TITUS
Heinrich Seuse, Buch der Wahrheit
Part No. 7
Chapter: VII.
Sentence: 320
VII.
Uff
welen
puncten
dien
menschen
gebristet
,
die
valsche
friheit
fuͤrent
.
Sentence: 321
An
einem
liehten
sunnentage
do
sazz
er
eins
males
ingezogen
und
verdaht
,
und
in
der
stilli
sins
gemuͤtes
begegnet
ime
ein
vernúnftiges
bilde
,
daz
waz
subtil
an
sinen
worten
und
waz
aber
ungeuͦbet
an
sinen
werken
und
waz
usbrúchig
in
flogierender
richheit
.
Sentence: 322
Er
huͦb
an
und
sprach
zuͦ
im
also
:
Wannen
bist
du
?
Sentence: 323
Es
sprach
:
Ich
kam
nie
dannen
.
Sentence: 324
Er
sprach
:
Sag
mir
,
waz
bist
du
?
Sentence: 325
Es
sprach
:
Ich
bin
niht
.
Sentence: 326
Er
sprach
:
Was
wilt
du
?
Sentence: 327
Es
antwúrte
und
sprach
:
Ich
wil
nút
.
Sentence: 328
Er
sprach
aber
:
Dis
ist
ein
wunder
.
Sentence: 329
Sag
mir
,
wie
heizsest
du
?
Sentence: 330
Es
sprach
:
Ich
heisse
daz
namelos
wilde
.
Sentence: 331
Der
Iunger
sprach
:
Du
macht
wol
heissen
daz
wilde
,
wan
dinú
wort
und
antwúrte
sint
gar
wilde
.
Sentence: 332
Nu
sag
mir
eins
,
des
ich
dich
frage
:
Wa
lendet
din
bescheidenheit
?
Sentence: 333
Es
sprach
:
In
lediger
friheit
.
Sentence: 334
Der
Iunger
sprach
:
Sag
mir
,
waz
heissest
du
ein
ledig
friheit
?
Sentence: 335
Es
sprach
:
Da
der
mensch
nach
allem
sinem
muͦtwillen
lebet
sunder
anderheit
,
ane
allen
anblik
in
vor
und
in
nach
.
Sentence: 336
Der
Iunger
sprach
:
Du
bist
nút
uf
dem
rehten
wege
der
warheit
,
wan
se^olichú
friheit
verwiset
den
menschen
von
aller
selikeite
und
entfriet
in
siner
waren
friheit
.
Sentence: 337
Wan
swem
underscheides
gebristet
,
dem
gebristet
ordenunge
,
und
waz
ane
reht
ordenunge
ist
,
daz
ist
be^ose
und
gebreste
,
als
Christus
sprach
:
»Der
súnde
tuͦt
,
der
ist
ein
kneht
der
súnde
«.
Sentence: 338
Aber
wer
mit
einer
luteren
gewisseni
und
behuͦtem
lebenne
inget
in
Christum
mit
rehter
gelazsenheit
sin
selbs
,
der
kumet
zuͦ
der
rehten
friheit
,
als
er
selbe
sprach
:
»Le^oset
úch
der
sun
,
so
werdent
ir
warlichen
fri
«.
Sentence: 339
Daz
wilde
sprach
:
Waz
heissest
du
ordenhaft
ald
nút
ordenhaft
?
Sentence: 340
Der
Iunger
sprach
:
Ich
heis
daz
ordenhaft
,
wenn
alles
daz
,
daz
der
sache
zuͦge^oherlich
ist
von
innen
ald
von
ussen
,
nút
underwegen
blibet
unangesehen
in
dem
uswúrkenne
.
Sentence: 341
So
heis
ich
daz
unordenhaft
,
weles
under
disen
vorgenanten
underwegen
blibet
.
Sentence: 342
Daz
wilde
sprach
:
Ein
ledigú
friheit
sol
dem
allem
sament
undergan
und
es
alles
verahten
.
Sentence: 343
Der
Iunger
sprach
:
Dú
verruͦchtekeit
were
wider
aller
warheit
und
ist
der
valschen
ledigen
friheite
gelich
,
wan
si
ist
wider
die
ordenunge
,
die
daz
ewig
niht
in
siner
berhaftkeit
hat
gegeben
allen
dingen
.
Sentence: 344
Daz
wild
sprach
:
Der
mensche
,
der
in
sime
ewigen
nihte
zenihte
ist
worden
,
der
weis
von
underscheide
nút
.
Sentence: 345
Der
Iunger
:
Daz
ewig
niht
,
daz
hie
und
in
allen
gerehten
vernúnften
ist
gemeinet
,
daz
es
niht
si
nút
von
sime
nútsinde
,
mer
von
siner
úbertreffender
ihtekeit
,
daz
niht
ist
in
im
selber
aller
minste
underscheides
habende
,
und
von
im
,
als
es
berhaft
ist
,
kumet
aller
ordenlicher
underscheit
aller
dingen
.
