TITUS
Konrad von Megenburg, Buch der Natur: Part No. 96
Chapter / Strophe: 9
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VON DEM VEUR.
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Nu ist zeit, daz wir sagen von den vier elementen.
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der element sint viereu: feur, luft, wazzer und erd. daz
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feur ist haiz und trucken und ist sein sinwelliu huot gênd
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umb und umb ze næhst nâch des mônen himel. aber daz 30
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selb feur ist unsihtich reht als der luft unsihtich ist, dar
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umb, daz ez an der selben stat verre behender ist wann
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der luft. ez verprennet auch niht diu dinch, diu hie
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niden sint, dar umb, daz ez verr von in ist, und auch dar
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umb, daz ez der luft mit seinr aigenchait sänftigt. des
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feures aigenchait müg wir kürzleichen begreifen mit aht
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dingen. daz êrst ist, daz ez zestœrt oder zepricht, als 5
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wir sehen an den dingen, diu ez verprennet. daz ander
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ist, daz ez waich macht, als wir sehen an dem plei und
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an anderm gesmeid. daz dritt ist, daz ez zesamen zeucht,
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als wir sehen an den fäuhten häuten oder an dem leder.
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daz vierd ist, daz ez sterkt oder starch macht, als wir 10
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sehen an den waichen vazzen, diu die hafner von tahen
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oder laime machent. daz fünft ist, daz ez die vinster er\läuht,
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als wir sehen an dem feur, daz flammen hât. daz
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sehst ist, daz ez derschrekt, als wir sehen an dem plitzen.
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daz sibend ist, daz ez anzündet, als wir sehen an mangen 15
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dingen. daz aht ist, daz ez gefrewet oder frô macht, als
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wir sehen in der kelten winters zeiten. Die acht aigen\chait
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des fewers geleichent den werken des hailigen gaistes.
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der hailig gaist haizt wol ain feur, dar umb spricht un\ser
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herr Jêsus Christus: ich pin komen ain feur ze senden. 20
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daz selb feur verzert des êrsten den rost der sünden. dar
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umb spricht diu geschrift: unser herr ist ain verzerndez
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feur. daz ander werch des hailigen gaistes ist, daz er
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herteu dinch waich macht, als herteu staineineu herzen.
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dar umb spricht Ezechiel auz gotes mund: ich wil ain 25
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stainein herz von euch nemen. daz dritt werch ist, daz
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der hailig gaist zesamen zeuht die flüzz der unkäusch, reht
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als diu sunne, diu ain prunn ist der hitz. dar umb spri\chet
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Salomôn in dem puoch der weishait: diu sunn ist
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aufgangen und macht daz ertreich dürr. daz vierd werch 30
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ist, daz der hailig gaist unsriu waichiu krankeu werch
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und unsern kurzen fürsatz sterkt und lengt. dar umb
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spricht diu geschrift: diu vaz des hafners bestætigt der
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haiz oven. daz fünft werch ist, daz der hailig gaist die
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vinster erläuht, daz sint diu dunkeln herzen. dar umb 35
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spricht Moyses in dem puoch von der welt anvanch: got
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sach daz lieht, daz ez guot was, und tailt daz lieht und
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die vinster. daz sehst werch ist, daz der hailig gaist er\schrecket
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die sünder und si strâfet. dâ von spricht diu
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geschrift in dem puoch von den zwelfpoten: dô diu
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stimm des hailigen gaistes an dem pfingstag wart gehœrt, 5
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dô derschrâken unsers herren junger alle; und spricht
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auch daz êwangeli, daz der hailig gaist die werlt strâf
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umb ir sünd. daz sibend werch ist, daz der hailig gaist
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den menschen entzünt zuo gotes minne und zuo des næh\sten
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lieb. daz aht werch ist, daz der hailig gaist die 10
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traurigen herzen trœst, und gefrewet die armen waisen
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in dirr werlt. dâ von spricht diu geschrift: der hailig
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gaist ist paraclitus, daz ist ain trœster.
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Noch sint siben aigenchait an dem feur. diu êrst ist,
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daz ez snell wegleich ist. diu ander, daz ez trucken ist. 15
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diu dritt ist, daz ez rain ist. diu vierd ist, daz man ez
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behelt und beschirmt mit üeseln und mit luftigem aschen.
