TITUS
Heinrich von Meissen, Frauenlob
Part No. 11
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Text: 10 
X. Vergessener Ton


Strophe: 1_[A] 
Verse: 1    Der ersten sache zukunft, die si gegrüzet,
Verse: 2    
die alle ding durchbittert und durchsüzet,
Verse: 3    
swaz e, swaz nu, swaz noch geschicht,
Verse: 4    
durchgruntlichen besachet!

Verse: 5    
Er was gar unbegriflich allen sinnen
Verse: 6    
und <doch> begriflich von der heilerinne.
Verse: 7    
von einem worte daz geschach:
Verse: 8    
ave daz wunder machet.

Verse: 9    
Wol uns der zukunft Jesu Crist!
Verse: 10    
die erste ursache er doch ist
Verse: 11    
gar aller creatiuren,
Verse: 12    
er wart gewirket in vier elementen craft.
Verse: 13    
der al ir art in gab mit siner meisterschaft,
Verse: 14    
got mensche wart, nature brach.
Verse: 15    
wer möchte in des gestiuren?

Strophe: 2_[B] 
Verse: 1    
Nature möchte wol zürnen solcher geschichte,
Verse: 2    
got teilte ir ordenunge [ ] fluzzes slichte.
Verse: 3    
ein teil ir e zerstöret wart,
Verse: 4    
ir <altez recht> zerbrochen.

Verse: 5    
Der alle ordenunge hat gesetzet,
Verse: 6    
[ ] der kunde sie wol zerstören ungeletzet.
Verse: 7    
sin wille was ir doch nie [ ] wider:
Verse: 8    
der apfel wart gerochen.

Verse: 9    
Naturen lust gab apfels bruch,
Verse: 10    
nature brach naturen spruch.
Verse: 11    
sol ich nature melden?
Verse: 12    
[ ] nature ^der naturen selbe stal^ ir fluz.
Verse: 13    
wie [ ], wa und wenne tete ez der naturen guz?
Verse: 14    
got mensche wart, got quam hernider:
Verse: 15    
natur des muste engelten.

Strophe: 3_[C] 
Verse: 1    
Sache und nature lazen wir den künsten
Verse: 2    
und sprechen lob der maget mit vernünsten:
Verse: 3    
der zarte gotes adelsarc,
Verse: 4    
die meit wart muter Cristes.

Verse: 5    
In ir schoz bant sie <zwar> die himel alle,
Verse: 6    
siben planeten dienten ir mit schalle,
Verse: 7    
er barg sich schone unter ir brust,
Verse: 8    
daz & was des alten listes.

Verse: 9    
Er nam sin wesen schone an sich,
Verse: 10    
kein sin möchte werden, als ich sprich.
Verse: 11    
got vater sun mit geiste,
Verse: 12    
ir ieglichez [ ] was, da sie gebar [ ] den [ ] waren got
Verse: 13    
und waren menschen - sprechet lob, <pris> Sabaoth,
Verse: 14    
der cleine besniten wart alsust
Verse: 15    
und ist doch ie der meiste &.

Strophe: 4 
Verse: 1    
Geslozzen sint die wort [ ] ʽknecht' unde ʽherre',
Verse: 2    
ʽsin' unde ʽselde' recht als ein gesperre.
Verse: 3    
ʽkint' ane ʽvater' mag nicht sin,
Verse: 4    
vernemt die zwei besunder:

Verse: 5    
Selde ane sin ist nicht, swer ebene merket,
Verse: 6    
sin ane selde niender wesen sterket.
Verse: 7    
sin und vernunst ist niur ein ding,
Verse: 8    
[ ] daz machet die selde munder.

Verse: 9    
Sin und vernunst ist selikeit.
Verse: 10    
swem wol geschicht, daz selde treit
Verse: 11    
gein gote und gein den liuten;
Verse: 12    
swem wol geschicht, daz hat sin und vernunst getan.
Verse: 13    
got selber nennet sich vernunst an allen wan:
Verse: 14    
er ist ouch guter dinge urspring,
Verse: 15    
[ ] den <dort> die engel triuten.

Strophe: 5_[A] 
Verse: 1    
Ein gut beginne, daz git ein richez hoffen:
Verse: 2    
ez hat der ersten freuden schaft getroffen.
Verse: 3    
ein gut beginne hat ie daz lob,
Verse: 4    
daz man im lieplich lachet.

Verse: 5    
Ein gut beginne schon uf sin mittel strichet,
Verse: 6    
und ob daz mittel im der güte entwichet,
Verse: 7    
so hat man doch den lust erlabet.
Verse: 8    
unstete wandel machet.

Verse: 9    
Were aber dan daz mittel gut,
Verse: 10    
sie heten deste bezzern mut
Verse: 11    
und grozer hoffenunge.
Verse: 12    
ein gut beginne, ein richez mittel machet daz,
Verse: 13    
daz man erbeitet ie des endes deste baz.
Verse: 14    
ob ez da hin in freuden snabet,
Verse: 15    
ist ez in heil entsprungen.

Strophe: 6_[B] 
Verse: 1    
Daz ende saget volkomenheit der dinge:
Verse: 2    
[ ] wie hoch, wie tief, wie swere und wie geringe,
Verse: 3    
wie wit, wie breit, - ein winkelmaz
Verse: 4    
ist ende an allen sachen.

Verse: 5    
Daz anbeginne treit wol spehe sinne,
Verse: 6    
uz swelcher hande sicherheit [ ] <ez> rinne.
Verse: 7    
daz ende volkomen, daz ist gut,
Verse: 8    
die wisen daz bewachen.