Sentence: 346
Der
mensch
wirt
niemer
so
gar
vernihtet
in
disem
nihte
,
sinen
sinnen
blibe
dennoch
underscheit
ir
eigennes
ursprunges
und
der
vernunft
dez
selben
ir
eigen
kiesen
,
wie
daz
alles
in
sinem
\
ersten
grunde
unangesehen
blibet
.
Sentence: 347
Daz
wild
:
Ob
man
es
denne
ze
male
nimet
niergen
denne
in
dem
selben
und
us
dem
selben
grunde
?
Sentence: 348
Der
Iunger
:
Der
nemi
es
nit
rehte
,
wan
es
enist
nit
allein
in
dem
grunde
,
es
ist
o^vch
in
im
selbe
ein
kreatúrlichs
iht
hie
usse
\
und
blibet
,
daz
es
ist
,
und
nach
dem
so
muͦz
man
es
o^vch
nemen
.
Sentence: 349
Were
daz
ime
engienge
sin
underscheid
nach
der
wesunge
als
nach
der
nemunge
,
so
me^oht
es
bestan
.
Sentence: 350
Und
des
enist
nit
,
als
da
vor
geseit
ist
.
Sentence: 351
Hie
von
sol
man
alweg
haben
guͦten
underscheit
.
Sentence: 352
Daz
wilde
sprach
:
Ich
han
vernomen
,
daz
ein
hoher
meister
si
gewesen
,
und
daz
der
absprechi
allen
underscheit
.
Sentence: 353
Der
Iunger
sprach
:
Daz
du
meinest
,
daz
er
allen
underscheit
ab
sprechi
:
Nimst
du
daz
in
der
gotheit
,
daz
me^oht
man
verstan
,
daz
er
meindi
der
personen
eins
ieklichen
in
dem
grunde
,
da
sú
inne
sint
ununderscheiden
,
aber
nút
gegen
dem
sú
sich
widerheblich
haltent
,
und
da
ist
ze
haltenne
sicherlich
perse^onlich
underscheidenheit
.
Sentence: 354
Nimest
du
es
o^vch
von
eins
vergangnen
rnenschen
entwordenheit
,
da
von
ist
gnuͦg
da
vor
geseit
,
wie
es
ist
ze
verstenne
nach
der
nemunge
,
nit
nach
der
wesunge
.
Sentence: 355
Und
merke
hie
,
daz
es
ein
anders
ist
underschidunge
und
underscheidenheit
,
als
kuntlich
ist
,
daz
lib
und
sel
hant
nit
underschidunge
,
wan
eins
ist
in
dem
andern
und
kein
lid
mag
leben
,
daz
usgeschidet
ist
.
Sentence: 356
Aber
underscheiden
ist
dú
sele
von
dem
libe
,
wan
dú
sele
ist
nit
der
lib
noch
der
lib
dú
sele
.
Sentence: 357
Also
verstan
ich
,
daz
in
der
warheit
nút
ist
,
daz
underschidunge
muge
han
von
deme
einveltigen
wesenne
,
wan
es
allen
wesenne
wesen
git
,
aber
nach
underscheidenheit
,
also
daz
daz
ge^otlich
wesen
nit
ist
des
steines
wesen
noch
des
steines
wesen
daz
ge^otlich
wesen
,
noch
kein
kreature
der
andern
.
Sentence: 358
Und
also
meinent
\
die
lerer
,
daz
disú
underscheidenheit
eigenlich
ze
sprechenne
nit
si
in
gotte
,
mer
si
ist
von
gotte
.
Sentence: 359
Und
sprichet
úber
der
wisheit
buͦch
:
Als
nút
einigers
ist
denn
got
,
also
ist
nút
underscheideners
.
Sentence: 360
Und
darumbe
so
ist
dú
hellunge
valsch
und
disú
meinunge
gereht
.
Sentence: 361
Daz
wilde
sprach
:
Der
selb
meister
hat
vil
schone
geseit
von
eime
kristmessigen
menschen
.
Sentence: 362
Der
Iunger
sprach
:
Der
meister
sprichet
an
einer
stat
also
:
»Christus
ist
der
eingeborne
sun
und
wir
nit
«.
Sentence: 363
»Er
ist
der
natúrlich
sun
,
wan
sin
geburt
zilet
in
der
natur
«,
aber
wir
sien
nit
der
naturlich
sun
,
und
únser
geberunge
\
heisset
»ein
widergeburt
,
wan
si
zilet
in
einfe^ormikeit
siner
nature
.
Sentence: 364
Er
ist
ein
bilde
des
vatters
,
wir
sien
gebildet
nach
dem
bilde
der
heiligen
drivaltikeit
«.