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diu fünft ist, daz ez leihticleichen wehst. diu sehst ist,
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daz ez von seinr nâtûr über sich auf gêt. diu sibend
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ist, daz ez von ain klain wazzers geminnert wirt. 20
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Die siben aigenchait des fewers mügen wir auch ge\leichen
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den werken des hailigen gaistes. daz êrst werch
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ist, daz der hailig gaist wegleich ist und snell in die
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geschikten sêl kümpt und macht si gênd von tugent in
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tugent. daz ander werch ist, daz er trucken ist in seinem 25
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würken, wann er trückent unstætikait, diu dâ fliezend
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ist von pôshait in erger und pringet käusch und auch
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stætikait. daz dritt ist, daz er rain ist, wann er mag
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niht verunraint werden. dâ von spricht Salomôn in dem
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puoch der weishait: er rüert allen enden an von seinr 30
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rainikait wegen. daz vierd werch des hailigen gaistes
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ist, daz man in bedecket und behelt mit üeseln und mit
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aschen, daz ist dêmüetichait. dâ von spricht Isaias: dû
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gevangneu tohter Syôn, sitz in der aschen, daz ist in dê\müetichait.
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daz fünft ist, daz der hailig gaist leihtic\leichen 35
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wechst. dâ von spricht diu geschrift von im: der
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gaist ist snell varnd. daz sibend ist, daz der hailig
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gaist geminnert wirt von ain klain wazzers, daz ist mit
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ain klain wolgelustes und unkäusch, wann dâ wonet
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Vehemoth der teufel, dâ des wazzers vil ist; sô fleuht der
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hailig gaist von danne, wann er ist sô zart, daz er niht 5
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unrainikait pei im leidt. dâ von spricht sant Bernhart:
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der götleich trôst ist zart. Aristotiles sprichet auch von
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dem feur: waz verr von dem feur ist, daz mag erläuht
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werden, ez mag aber niht enzünt werden.
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Ez ist dreierlai feur. daz êrst ist ain lieht, daz an\der 10
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ist ain flamme, daz dritt ist ain kol. daz lieht ist
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sam an den sternen nâch der alten maister sag, wann die
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wânten, daz die stern feurein wærn. diu flamm ist ain
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angezünter rauch, der dâ gêt von holz oder von andern
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prinnenden dingen. ain kol ist ain prinnend dinch, daz 15
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niht flammen gibt, als wir sehen an den glüenden koln.
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Daz feur hât die art, daz ez sein materi, dar ein ez
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aribaitet, ze aschen macht, si sei im dann gehôrsam.
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daz feur mag niht ân materi gesein, dar ein ez würk,
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denn allain in seiner aigenn nâtürleichen stat ze næhst 20
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under dem mônen. daz feur verzert niht daz ez selber
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ist, aber ez verzert daz, des ez niht enist. alsô sprechent
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die weisen maister. reht sam tuot der hailig gaist: der
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verzert die sünd, der er niht ist. sô daz feur ie in ainer
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hertern materi ist, sô ez ie sterker und hitziger ist, wann 25
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ez ist hitziger in eisen wann in aim hülzin koln und ist
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in ainem koln hitziger wann in dem strô oder in den
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stupfeln. alsô ist der hailig gaist sterker in den, die
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dicke sint in tugenden, wann die dünne sint dar inne.
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daz feur, enprant in grüenem holz, prennet vester wann 30
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in dürrem, wan ez muoz sêrer arbaiten in grüenez wann
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in dürrez. alsô tuot der hailig gaist, der arbait vester
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in die sêl der jungen läut, die sich in der jugent üebent
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mit tugent unz an ir end, danne in der alten sêle, die
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den guoten wain verkauft habent und gebent die gerben 35
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durch got. daz feur macht ainen verpranten stain zuo
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aschen. alsô tuot der hailig gaist, der macht den sünder,
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der verprant ist mit der hitz der rewe, zuo aschen der
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dêmüetichait. daz bezeugt uns wol Marîâ Magdalênâ und
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Affrâ und vil ander grôz hailigen, die vor grôz sünder
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wâren. daz feur macht mit seiner prunst etleich weiziu 5
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dinch swarz. alsô tuot der hailig gaist, der macht die
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schein und die glüst diser werlt swarz und unlustig der
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götleichen sêl. dû solt auch wizzen, daz ain hailiger
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mensch vol des hailigen gaistes geleicht ainer prinnenden
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kerzen, wann diu kerz ist mit irm lieht nützpær andern 10
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dingen und ir selber schad, wann si nimpt ab in der flam\men.