Verse: 9    
Swie gut daz anbeginne si,
Verse: 10    
swie rich daz mittel ouch dabi,
Verse: 11    
so saget ouch daz ende
Verse: 12    
die ganzen vollekomenheit an aller schicht.
Verse: 13    
swer siner tat ein gutez ende schicket nicht,
Verse: 14    
des tat wirt nimmer wol behut,
Verse: 15    
ein urkünde ich iu sende.

Strophe: 7 
Verse: 1    
Künde ich den tag mit secken ingefüren,
Verse: 2    
vienge ich den wint in stricken und in snüren,
Verse: 3    
und schepfete ich wazzer mit eim sibe
Verse: 4    
als vil, unz mich benüget,

Verse: 5    
Sete ich daz korn in dorn und uf die steine,
Verse: 6    
möcht sichz gefügen, min sniden daz würde cleine.
Verse: 7    
swer snöden herren dienen muz,
Verse: 8    
des heil sich & überbüget.

Verse: 9    
Vil minner nutzes im geschicht
Verse: 10    
dan einem, der vil feiles sicht
Verse: 11    
und hat sin nicht zu gelten:
Verse: 12    
er nimt sin ougenweide mit [ ] gesichte da.
Verse: 13    
in snöder herren dienste, da wirt man lichte gra.
Verse: 14    
[ ] wirt aber iemanne sorgen buz
Verse: 15    
da von [ ], daz höret man selten.

Strophe: 8_[A] 
Verse: 1    
Ich bin ein gast und habe den wirt in hute.
Verse: 2    
swenn er sich stellet in williglichem mute,
Verse: 3    
teilt er mir lieplich, swaz er hat,
Verse: 4    
ich danke ims, swar ich kere.

Verse: 5    
Solte ich sin kost mit freisen in mich niezen,
Verse: 6    
swie gut sie were, doch müste mich ir verdriezen:
Verse: 7    
bi richer tracht ein fuler dunst,
Verse: 8    
daz heize ich rich husere.

Verse: 9    
Ein lieplich wirt hat gutete vil,
Verse: 10    
daz weiz ich, swer sin ruchen wil.
Verse: 11    
sin rilichez angesichte,
Verse: 12    
sin kost, sin tranc, daz kan mir nimmer wol bekomen,
Verse: 13    
der ich von ungemutem wirte han genomen.
Verse: 14    
ei, lieber, gib mir vor vernunst,
Verse: 15    
daz ich min herze ufrichte.

Strophe: 9_[B] 
Verse: 1    
Vier unterscheid sol man bi wirten merken:
Verse: 2    
der eine, der kan sich mit geberden sterken,
Verse: 3    
so [ ] <wirt er> gesehen tugentlich
Verse: 4    
und & [ ] <karget> doch mit der & spise.

Verse: 5    
Der <gibet> gute kost und [ ] rich gerete
Verse: 6    
und ist doch mit geberden nicht so stete,
Verse: 7    
daz ez den liuten wol bekome:
Verse: 8    
daz ist ein sunder wise.

Verse: 9    
Der dritte ist weder diz noch daz,
Verse: 10    
<er> [ ] <wirt> gesehen [ ] geberden laz.
Verse: 11    
Daz ist des wirtes ere:
Verse: 12    
er gibet sin kost, sin tranc mit gutem willen dar,
Verse: 13    
danc habe sin lip. swelch wirt, der sich also bewar,
Verse: 14    
ich wil, daz im zu himel [ ] <vrome>
Verse: 15    
sin wirtschaft immer mere.

Strophe: 10_[a] 
Verse: 1    
Ir herren, ich han triuwe an iu enpfunden.
Verse: 2    
in guter meine ^ich warne^ iuch alle stunde,
Verse: 3    
wan ich han iuwer gut genomen
Verse: 4    
durch got und ouch durch ere.

Verse: 5    
Ich rate iu, daz ir iuch vor schanden tuchet
Verse: 6    
und ouch vor laster, daz vil schaden bruchet,
Verse: 7    
und minnet zucht und reine scham,
Verse: 8    
daz ist der wisen lere.

Verse: 9    
Die werlt ist sam ein gougelspil,
Verse: 10    
und hastu hie der freuden vil
Verse: 11    
- ich warne iuch herren alle -
Verse: 12    
[ ] <dir> blibet alles hordes nicht me dan der nam.
Verse: 13    
sich, nach dem tode so hilfet dich do nicht din scham,
Verse: 14    
so wirt man dinem nennen gram:
Verse: 15    
der tod ist todes galle.

Strophe: 11_[b] 
Verse: 1    
Man gicht, ich si ein teil zu scharfer worte
Verse: 2    
in dem gesange. [ ] <ja> ich, an allen orten
Verse: 3    
ich sol gein losen smehe sagen:
Verse: 4    
swenn ich<s> an mir enpfinde,

Verse: 5    
In dem gesange ich offenlichen strafe
Verse: 6    
mit ummerede, mit worten, sunder wafen.
Verse: 7    
den fromen danke ich reiner tat
Verse: 8    
mit süzen sprüchen linde.

Verse: 9    
Swa man dem bösen hillet mite,
Verse: 10    
des ergert sich sin tat, sin site
Verse: 11    
und wenden deste krenker.
Verse: 12    
man sol dem fromen milten danken siner tugent,
Verse: 13    
in lustet deste baz zu tun nach siner mugent.
Verse: 14    
ie me der böse schanden hat,
Verse: 15    
die schande nach tode wirt swenker.



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