TITUS
Heinrich Seuse, Buch der Wahrheit
Part No. 5
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Chapter: V.    
Sentence: 80 
V. Von dem waren inkere, den ein gelazsener mensche durch den einbornen sun nemen sol.


Sentence: 81    Der Iunger: Von der kreaturen gewordenlichem usbruche habe ich die warheit wol verstanden.
Sentence: 82    
Ich horti nu gerne von dem durchbruche, wie der mensch durch Christum sol widerinkomen und sin selikeit erlangen.
Sentence: 83    
Warheit: Es ist ze wissenne, daz Christus, gottes sun, etwas gemein hatte mit allen menschen und hatte etwas sunders vor andren menschen.
Sentence: 84    
Daz, daz im gemein ist mit allen menschen, daz ist menschlichú nature, daz er o^vch ein warer mensch waz.
Sentence: 85    
Er nam an sich menschlich nature und nit persone.
Sentence: 86    
Und daz ist in der wise ze nemenne, daz Christus menschlich natur an sich nam in einer unteillichi der materien, daz der lerer Damascenus heisset »in athomo«, und also der angenomennen gemeinen menschlichen nature entwúrte »daz rein bluͦtli« in der gesegneten Marien lib, da er liplich geze^ow von nam.
Sentence: 87    
Und darumbe so hat menschlichú nature an ir selben genomen kein solich recht, wan si Christus hatte angenomen und nit persone, daz ie der mensche darumbe súl und múg in der selben wise got und mensch sin.
Sentence: 88    
Er ist der allein, dem unerve^oIgklich wirdikeit zuͦgehe^ort, daz er die nature an sich nam in der luterkeit, daz im nút hat gevolget weder von der erbsúnde noch von keiner anderre súnde.
Sentence: 89    
Und darumb waz er der alleine, der daz verschulte menschlich kúnne erle^osen mohte.
Sentence: 90    
Daz ander: Aller anderre menschen verdientú werk, die tuͦt in rehter gelazsenheit ir selbes, die ordenent eigenlich den \ menschen zuͦ der selikeit, da ein lon ist der tugende.
Sentence: 91    
Und selikeit lit an der voller ge^otlicher gebruchunge, da alles mittel und anderheit ist abgeleit.
Sentence: 92    
Aber einunge der infleischunge Christi, sit daz si ist in einem persoͤnlichen wesenne, so úberget si und ist he^oher denne einunge des gemuͤtes der seligen zuͦ gotte.
Sentence: 93    
Wan von dem ersten beginne, do er enphangen wart der mensch, do waz er werliche gottes sun, also daz er enkein ander selbstandunge hatte denne gottes sun.
Sentence: 94    
Aber ellú andrú menschen die hant ir naturlich understandunge in irem natúrlichen wesenne, und wie genzklich in selber iemer entgant ald wie luterlich sich iemer gelazsent in der warheit, so geschihet daz nit, daz in der ge^otlichen persone understandunge iemer úbersetzet werden und die iren verlieren.
Sentence: 95    
Daz dritte: Dirre mensch Christus hatte daz och fúr ellú menschen, daz er ist ein ho^vbt der kristenheit, nach glicher wise ze redenne dez menschen ho^vbtes gegen sinem libe.
Sentence: 96    
Als da stat geschriben, daz »alle die, die er hat fúrsehen, die hat er vorbereit, daz wúrdin mitfoͤrmig mit dem bilde des sunes gottes, daz er der erstgeborn si under vil andren«.
Sentence: 97    
Und darumb wer einen rehten wideringang welle haben und sun werden in Christo, der kere sich mit rehter gelazsenheit ze im von im selb, so kumet er, dar er sol.
Sentence: 98    
Der Iunger: Herre, waz ist rehtú gelazsenheit?
Sentence: 99    
Warheit: Nim war mit merklichem underscheit diser zweier worten, da sprechent: »Sich lazsen«.
Sentence: 100    
Und kanst du zwei wort eben wegen und ze grunde pruͤfen uf ir iungstes ort und mit rehtem underscheide ansehen, so macht du snelleklich der warheit bewiset werden.