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alsô tuot der hailig mensch: sô er ie mêr guoter
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werch der werlt erzaigt, sô er ie mêr hazzes und leides
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gewinnet gegen der werlt. dar umb sprach unser herre
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zuo seinen jungern: ir werdet sælig, wenne euch diu werlt 15
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hazzet. diu flamme an der kerzen wirt erleschet von dem
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wind. alsô fleuht der hailig gaist oft von dem anplâsen
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und von strâfen der werlt, dâ von manig mensch verkêrt
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wirt. ez verlischet auch oft diu flamm von übriger ma\teri,
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dar ein si würkt, als wir sehen in den ampeln, die 20
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ze vil öls habent. alsô erlischt der hailig gaist oft in
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dem menschen, der ze vil reichtums hât und sein herz
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dâ von niht gewenden mag. daz feur erlischt oft von
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übrigem plâsen und wirt wider enzunt von mæzigem plâ\sen.
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alsô derlischet oft der gaist der hailigen hoffenung 25
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von grôzer übriger puoz, dâ mit der peihtiger den sünder
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erschreckt, und wirt wider enzunt von ringer sänfter an\weisung.
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wenn des feurs lieht erlischt, sô stinket der
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rauch, der dâ nâch gêt. alsô wenn der hailige gaist fleuht
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von den menschen, sô äugent sich der rauch. daz feur 30
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mag sein hitz und sein trucknen niht gelâzen: alsô mag
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der hailig gaist niht unsauberkait geleiden. daz feur
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wirt von verrens gesehen und macht, daz man ez selber
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siht und andreu dinch. alsô tuot der hailig gaist: der
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kümt von dem obristen got in des menschen sêl und 35
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macht, daz der mensch in selber erkennet und andreu
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dinch. dâ von singt man von dem hailigen gaist, daz er
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die kunst und die stimm hab aller ding. ain prinnent
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kerz dunket ainen trunken zwuo: alsô geschicht dem
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menschen, der trunken ist in dem hailigen gaist, alsô
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daz er die üppichait diser werlt niht erkennen wil, der 5
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hât zwivältig fräud von ainer gâb des hailigen gaistes.
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der wint derweckt daz feur, alsô derweckt diu lêr der
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hailigen lêrer den hailigen gaist in der menschensêl. daz
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feur wirt enprant oder prinnet, wenn man die kerzen auf\riht,
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und verlischt, wenne si ze tal kêrt. alsô wirt en\zunt 10
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der hailig gaist, wenne sich der mensch aufriht zuo
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got, und verlischt in des selben menschen sêl, wenn er
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sich naigt under sich in die pôshait diser werlt. daz feur
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wert sô lang als daz dinch wert, daz dâ prennet und dar
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auf ez sitzt. als lang wert diu lieb gegen got und gegen 15
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den menschen, als lang daz wert daz man lieb hât, ez sei
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dann daz der liebhaber sein liep verlies oder im en\pfrömdet
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werd. daz feur ist hitziger in grôzer materi,
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wann ob der selbenlai materi klainer wær. alsô sint des
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hailigen gaistes werch sterker in dem menschen, der grœ\zer 20
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ist an tugenden, wann der niht sô vil tugent hât.
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Alfragânus spricht, daz daz feur sänftig den smerzen,
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der dâ kümpt von prunst. daz seh wir, wenne ainz seinen
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vinger verprent und in wider zuo dem feur habt, sô smirtzet
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er niht sô sêr sam ê. alsô sänftigt der hailig gaist den 25
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smerzen der sêl, den diu prunst diser werlt hât prâht.
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