprechen noch wil ir
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gedenken, wenne man von den sünden sagt, durch die 25
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êre unsers herren, die er an si hât gelegt. diu fünft
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wirdichait ist, daz si gesæliget ist mit allen tugenden,
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dar umb sprach der engel: gegrüezt pist dû voller ge\nâden,
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und spricht auch Salomôn von ir, als ob si von
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ir selber spræch: in mir ist alliu genâd des rehten weges 30
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und der wârhait. diu sehst wirdichait ist, daz si irm sun
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gepeut als ain muoter irm kind gepieten schol, und dâ
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von spricht maister Adam von Sant Victor in seiner se\quenzien
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von unser frawen: ora patrem, jube nato, daz
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spricht: pit den vater, gepeut dem sun. diu sibend wir\dichait 35
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ist entsprungen von den allen und ist, daz si
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derhœhet ist über all himel, dô si enpfangen wart mit
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leib und mit sêl in die êwigen fräud. dar umb spricht
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Johannes in der taugen puoch von ir: der môn ist under
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irn füezen, daz ist alliu wandeleicheu crêatûr.
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