Sentence: 365
Und
sprichet
,
daz
ime
hierinne
nieman
kan
gelich
gemessen
.
Sentence: 366
Daz
wild
sprach
:
Ich
han
vernomen
,
er
sprechi
,
ein
se^olicher
mensch
wúrke
alles
,
daz
Christus
wurkte
.
Sentence: 367
Der
Iunger
entwúrt
:
Der
selbe
meister
sprichet
an
einer
stat
also
:
»Der
gerechte
wúrket
alles
,
daz
dú
gerehtikeit
wúrket
«.
Sentence: 368
Und
daz
ist
war
,
sprichet
er
,
da
der
gereht
eingeborn
ist
von
der
gerehtikeit
,
als
geschriben
stat
:
»Daz
von
fleische
geborn
ist
,
daz
ist
fleisch
,
und
daz
geborn
ist
von
geiste
,
daz
ist
geist
«.
Sentence: 369
Und
daz
ist
allein
war
,
sprichet
er
,
in
Christo
und
an
keinem
andern
menschen
,
wan
er
hat
nit
wesen
denne
daz
wesen
des
vatters
,
noch
geberer
\
denne
den
himelschen
vatter
.
Sentence: 370
Und
darumbe
wurkte
er
alles
,
daz
der
vatter
wurket
.
Sentence: 371
Aber
in
allen
andren
rnenschen
,
sprichet
er
,
so
velet
dis
,
daz
wir
minr
und
me
mit
im
wúrken
nah
dem
,
als
wir
minr
und
me
von
im
sien
geborn
.
Sentence: 372
Und
disú
rede
bewiset
dich
eigenlichen
der
warheit
.
Sentence: 373
Daz
wilde
sprach
:
Sin
rede
lúhtet
,
daz
alles
,
daz
Christo
si
gegeben
,
daz
si
o^vch
mir
gegeben
.
Sentence: 374
Der
Iunger
:
Daz
al
,
daz
Christo
ist
gegeben
,
daz
ist
volkomnú
besitzunge
der
weslichen
selikeit
,
als
er
sprach
:
»Omnia
dedit
michi
pater
.
Sentence: 375
Der
vatter
hat
mir
al
gegeben
«.
Sentence: 376
Und
daz
selb
al
hat
er
úns
allen
gegeben
,
aber
in
unglicher
wise
.
Sentence: 377
Und
er
sprichet
an
vil
stetten
,
daz
er
daz
al
hat
mit
der
infleischunge
und
wir
mit
der
gotfe^ormigen
vereinunge
.
Sentence: 378
Und
darumbe
hat
er
daz
so
vil
adellicher
,
so
vil
er
sin
adellicher
enphenklich
waz
.
Sentence: 379
Daz
wilde
zoh
aber
fúr
und
meinde
,
daz
er
absprechi
alle
glicheit
und
vereinunge
und
daz
er
úns
sazti
bloz
und
entglichet
in
die
blozsen
einikeit
.
Sentence: 380
Der
Iunger
antwúrt
und
sprach
:
Dir
gebristet
ane
zwivel
,
daz
dir
nit
lúhtet
der
underscheit
,
von
dem
da
vor
geseit
ist
,
wie
ein
mensche
ein
súlle
werden
in
Christo
und
doch
gesúndert
bliben
,
und
wa
er
vereinet
ist
und
sich
unvereinet
eins
nemende
ist
.
Sentence: 381
Weslich
lieht
hat
dir
noch
nit
gelúhtet
,
wan
weslich
lieht
lidet
ordenunge
und
underscheit
,
entwiset
von
usbrúchiger
manigvaltikeit
.
Sentence: 382
Din
scharphes
gemerke
richset
mit
guͤnlichi
dez
liehtes
der
nature
in
behender
vernúnftikeit
,
daz
da
vil
glich
lúhtet
dem
liehte
der
ge^otlichen
warheit
.
Sentence: 383
Daz
wilde
gesweig
und
bat
in
mit
ergebenlicher
undertenikeit
,
daz
er
fúrbaz
ruͦrti
den
nútzen
underscheit
.
Sentence: 384
Er
antwúrte
und
sprach
also
:
Der
meiste
gebreste
,
der
dich
und
dine
glichen
entsetzet
,
der
lit
dar
an
,
daz
úch
gebristet
\
guͦtes
underscheides
vernúnftiger
warheit
.
Sentence: 385
Und
darumbe
wer
sin
nehstes
welle
ervolgen
und
nút
in
dise
gebresten
vallen
,
der
sol
diser
to^vgenlicher
lere
flizsig
wesen
,
so
kumet
er
ungehindert
zuͦ
eime
selige
lebenne
.
This text is part of the
TITUS
edition of
Heinrich Seuse, Buch der Wahrheit
.
Copyright
TITUS Project
, Frankfurt a/M, 7.5.2019. No parts of this document may be republished in any form without prior permission by the copyright holder.