TITUS
Konrad von Megenburg, Buch der Natur: Part No. 117
Chapter / Strophe: 30
30.
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VON DEM REGENPOGEN
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Der regenpog kümt von wunderleichem widerprechen
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des sunnenscheins in den wolken, dâ von schüll wir ain
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clain sagen sam die maister von der nâtûr dâ von sagent.
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aber sam die maister dâ von schreibent, die perspectivi
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haizent, die all ir kunst legent auf spiegelwerch und auf
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scheinprechen, daz gehœrt niht hie her zuo unserm schimpf.
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der regenpoge scheint alzeit sam ain halber kraiz oder 5
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sam ain stuck ains kraizes und ist zwairlai. der ain ist
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weiz, der ander ist manigverbig. den weizen siht man
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selten. iedoch hân ich ir mein tag ainen gesehen in dem
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Riez pei der stat ze Nördlingen in dem maien des mor\gens,
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dô diu sunn auf was, der het ainen volkomenn 10
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halben kraiz und het ain horn gegen mittem tag und
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daz ander gegen norden oder gegen der himelspitz ge\kêrt.
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der selb weiz regenpog kümt dâ von, daz der
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wolken dunst an dem himel gleich gezaist ist und dünn
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mit ainer gaistleichen fäuhten, alsô daz dar auz gar klain 15
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riselndiu tröpflein würden, ob er sich in wazzer ent\slüzze.
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iedoch entsleuzt er sich noch niht in wazzer. sô
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denn diu sunn iren schein gleichs dâ gegen wirft, sô
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widerpricht er sich in den wolken alsô geschikt und
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sament sich alliu eklein des widerprechends in ain dicke 20
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des scheins zuo ainem stuck ains kraizes, dâ von scheint
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daz stuck clâr und weiz. niht mêr mag ich dâ von
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gesagen, daz verstäntleich sei dann wolgelêrten läuten,
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die etwaz von der werlt gestalt wizzent und von des
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scheins nâtûr und von andern sachen. der mangverbig 25
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regenpog hât dreirlai varb. ze voderst diu aller äuzerst
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und diu obrist ist apfelrôt oder rœter, diu næhst dar
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nâch ist grüen, diu dritt ist wahsvar und tailt sich oft
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in zwai, alsô daz diu ain weiz scheint oder plaich und
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diu ander gel. die varb sint sô wunderleich und aller\maist 30
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die mitelsten, daz si kain mâler ganz gemâlen mag.
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die drei varb köment von der schickung der wolken, dar
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ein diu sunn scheint, wann diu wolken müezent alsô
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gestalt sein, daz si klain und dicke riseln vil klainr
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tröpflein in ainen dicken haufen und daz hinder dem 35
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riseln swarzeu wolken sein und diu sunn gleichs gegen
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dem riseln schein. der spiegel ist nôt, dar umb, daz diu
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sunn iren schein und ir ebenpild dar ein werf und auch
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dar inn widerpreche, und muoz daz selb riseln der selben
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spiegel gerüeik sein und die spiegel rain, daz si der sunnen
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schein in sich genemen mügen. sô ist der vinstern wol\ken 5
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hinder dem riseln nôt, dar umb, daz si wern, daz
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der schein durch die spiegel iht prech und auf den
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spiegeln iht bestê, als wir sehen, daz die spieglær die
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spiegelglas hinten bedeckent mit plei und mit pech. ez
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muoz auch diu sunne gerihtes stên gegen den spiegeln, 10
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daz die spiegel ir ebenpild genemen mügen, und diu
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swarzen wolken hinder den spiegeln werfent der sunnen
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schein her wider, reht sam etleichen läuten geschiht, die
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pœs augen habent: die sehent des nahtes, sô der môn
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scheint, ir aigen pild vor in stên, daz hât daz antlütz 15
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gegen in gekêrt, und wenn die läut gênt für sich, sô gêt
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ir pild rüklingen hinder sich. daz geschicht dar umb, daz
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ain fäuhten gesament ist vorn pei des menschen aug\apfeln,
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dar an der luft rüert, und von den zwain gesellten
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widerpricht sich des menschen pild gegen dem gesiht, 20
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daz tiefer hin ain ligt in dem augen wan diu fäuhten
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tuo. und dar umb geschicht oft ainem trunken sam. seind
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nu diu sunn verr hœher ist wan diu wolken, sô wirft si
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ir ebenpild neur oben in die spiegel nâch ains kraizes
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form. dar umb scheint diu varb und der regenpog oben 25
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in den spiegel und niht über al sam grôz und prait daz
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riseln ist, anders ez schine diu varb an dem regenpogen
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sam ain halbiu scheib an dem himel oder sam ain stuck
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ainer scheiben. wizz auch, daz in den wolken daz leih\tist
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ze obrist kümt, daz allermaist erdisch leihtes rauches 30
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hât, dar umb scheint diu obrist varb an dem regenpogen
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clâr und rôt. dar nâch ist wäzzriger dunst, der ain
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wênig grœzereu tröpfel macht; dâ von ist diu ander varb
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grüen, wan durch wäzrigen dunst scheint daz lieht grüen,
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als wir oft sehen in ainer warmen stuben, dâ nazzeu 35
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tüecher inne truckent, dâ ist der luft wäzzrig und fäuht:
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sô danne ain kerzenlieht dar inn prinnet, sô scheint ain
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grüener kraiz umb die flammen. ist aber der luft niht
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gar wäzrig, sô scheint der kraiz weiz oder plaich. dar
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nâch sint aber swærer tropfen und grœzer, dâ von scheint
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diu varb an der selben stat liehter, wan die grôzen spiegel 5
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mügent der sunnen lieht paz genemen in seinr aigen
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form wan die klainen, und dar umb der grüenen varb
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spiegel sint klainer wan der gelben varb und grœzer wan
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der rôten varb.
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Der regenpog wirt in dem sumer niht, sô diu sunn 10
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in mittem tag stêt, dar umb, daz daz widerprechen niht
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mag geschehen in den zersträuten dünsten und hôch auf
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gezogen über unser gesiht; wan daz uns der regenpog
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schein, daz zuo gehœrnt diu dreu: diu sunn ain seit, daz
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geschickt riseln ander seit und daz gesiht ze mitlist. 15
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wenn aber diu sunn stêt sô hôch ob unserm haupt, sô
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mag des niht geschehen in ebner weise. aber in dem
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winter sô ist diu sunn in mittem tag gar genaigt und gar
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nider: dar umb mag der regenpog in dem winter werden
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ze aller stund. wenn der regenpog in mittem tag scheint, 20
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sô bedäut er grôzen künftigen regen, wan er bedäut, daz
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vil wäzriger wolken in den lüften sint ze mittelst in unserr
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wonung. wenn aber er scheint gegen der sunnen under\ganch,
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sô bedäut er sänften regen und sumerzeiten donr.
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sô aber er scheint gegen der sunnen aufganch, sô bedäut 25
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er schœn weter. alsô spricht unser puoch ze latein.
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Nu hab wir gesait von dem andern element, von
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dem luft, und von den wunderleichen dingen, diu dar
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inn geschehent. für paz schüll wir sagen von dem dritten
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element, daz ist daz wazzer. 30
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