Sentence: 101    
Nu nim des ersten herfúr daz erste wort, daz da heisset: »Sich« ald mich, und luͦg, waz daz si.
Sentence: 102    
Und da ist ze wissenne, daz ein ieklicher rnensch hat fúnfley Sich.
Sentence: 103    
Daz eine Sich ist im gemein mit dem steine, und daz ist wesen.
Sentence: 104    
Ein anders mit dem krute, und daz ist wahsen.
Sentence: 105    
Daz dritte mit den tieren, und daz ist enphinden.
Sentence: 106    
Daz vierde mit allen menschen, daz ist, daz er ein \ gemeine menschlich nature an im hat, in dem andern ellú eins sint.
Sentence: 107    
Daz fúnfte, daz im eigenlich zuͦ gehe^ort, daz ist sin \ perse^onlicher mensch beidú nah deme adel und och nach dem zúval.
Sentence: 108    
Waz ist nu daz, daz den menschen irret und in selikeit bero^vbet?
Sentence: 109    
Daz ist allein daz iungste Sich, da der mensch den usker nimet von gotte uf sich selb, da er wider in solte keren, und im selb nah dem zuͦval ein eigen Sich stiftet, daz ist, daz er von blintheit im selber eigent, daz gottes ist, und zilet da und verflússet mit der zit in gebresten.
Sentence: 110    
Der aber dis Sich ordenlich we^olti lazen, der se^olti drie inblike tuͦn.
Sentence: 111    
Den ersten also, daz er mit eime entsinkenden inblike kerti auf die nihtekeit sins eigenen Siches, scho^vwende, daz daz Sich und aller dingen Sich ein niht ist, usgelazsen und usgeschlozsen von dem ichte, daz einig wúrkende kraft ist.
Sentence: 112    
Der ander inblik ist, daz da nit úbersehen werde, daz in dem selben nehsten gelezse iedoch sin selbs Sich alwegent blibet uf siner eigen geze^owlicher istikeit nah dem usschlage und da nút ze male vernihtet wirt.
Sentence: 113    
Der dritte inblik geschiht mit einem entwerdenne und friem ufgebenne sin selbs in allem dem, da er sich ie gefuͦrte, in eigener angesehner kreatúrlichkeit, in unlediger manigvaltikeit wider die ge^otlichen warheit, in liebe ald in leide, in tuͤnne oder in lazenne, also daz er mit richem vermúgenne sich wiseloseklich vergange und im selb unwidernemklich entwerde und mit Christo in einikeit eins werde, daz er us disem nach einem iniehenne allú zit wúrke, ellú ding enphahe und in diser einvaltikeit ellú ding ansehe.
Sentence: 114    
Und dis gelazen Sich wirt ein kristfe^ormig Ich, von dem schrift seit von Paulo, der da sprichet: »Ich leb, nit me ich, Christus lebt in mir«.
Sentence: 115    
Und daz heiss ich ein wolgewegen Sich.
Sentence: 116    
Nu nemen wir daz ander wort herfúr, daz er spricht: »lazsen«.
Sentence: 117    
Daz meinde er ufgeben oder verahten, nút also, daz man es múg gelazsen, daz es zemal zenihti werde, denn allein in der verahtunge, und denn ist im gar reht.
Sentence: 118    
Der Iunger: Gelobet si warheit.
Sentence: 119    
Lieber herr, sag mir, blibet eime seligen gelazenen menschen útzet?
Sentence: 120    
Warheit: »Es geschihet ane zwifel, wenne der guͦt und getrúw kneht wirt ingefuͤret in die fre^ode sins herren, so wirt er trunken von dem unmessigen úberflusse des ge^otlichen huses.
Sentence: 121    
Wan ime \ geschihet in unsprechelicher wise als einem trunken menschen, der sin selb vergisset, daz er sin selbes nit ist, daz er im selb zemal entworden ist und sich zemal in got vergangen hat und ein geist mit im worden ist in aller wise«.
