TITUS
Konrad von Megenburg, Buch der Natur: Part No. 262

Chapter / Strophe: 72 
   72.
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   VON DEM GEIRN.



Line: 3    Vultur haizt ain geir. des vedern habent die art, ist
Line: 4    daz man si prennt in aim feur, sô vliehent die slangen von
Line: 5    dem smack, sam Plinius spricht. er spricht auch, welher   5
Line: 6    mensch des geirn herz an seiner seiten hab, der sei sicher
Line: 7    vor den pœsen tiern und vor den slangen und vor andern
Line: 8    würmen. die geir smeckent daz âs über mer, reht als der
Line: 9    adlar tuot. Isidorus spricht, der geir vârt des augen des
Line: 10    allerêrsten auf dem âs. er volgt den raisern, dar umb,   10
Line: 11    daz er des âses vol werd, und fräut sich urleuges und
Line: 12    streites. der geir hât die art, wenne er gewechset, sicht
Line: 13    er daz sein muoter kranch ist und niht wol gevliegen
Line: 14    mag, sô tœtt er si. er hât auch die art, ist, daz ain ander
Line: 15    vogel, der halt wol sterker ist dan er, im seineu kindel   15
Line: 16    laidigen wil, sô wâget er sein leben umb diu kindel und
Line: 17    sleht mit den flügeln und wundet mit den kräuln. diu
Line: 18    muoter wert den kinden die stat, dâ si geporn sint, wenne
Line: 19    si nu gevidert sint. daz tuot si umb die narung, wan ain
Line: 20    par der vogel, daz ist ain er und ain si, bedürfent ainer   20
Line: 21    weiten stat zuo irr narung. si raubt auch niht an den
Line: 22    steten, die nâhent pei irm nest sint, dar umb, daz si die
Line: 23    läut, die ir nâchgepaurn sint, iht erzürn wider sich selber.
Line: 24    wenn der geir raubet, sô füert er den raup niht zehant,
Line: 25    er versuocht vor, wie swær er sei, und mag er den raup   25
Line: 26    gefüern, sô füert er in dann. Rabanus spricht, daz et\leich
Line: 27    geir perhaft sein ân unkäusch, alsô daz sich der er
Line: 28    niht veraint noch vermischet mit der sien, und leben iriu
Line: 29    kint hundert jâr. Plinius spricht, daz der geir raub von
Line: 30    mittem tag unz ze naht und ruow von morgens unz zuo   30
Line: 31    mittem tag, alsô daz er nihts niht raub. wenn er altet,
Line: 32    sô wehst im daz obertail an dem snabel über daz under\tail,
Line: 33    alsô daz er den snabel niht auf mag getuon, und sô
Line: 34    muoz er sterben vor hunger, wan er wetzet seinen snabel
Line: 35    niht an die stain sam der adlar tuot und kan sein unge\mach   35

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Line: 1    niht vertreiben, dar umb muoz er sterben. etleich
Line: 2    sprechent, wenn der geir wizze, daz er sterben müez, sô
Line: 3    verslind er sein aigen hirn, dar umb, daz ez den läuten
Line: 4    niht nütz werd, wan ez ist guot wider daz paralis. ist
Line: 5    daz er seineu kint vaizt siht, wenn er dan müezig ist,   5
Line: 6    sô hacket er in die füez niden auf mit dem snabel, dar
Line: 7    umb, daz si wider mager werden. er streit mit dem
Line: 8    greiffalken oder mit dem gemeinen valken und vellt auf
Line: 9    in; aber der falk ist im ze behend und ze snel, und dar
Line: 10    umb entweicht er dem geir, sô er auf in platzen wil, sô   10
Line: 11    mag sich der geir niht wider gehalten und stœzt sich ze
Line: 12    tôd. seind auch der geir alliu âs und allerlai gefügel
Line: 13    angreift, dar umb schäuht er der strick niht und der
Line: 14    vâchvallen. Ambrosius spricht, daz der geir des men\schen
Line: 15    tôd mit etleichen zaichen vor prüef. wan sô ain   15
Line: 16    her mit dem andern streiten wil, sô volgent die geirn
Line: 17    nâch, als ob si bedäuten, daz vil läut erslagen wer\den.
Line: 18    aber ich wæn, daz si daz haben von ainer gewon\hait,
Line: 19    dar umb, daz die alten daz vor gesehen habent,
Line: 20    oder si müezent ez haben von ainem einvall der nâtûr,   20
Line: 21    als vil anderr tier sint, diu künftigeu dinch bedäutent.
Line: 22    Pei dem geir verstên ich die geitigen zucker und geniezer,
Line: 23    si sein laien oder pfaffen, die sich anderr läut schaden
Line: 24    fräuwent, dar umb, daz si vol werden.
Line: 25    Mit der red haben die vogel nu ain end.   25







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