TITUS
Konrad von Megenburg, Buch der Natur: Part No. 245

Chapter / Strophe: 55 
   55.
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   VON DEM PELLICAN.



Line: 3    Pellicanus haizt nâch der aigenchait der latein ain
Line: 4    grâhäutel, wan sam Augustînus und Isidorus sprechent,
Line: 5    er hât grâvar federn. der vogel hât die art, daz er gern   5
Line: 6    wont in Egypten lant pei dem wazzer, daz Nilus haizt.
Line: 7    der vogel scherzt mit seinen kindeln von grôzer lieb, die
Line: 8    er zuo in hât, und in dem spil râment im diu kindel der
Line: 9    augen, dâ von wirt er derzürnt und tœt si. dâ nâch zeuht
Line: 10    er sein federn ab und traurt niht ain clain umb seineu   10
Line: 11    kindel und sleht sein prust oder sein seiten mit seinem
Line: 12    snabel, unz daz rôsenvarb pluot dar auz fleuzt, und be\sprängt
Line: 13    diu kindel dâ mit, und alsô macht er si wider le\bentig.
Line: 14    aber ander maister sprechent, daz der vogel sein
Line: 15    pluot vergiez umb seineu kindel wenne si versêrt werdent   15
Line: 16    von ainr slangen, die in lâg setzet. ez sint zwairlai pel\licân.
Line: 17    daz ain ist ain wazzervogel, der lebt der visch;
Line: 18    daz ander ist ain lantvogel, der wont auf dem land und
Line: 19    lebt der slangen. der pellicân lebt von der milch des
Line: 20    cocodrillen und wirt dâ von gespeiset. waz aber ain co\codrill   20
Line: 21    sei, daz wirt her nâch kunt, wenn wir von den
Line: 22    merwundern sagen. wan daz selb tier, ain cocodrill, ist
Line: 23    sô reich an milch, daz er si auz wirft an den steten, dâ
Line: 24    ain pfuol ist oder hüel, und dar umb volgt im der pel\licân
Line: 25    allzeit nâch. etleich maister sprechent, daz er dar   25
Line: 26    umb pellicânus haiz ze latein, wan wenn man sein haut
Line: 27    ab seim flaisch zeuht, sô ist si gestimt reht als si sing,
Line: 28    und nâch der aigenchait möht der vogel ze däutsch haizen
Line: 29    ein velsing. der vogel ist mager, wan als die maister
Line: 30    sprechent, waz er ezzens in sein gedirm nimt, daz gêt   30
Line: 31    als von im ungekochet und dâ von hât er wênig vaizten
Line: 32    und wirt gespeiset von clainem saf seiner narung.
Line: 33    Pei dem pellicân verstê ich unsern herren Jêsum
Line: 34    Christum. der kam in unser ellend, ze scherzen mit uns,
Line: 35    auz dem obern trôn der himel. wie scherzen? treun, mit   35

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Line: 1    grôzen zaichen, diu er tet in Moyses persôn in Egypten
Line: 2    lant in dem rôten mer und in der wüesten, und mit den
Line: 3    zaichen, diu er tet mit andern weishaiten. dô râmeten im
Line: 4    in den werken der gothait unser altväter der augen, daz
Line: 5    ist der übernâtürleichen werken, diu got allain vermag.   5
Line: 6    als wie? treun, dâ versmâhten si in in seinen grôzen
Line: 7    werken und petten ain kalp an gemacht von silber, und
Line: 8    sünten auch mit andern grôzen sünden vor und nâch unz
Line: 9    an die zeit, daz got mensch wart. in der selben zeit
Line: 10    wâren diu kint des edeln pellicâns, daz ist gotes, ze tôd   10
Line: 11    geslagen von im, alsô daz si ümmer muosten leiden in
Line: 12    dem vegfeur, wie grôz rew si hieten umb ir sünd, unz
Line: 13    daz der pellicân, Christus, gotes aingeporner sun, mensch
Line: 14    wart auz dem rainen käuschen taw der zarten rôsen Ma\rie
Line: 15    und seinen leichnam öffent mit dem fluz seins rôsen\varben   15
Line: 16    pluotes in der marter. diu wert mit ainem und
Line: 17    mit dem andern unz an den dritten tag, daz er von dem
Line: 18    mensleichen tôd erstuont. alsô macht er seineu kint wi\der
Line: 19    lebentig von dem êwigen tôd. Der pellicân ist zwair\lai.
Line: 20    der ain ist ain wazzervogel und lebt neur des waz\zers   20
Line: 21    der weishait, daz ist diu gnâd, diu dâ fleuzt von dem
Line: 22    almähtigen prunnen der gothait, und lebt der visch, die
Line: 23    in dem wazzer vliezent, daz sint die hailigen lêr der göt\leichen
Line: 24    geschrift. diu selben wazzervogel sint die hailigen
Line: 25    lêrer, die erläuht werdent, paideu von dem hailigen gaist   25
Line: 26    und der götleichen geschrift, die gotes stat verwesent auf
Line: 27    ertreich und sein reht vitztüem sint ze pinden und ze
Line: 28    lâzen, sam die pfaffen, die löbleich priester sint. der
Line: 29    ander pellicân ist ain lantvogel, der lebt der slangen.
Line: 30    daz ist diu werltleich ritterschaft, diu lebt auf dem land   30
Line: 31    des werltleichen wesens und lebt der slangen, daz ist des
Line: 32    schatzes und des zinses diser werltleicher gezierd. pei den
Line: 33    zwain pellicânen verstê wir diu zwai swert der hailigen chri\stenhait,
Line: 34    daz götleich und daz werltleich. iedoch ist daz
Line: 35    gaistleich verr über daz werltleich, reht als des menschen sêl   35
Line: 36    ist über den leichnam und als diu sunn ist über den mônen.

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