Sentence: 122    
»Als ein kleines wassers troͤphlin in vil wines gegozsen, wan als daz im selber entwirdet, so es den smak und die varwe an sich und in sich zúhet«, »also geschiht dien, die in voller besitzunge sint der selikeit, daz dien in unsprechelicher wise ellú menschlichú begirde entwichet und in selber entsinkent und zemale in dem ge^otlichen willen versinkent.
Sentence: 123    
Anders me^ohti schrift nút war sin, da sprichet, daz got sol werden ellú ding in allen dingen, were daz des menschen in dem menschen út blibi«, daz nit zemal uz im gegozsen wurdi.
Sentence: 124    
»Da blibet wol sin wesen, aber in einer andern forme, in einer andern glorie und in eime andern vermugenne«.
Sentence: 125    
Und daz kumet alles von ir selbs grundlosen gelazsenheit.
Sentence: 126    
Und sprichet denne uf den vordern sin also: »Ob aber kein mensche in disem lebenne« als gelazsen si, daz er daz »volkomenlich \ begriffen habe«, daz er des sinsheit niemer anegesehe in lieb noch in leide, denn »daz er alzemal sich selb dur got minne und meine nach der aller volkomnesten begriffenheit«, »des kan ich mich, sprichet er, nit verstan, ob es ist.
Sentence: 127    
Die gangen herfúr, die im gelebt hein, wan nach minem verstenne ze sprechenne, so dunket es mich nút muglich«.
Sentence: 128    
Usser diser rede aller macht du merken ein antwúrt diner frage, wan ein rehtú gelazsenheit eins solichen edelen menschen in der zit ist nach gebildet und gestellet nach der gelazsenheit der seligen, von den schrift seit, minr und me nach dem, als denne menschen minr und me geeinget ald eins sint worden.
Sentence: 129    
Und merk sunderlich, daz er sprichet, daz da entsetzet werdent dez iresheit und úbersetzet in ein ander forme und in ein ander guͤnlichi und in einen andern gewalt.
Sentence: 130    
Waz ist nu ander fre^omde forme denn ge^otlich nature und daz ge^otliche wesen, in daz und daz in sich verfle^ozent, daz selbe ze sinne?
Sentence: 131    
Was ist denne ein ander glorie, denn verkleret und verguͤnlichet werden in dem istigen liehte, daz nit zuͦganges hat?
Sentence: 132    
Waz ist denne ein anders vermúgen, denn daz von der selbsheit \ und der selben einikeit dem menschen wirt gegeben ein ge^otlichú kraft und ge^oliches vermúgen in tuͤnne und in lazsenne alles, daz ir selikeit zuͦgehe^oret?
Sentence: 133    
Und also wirt der mensch entmenschet, als geseit ist.
Sentence: 134    
Der Iunger: Herre, ist dis muglich in der zit?
Sentence: 135    
Warheit: selikeit, von der gesprochen ist, mag ervolget werden in zweierley wise.
Sentence: 136    
Ein wise ist nach dem aller volkomnesten grade, úber alle múglicheit ist, und daz mag nit gesin in diser zit.
Sentence: 137    
Wan zuͦ dez menschen nature he^oret der lip, des manigvaltig gedrang widersprichet disem.
Sentence: 138    
Aber die selikeit ze nemene nach teilhafter gemeinsamkeit, also ist es muglich, und dunket doch menigen menschen unmuglich.
Sentence: 139    
Und daz ist nit unbillich, wan hie \ her enmag kein sin noh vernunft gelangen.
Sentence: 140    
Wol sprichet ein schrift , daz man vindet einer hande menschen, usgesúndertú und geleptú menschen, daz die siien so gar gelútertes und gotfe^ormiges gemuͤtes, daz die tugende in in standen nach ge^otlicher glicheit.
Sentence: 141    
Wan sint »entbildet und úberbildet« in des ersten exemplars einikeit »und koment neiswie in ein volles vergessen zerganklichs und zitliches lebennes und sint verwandelt in ge^otliches bilde« und sint eins mit im.
Sentence: 142    
Aber es stet dur bi, daz dis zuͦgehe^oret allein dien, die dise selikeit in ir he^ohsten hein besessen, ald aber etlichen menschen, wenigen und den aller frúmsten, die noch mit dem libe in dem zite gand.



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